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„Sam. Hör mir genau zu." Ich nickte, war bereit jeder seiner Anweisungen folge zu leisten. „Du holst jetzt den Aschekratzer aus dem Feuer und kommst zu mir. Ich werde mir das Messer aus der Seite ziehen und dann drückst du mir sofort das heiße Metall auf die Wunde."

Meine Augen weiteten sich. Ich sollte was tun? Mein Kopf raste, Gedanken verschwammen ineinander.

„Sam?" Seine Stimme lenkte mich wieder zu ihm, klang gleichzeitig so schwach doch bestimmend. „Sam, egal was passiert, du drückst das Metall auf die Wunde. Hast du verstanden?"

Nein, hatte ich nicht. Trotzdem nickte ich. Ich sollte ihm wehtun? Wie konnte ich danach mit mir leben?

Zwei starke Hände legten sich auf meine Schultern und schüttelten mich leicht, grüne Augen blickten mich dringlich an. Kaden merkte, dass ich mit meiner Aufgabe haderte. „Sam, willst du das ich lebe?"

Diese Frage traf mich wie ein Pfeil, der sich direkt durch mein Herz bohrte. Ich nickte. „Natürlich."

Ich wollte nichts auf dieser Welt mehr als das. Kaden sollte Leben. Mit mir. Ich würde alles dafür tun. Egal wie viele Menschen ich dafür erlösen musste, Kaden durfte nicht von meiner Seite weichen.

„Liebst du mich?" Kaden runzelte die Stirn, sprach mir weiterhin still mit seinen Augen Mut zu.

„Ja." Ich nickte bestätigend. „Mehr als alles auf der Welt."

Kaden war alles für mich. Er war der Sauerstoff, den ich zum Atmen brauchte. Und ich musste mich jetzt zusammen reißen. Er brauchte mich.

Kaden atmete tief ein, stieß mich an meinen Schultern ein wenig zurück. „Gutes Mädchen. Los!"

Ich fasste all meinen Mut zusammen und stand auf, holte den heißen Aschekratzer aus dem Kamin. Das Metall am Ende glühte Orange. Ich hatte Angst, Angst was als nächstes passieren würde. Doch eine Sache wusste ich. Kaden würde stolz auf mich sein. Kaden würde überleben. Mit meiner Hilfe. Und das war alles was ich in diesem Moment wissen musste.

Ich kniete mich erneut neben Kaden, hielt das heiße Eisenwerkzeug mit beiden Händen neben mir. Kaden blickte mich durchdringlich an, suchte meine Augen nach möglichem Zweifel ab. Doch diese verdrängte ich, hatte keine Zeit dafür. Ich würde es schaffen. Gemeinsam mit ihm, Kaden der meinen Kopf langsam wieder einnahm und mich beruhigte.

Kaden nickte knapp, richtete sich etwas höher an der Wand auf und umfasste den Griff des Messers mit beiden Händen. Sein Gesicht verzog sich vor Schmerz und ich wünschte ich könnte irgendetwas tun um ihm von den Qualen befreien zu können.

Tief zog er ein paar Mal die Luft in die Lunge, seine Brust hob und senkte sich schnell. Er bereitete sich auf den Schmerz vor, versuchte die Panik aus seinem Gesicht zu vertreiben. „Okay."

Und mit diesem einem gemurmelten Wort spannte er seinen ganzen Körper an, zog ruckartig seine Arme nach vorne und befreite seine Haut von der Klinge. Er biss sich auf die Lippen, versuchte seinen Schrei durch ein schmerzhaftes Stöhnen zu unterdrücken.

Meine Atmung beschleunigte sich und ich umgriff den Aschekratzer fester, als ich sah wie das Blut aus der offenen Wunde strömte. So viel Blut.

„Sam, jetzt.", presste er zwischen zusammengepressten Zähnen heraus, blickte mich aus flehenden Augen an. Ich war bereit. Bereit alles für ihn zu tun.

„Ich liebe dich."

Meine Worte wurden durch einen herzzerreißenden Schrei unterdrückt, als ich das heiße Metall direkt auf Kadens Wunde drückte. Ein lautes Zischen flog durch die Luft, dampf strömte von der Kontaktstelle von heißem Eisen und Haut auf. Der Geruch verbrannter Haut breitete sich in meiner Nase auf.

Doch das alles war nichts im Gegensatz zu Kadens lautem Schrei den er durch eine Faust in seinem Mund zu unterdrücken versuchte und sein sich krümmender Körper, den es alle Kraft kostete sich so still wie möglich zu halten.

Tränen flossen mir über die Wangen bei seinem Anblick, ich drückte das Metall noch etwas fester auf die Stelle. Es sollte bald aufhören. Bitte lass es bald aufhören!

Kaden jauchzte auf, kleine Tränen schossen ihm aus den Augen. Wären wir in einer anderen Situation, hätte ich diesen Anblick bewundert. Er hatte noch nie vor mir geweint.

Sein Körper zitterte, Adern schossen ihm aus der Stirn und aus den Armen. Ich blickte zurück auf das Metallende und die darum schwarz verfärbte Haut. Die Blutung hatte gestoppt, zu sehen war nur noch die große Brandwunde die später eine Narbe ergeben würde. Ob das hier auch zählte? Ob Kaden dafür im nächsten Leben belohnt werden würde? Ich hoffte es sehr.

Ich zog das Werkzeug von Kaden weg, ließ es mit einem lauten Knall rechts neben mich fallen. Sofortig atmete Kaden auf, griff sich mit beiden Händen an die Seite und kippte wie in Zeitlupe zur Seite weg.

Panisch griff ich nach seinen Schultern, versuchte seinen Aufprall so gut es geht abzudämpfen. Er stöhnte qualvoll auf, zog immer wieder hektische Atemzüge in seine Lunge. Erneut Panik machte sich in mir breit. Was sollte ich nun tun?

Auf dem harten Boden rutschte ich auf seine andere Seite, positionierte mich so das er seinen Kopf auf meinem Schoß ablegen konnte. Schweißperlen rannten über seine Stirn und ich versuchte diese wegzuwischen. Doch meine Sicht war verschwommen, zu viele Tränen liefen mir über die Wangen. Jetzt war doch alles wieder gut, oder nicht? Jetzt würde alles wie vorher werden? Kaden würde es besser gehen und wir bekamen unser normales Leben zurück. Oder?

„Alles wird gut.", flüsterte ich, beugte mich herunter um Kaden einen sanften Kuss auf die Stirn zu drücken.

Er zitterte, griff sich verkrampft an die Seite. „Mehr.", stöhnte er, griff blind nach dem schwarzen Koffer neben uns.

Schnell griff ich nach der Flasche und der Spritze die er vorhin in der Hand gehalten hatte und gab sie ihm. Er öffnete ein Auge, betrachtete die Gegenstände und zog ohne zu zögern eine volle Spritze an Flüssigkeit aus der kleinen Glasflasche.

Ich wollte fragen ob ich ihm helfen konnte, was diese durchsichtige Flüssigkeit überhaupt bewirkte, jedoch rammte sich Kaden die Spritze in seinen Arm bevor ich auch nur eine meiner Fragen laut äußern konnte. Er traf eine dicke Ader in seinem Arm, seufzte wohlig auf als er die Flüssigkeit in seine Arterien spritzte.

Ich konnte mich nicht rühren, sah zu wie Kaden die leere Spritze zu Boden warf. Seine Atmung beruhigte sich langsam, sein Gesicht war immer noch schmerzverzehrt aber die Tränen stoppten.

Mit jeder Minute die verging in der ich ihn einfach nur anstarrte, entspannten sich weitere Muskeln von ihm, bis er mit ruhigem Atem auf dem Boden lag, den Kopf entspannt auf meinen Oberschenkeln. Schlief er? Was hatte er sich gespritzt?

Hilflos starrte ich auf die Liebe meines Lebens, wusste nicht recht was mein nächster Schritt sein sollte. Meine Tränen versiegten als ich versuchte einen Plan zu formen. Kaden brauchte mich. Er verließ sich auf mich. Und ich durfte ihn nicht enttäuschen.

Ich atmete tief ein, versuchte mich zu sammeln. Ich hatte heute einen Menschen erlöst. Ich hatte geholfen Kaden am Leben zu erhalten. Ich hatte eine Stärke in mir gefunden bei der ich mir nicht sicher war sie würde existieren. Ein leichtes Lächeln schlich sich auf meine Lippen. Ich hatte es geschafft. Und er würde es auch schaffen. Zusammen.

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Ich lebe noch :o

Kurz und knackig. Geht aber mit nem Schocker weiter.

BTW eure Kommentare sind wirklich das Beste! Egal ob ihr eure Meinung teilt, mir Fragen stellt oder eure Frustration auslasst. Ich liebe es jeden einzelnden zu lesen. Dankeschön dafür :)

Captured In My ThoughtsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt