Kai
„You deserve to be someone's time, someone's treasure, someone's reason to believe in something."
- Rania Naim
Genervt seufzt Timo auf und lehnt sich an die Haustür.
„Wie kann man denn immer so lange brauchen?", stöhnt er und verdreht die Augen. Paula und Sophia lassen sich mal wieder Zeit, obwohl sie eigentlich lange genug hatten, um sich fertigzumachen. Jule wartet wahrscheinlich schon unten auf uns.
„Sophia!", ruft Mason nach seiner Freundin, „Jetzt beeilt euch mal!"
Er legt resigniert den Kopf in den Nacken und starrt an die Decke.
„Jaja wir kommen sofort", antwortet sie aus Timos Zimmer, in welchem die beiden sich geschminkt und umgezogen haben. Ich schüttle schnaubend den Kopf.
„Das hat sie doch schon vor 10 Minuten gesagt", brumme ich. Keine Ahnung, was die beiden da veranstalten und warum es so lange dauert, aber langsam schwindet meine Geduld. Wir wollen doch einfach nur Essen gehen und nicht feiern oder zu einer Fashionshow oder einem anderen Ort, der diesen Aufwand rechtfertigen würde.
„Und vor 20 Minuten auch", meint Timo und lässt sich langsam an der Tür auf den Boden rutschen. Ich nutze die Zeit und überprüfe zum 200. Mal meine Frisur im Spiegel. Tatsächlich hat sie sich immer noch nicht verändert. Wie auch? Schließlich warte ich seit bestimmt 30 Minuten im Flur auf die Mädels.
„Digga es reicht jetzt. Ich gehe schon mal zu Jule, der wartet bestimmt schon auf mich", verkünde ich und deute meinem Mitbewohner, dass er aufstehen soll. In dem Moment kommen allerdings auch endlich Paula und Soph in den Flur. Wie zu erwarten, gemessen an der endlosen Zeit, die sie gebraucht haben, sehen die beiden perfekt gestylt aus. Die Brünette trägt ein kurzes weißes Kleid, bei dem nur eine Schulter bedeckt ist und hat ihre Haare im Nacken in einem Knoten zusammengebunden. Paula trägt ein kurzes rotes Kleid mit langen Ärmeln, aus einem Seidenstoff und offene Haare dazu. Mason bleibt der Mund offenstehen, während er seine Freundin mustert. Timo schaut ähnlich, als er Paula sieht. Die beiden sind schon manchmal ziemliche Simps, wenn es um ihre Freundinnen geht. Aber was kann ich da schon zu sagen? Ich bin bei Jule selbst nicht wirklich besser. Wahrscheinlich eher im Gegenteil. Schon der Gedanke an ihn lässt mich grinsen wie einen Vollidioten. Mason legt seinen Arm um Soph und bewundert sie anerkennend.
„Wow, du siehst unfassbar heiß aus, Love", staunt er grinsend. Mein Handy klingelt und ich muss nicht mal draufschauen, um zu wissen, dass es Julian ist. Er hat wohl auch langsam keine Lust mehr ewig im Auto auf uns zu warten.
„Ihr seht beide absolut wunderschön aus, aber können wir jetzt bitte los? Jule wartet", rufe ich und wedle mit meinem klingelnden Handy in der Luft herum. Die beiden Frauen schlüpfen noch in passende Schuhe und ihre Mäntel, bevor wir endlich die WG verlassen. Mein Freund ist dieses Mal mit dem Range Rover gefahren, auf den ich sofort zu laufe. Mason und Soph fahren in seinem Auto, da wir nicht alle sechs in eins passen würden, zumindest nicht auf legalem Wege. Euphorisch reiße ich die Beifahrertür auf und setze mich in Jules Auto. Er sieht so gut aus, dass es verboten gehört. Eins seiner weißen Hemden schmiegt sich an genau den richtigen Stellen an seinen Körper und betont seine Muskeln. Frisch rasiert und die blonden Haare perfekt nach oben gestylt mit diesem Lächeln, dass sein einzelnes Grübchen auf der Wange zum Vorschein bringt.
„Fuck", platzt es aus mir heraus. Amüsiert zieht er eine Augenbraue nach oben und sieht mich fragend an.
„Nette Begrüßung, Havy. Freut mich auch dich zu sehen."
Ich spüre, wie mir die Farbe ins Gesicht steigt und kratze mich verlegen im Nacken.
„Sorry, du siehst einfach so heiß aus", nuschle ich. Jule beugt sich zu mir rüber und ist kurz davor seine Lippen auf meine zu legen, als ich eine Gruppe Mädchen bemerke, die hinter uns aus dem Wohnheim kommen. Ich drücke ihn sanft weg und lächle bedauernd. Er bemerkt sie ebenfalls und seufzt schwer. Viel zu gerne würde ich jetzt meine Lippen auf seine pressen. Aber natürlich will ich hier nicht seinen Job gefährden mit alle den Studenten um uns herum.
„Danke, du siehst auch ziemlich gut aus", erwidert er schließlich und greift nach meiner Hand. Timo räuspert sich auf dem Rücksitz und ich drehe mich verwirrt um. Paula und mein Mitbewohner sitzen auf der Rückbank und schütteln langsam den Kopf. Ich habe nicht mal mitbekommen wie die beiden eingestiegen sind.
„Können wir dann los?", fragt der dunkelblonde und greift nach Paulas Hand. Jule nickt den beiden zu und startet den Motor.
Das Restaurant, welches mein Freund ausgesucht hat, ist ziemlich schick und vermutlich auch verdammt teuer.
„Oh ich habe vergessen zu erwähnen, dass ich Marco und Mario auch eingeladen habe. Ich hoffe das ist okay", erklärt Jule, als er seine Freunde am Eingang stehen sieht. Timo strahlt förmlich und Mason nickt eifrig.
„Na klar, die beiden können immer gerne kommen", lächle ich. Ich habe die beiden schon richtig in mein Herz geschlossen. Besonders Marco, weil er sich so um Jule kümmert und sorgt. Aber Mario natürlich auch. Wir begrüßen die beiden und gehen rein. Unser Tisch ist etwas abseits von den restlichen Gästen, was vermutlich auch an den Profifußballern unter uns liegt. Die beiden wollen sicher lieber ihre Privatsphäre haben. Ich setze mich neben meinen Freund, während Timo und Paula sich neben mich setzen und die anderen uns gegenüber Platz nehmen. Jule bestellt zuerst Sekt für uns alle, schließlich müssen wir darauf anstoßen, dass wir endlich frei sind. Zumindest bis in ein paar Wochen die Uni wieder anfängt. Aber davon will ich mich jetzt nicht runterziehen lassen. Juli greift nach meiner Hand unterm Tisch, während ich mit der anderen in der Speisekarte blättere. Der blonde lächelt mich an und lehnt sich zu mir rüber.
„Du siehst so unfassbar gut aus heute", haucht er. Mit seiner Hand streicht er durch meine Haare und über meine Wange. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals und ich muss schlucken, als er mir noch näherkommt. Will er mich etwa hier in der Öffentlichkeit küssen? Der Tisch ist zwar etwas geschützt, aber andere Gäste könnten uns trotzdem sehen. Obwohl ich schon gerne endlich seine Lippen auf meinen spüren würde. Sein Atem streift mein Gesicht und ich befeuchte meine Lippen. Als er mich wirklich küssen möchte kommt die Kellnerin an unseren Tisch und bringt uns den Sekt. Schnell rücke ich von meinem Freund ab und kratze mich verlegen am Hinterkopf. Timo wirft mir einen mitleidigen Blick zu und nimmt sein Sektglas entgegen. Ich räuspere mich und zwinge mir ein Lächeln auf die Lippen. Hoffentlich hat sie mich und Jule nicht gesehen. Es wäre ein leichtes ein Foto zu machen und es der Presse zu schicken. Als hätte die Sache im Gericht nicht schon gereicht. Irgendwie seltsam, dass ich heute noch keine Artikel dazu sehen konnte. Wenn mein Freund jetzt auch noch seinen Job verlieren würde wegen seiner verdammten Familie, hätten sie ihm noch eine Sache mehr versaut.
„Auf die endlich geschafften Klausuren", reißt Mason mich aus meinen Gedanken.
„Und auf Julian, der uns hierher eingeladen hat", fügt Soph hinzu und hebt ihr Glas. Grinsend hebe ich ebenfalls das Glas und beschließe den Moment zu genießen. Sorgen kann ich mir später immer noch genug machen.
„Auf die hoffentlich auch bestandenen Klausuren", rufe ich und wir stoßen alle miteinander an. Jule zwinkert mir zu und legt seine Hand auf mein Bein. Seine Nähe zu spüren, gibt mir gleich ein Gefühl von Sicherheit.
„Und wie habe ich abgeschnitten?", fragt Mason an den älteren blonden gerichtet.
„Ja habe ich bestanden, Juli?", frage ich hoffnungsvoll. Er hat doch sicher schon einen Blick auf die Klausuren geworfen und kann zumindest grob sagen, in welche Richtung meine Note geht. Bedauernd hebt er beide Hände.
„Tut mir leid. Ich werde deine Klausur nicht korrigieren", erklärt er ernst. Mein Herz sinkt und ein flaues Gefühl macht sich in meinem Magen breit. Was habe ich falsch gemacht? Habe ich irgendwas vergessen? Glaubt er das ich betrogen habe?
„A-aber wieso denn nicht? Ich habe nicht gespickt, Jule", beteuere ich leicht panisch. Ein beruhigendes Lächeln erscheint auf seinem Gesicht.
„Weiß ich doch, Havy. Aber ich habe gekündigt."
„Ach so... Warte was?" Hat er das gerade wirklich gesagt? Er hat gekündigt?
„H-heißt das, dass wir...", stammle ich völlig fassungslos. Der Blondhaarige strahlt über sein ganzes Gesicht und nickt.
„Genau das heißt es. Wir müssen uns nicht mehr verstecken", erklärt er atemlos. Schon den ganzen Abend warte ich darauf meine Lippen auf seine zu legen, weshalb ich nicht länger zögere. Ich greife in seinen Nacken und ziehe ihn zu mir. Stürmisch presse ich meine Lippen auf seine. Er erwidert den Kuss leidenschaftlich und greift mit seiner Hand in meine Haare. Meine Zunge dringt in seinen Mund ein und er zieht mich noch näher zu sich. In lustvollen Berührungen streicheln unsere Zungen einander und wir denken gar nicht daran uns voneinander zu lösen. Schnaubendes Lachen ertönt um uns herum, während wir weiter völlig schamlos in unseren Kuss vertieft sind.
„Schön, dass Jules Arbeitslosigkeit euch so horny macht, aber können wir jetzt vielleicht bestellen?", seufzt Timo. Widerwillig löse ich mich von dem älteren, doch er zieht mich nochmal an sich und küsst mich sanft. Atemlos sehe ich in seine blauen Augen und kann mir das Grinsen nicht verkneifen. Er hat tatsächlich gekündigt.
„Ich liebe dich", wispert er an meinen Lippen.
„Und ich dich erst." Erst in diesem Moment bemerke ich die Kellnerin die verlegen an der Seite steht und offensichtlich nur auf unsere Bestellung wartet.
Schnell bestelle ich irgendwas von der aufgeschlagenen Seite in der Speisekarte und werde dabei wahrscheinlich rot wie eine Tomate, ähnlich wie mein Freund. Deutlich erleichtert, dass sie endlich gehen kann, verschwindet die junge Frau von unserem Tisch. Ach du Scheiße, war das unangenehm. Aber das war es definitiv wert.
„Glückwunsch?", gratuliert Marco fragend. Jule strahlt wieder und nickt seinem besten Freund zu.
„Danke Bro. Es hat sich einfach wie der einzig richtige Schritt angefühlt nach der Gerichtssache. Ich wollte nicht das Kai rausfliegt oder in der unangenehmen Situation sein mich mit ihm vor der Uni rechtfertigen zu müssen. Diese Beziehung ist mir viel wichtiger als ein Job, den ich nur wegen der Umstände annehmen musste", erklärt er und legt seine Hand über meine, die auf dem Tisch ruht. Wärme erfüllt meine Brust, während ich ihn von der Seite ansehe. Ich kann mein Glück kaum fassen. Ich hätte nie damit gerechnet, dass der Blonde so ein Opfer für mich bringen würde. Auch noch so überraschend. Er dreht seinen Kopf zu mir und betrachtet liebevoll lächelnd mein Gesicht.
„Was ist eigentlich mit der Presse? Ich habe noch gar keine Artikel gesehen", überlegt Mario verwirrt. Seufzend lehnt Jule sich zurück und zuckt mit den Schultern.
„Ich habe sie gebeten das noch ein paar Tage hinauszuzögern und ihnen im Gegenzug ein Interview versprochen", erklärt er. Es ist überwältigend, was der Ältere alles für mich und unsere Beziehung tut. Noch nie hat jemand so viel für mich aufgegeben.
„Danke Jule. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Das hättest du nicht tun müssen", erkläre ich ehrlich. Seine Hand streicht mir eine Haarsträhne aus der Stirn, während mein Herz wieder schneller schlägt. Der ältere löst so viele Gefühle in mir aus, dass mein Körper jedes Mal so extrem auf seine Berührungen reagiert.
„Doch ich musste, aber du musst dich nicht bedanken. Ich habe das am meisten für mich selbst getan. Ich wollte in deiner Gegenwart nicht mehr ständig mit meiner Selbstbeherrschung kämpfen müssen." Zärtlich lege ich meine Lippen wieder auf seine. Bevor wir uns wieder richtig küssen können, stößt Timo mich an.
„Dann steht dem Urlaub ja nichts mehr im Wege", verkündet er mit diesem breiten Grinsen im Gesicht. Wir planen schon seit längerem die Zeit, die uns bis zum Semesterbeginn bleibt zu nutzen, um ein paar Tage wegzufahren. Allerdings habe ich Jule bis jetzt nicht davon erzählt. Andere Dinge waren in letzter Zeit einfach wichtiger. Seine Genesung, die Gerichtstermine, meine Klausuren und der Lernstress haben mich so einiges an Zeit und Nerven gekostet.
„Stimmt jetzt sollte Jule auf jeden Fall Zeit haben", grinst Mason.
„Er muss auf jeden Fall mitkommen", meint Timo. Der Engländer und seine Freundin nicken energisch und Paula stimmt ebenfalls zu. Marco und Mario sehen eher verwirrt aus.
„Ja natürlich muss er mitkommen. Ich glaube ich halte Kai keine zwei Tage aus, wenn er Jule vermisst", informiert Mase uns mit einer Grimasse im Gesicht. Ich zeige ihm den Mittelfinger. Der spinnt wohl, als wäre ich ohne meinen Freund unerträglich.
„Hey so schlimm bin ich gar nicht", widerspreche ich ihm stirnrunzelnd. Meine Freunde lachen los, als hätte ich den besten Witz des Jahres erzählt.
„Klar Kai, null anstrengend. Als wir in Holland waren, hast du ihm die ganze Zeit geschrieben und uns vollgejammert wie viel mehr Spaß das alles mit Julian machen würde", stellt meine beste Freundin mich bloß. Wie kann Soph mir so in den Rücken fallen?
„Und zu dem Zeitpunkt wart ihr nicht mal zusammen und Holland war nur ein Tagesausflug", fügt sie noch hinzu. Ich verdrehe die Augen und verschränke die Arme vor der Brust. Beste Freunde sollten einander doch unterstützen, oder? Danke für nichts, Soph.
„Ach du übertreibst nur. So war das gar nicht", verteidige ich mich. Mase zieht eine Augenbraue hoch, während Timo schnaubt. Vielleicht sollte ich es einfach zugeben, bevor sie meinem Freund noch davon erzählen, wie sie mir Mut zusprechen mussten und mich quasi überredet haben Jule meine Gefühle zu gestehen.
„Nein stimmt eigentlich war es noch schlimmer", murrt mein Mitbewohner. Wie kann man nur so nerven, wie meine Freunde? Seufzend löse ich die verschränkten Arme und rutsche mit meinem Stuhl näher an Julian. Er legt seinen Arm auf die Rückenlehen meines Stuhls, dabei lehne ich mich an ihn.
„Also ist es beschlossen. Julian kommt mit", ruft Mason euphorisch.
„Kann mich vielleicht jemand aufklären? Wohin soll ich mitkommen?", fragt der blonde verwirrt. Paula und Sophia erklären ihm unsere konkreten Pläne für eine Woche in das Ferienhaus von Sophs Eltern zu fahren, welches sich in Holland ziemlich in der Nähe vom Meer befindet.
„Du hast doch jetzt Zeit dazu, oder?", fragt die Brünette hoffnungsvoll. Langsam nickt mein Freund und streicht mit seinen Fingern über meine Schulter.
„Moment nicht so schnell", mischt Marco sich ein.
„Ihr könnt natürlich auch mitkommen", nehme ich ihm seine Frage vorweg. Genug Platz wäre in dem Ferienhaus auf jeden Fall. Als Kind bin ich häufig mit meinen Geschwistern bei Sophias Familie mitgefahren. Dieses Haus und dieser Ort am Meer gehören definitiv zu meinen
Liebsten Erinnerungen. Meine Mutter war sogar ein paar Mal mit uns dort, wenn sie sich mal freigenommen hat. Das waren immer die besten Urlaube. Jetzt nochmal mit all unseren Freunden dorthin zu fahren, stelle ich mir ähnlich schön vor.
„Wir stecken doch noch mitten in der Saison, aber Danke Kai", lächelt Mario. Fuck stimmt. An den vollen Terminkalender eines Profifußballers habe ich in dem Moment nicht gedacht. Mario sieht zu Marco rüber und schmunzelt, als dieser ihn vielsagend ansieht. Vielleicht hätte ich ihn nicht einfach unterbrechen sollen.
„Aber das wollte Marco auch gar nicht sagen, stimmts?", fragt er den Dortmunder Kapitän. Dieser nickt und lässt sich von seinem Mann den Arm um die Schulter legen.
„Vielleicht ist es besser, wenn du hier bleibst Juli", fängt er an. Verwirrt schaue ich zwischen ihm und meinem Freund hin und her. Was soll das denn jetzt? Er wird es wohl eine Woche ohne ihn aushalten. Oder will er nicht, dass Juli Zeit mit mir verbringt? Verständnislos erwidert Jule den Blick des älteren.
„Was? Ich dachte du unterstützt unsere Beziehung", schnaubt er sofort in einer Verteidigungshaltung. Marco reißt die Augen auf und hebt kopfschüttelnd die Hände.
„Oh Gott so habe ich das doch nicht gemeint. Natürlich unterstützen wir eure Beziehung. Ich liebe Kai, er ist perfekt", verteidigt er sich schnell. Mein Freund zieht eine Augenbraue hoch und spannt sich an.
„Du was?"
„Ich... Man ich liebe ihn nicht so wie du, ich habe ihn einfach ins Herz geschlossen, als deinen Freund."
„Aha. Warum soll ich dann nicht mit?", fragt er immer noch ziemlich angespannt. Wie süß von Marco sowas zu sagen, auch wenn mein Freund das scheinbar komplett falsch aufgenommen hat. War Jule wirklich eifersüchtig deswegen? Warum finde ich das heiß? Irgendwas muss falsch mit mir sein. Ganz sicher. Marco räuspert sich, während er sich im Nacken kratzt. Der arme. Mir war sofort klar wie seine Aussage gemeint war und Mario offensichtlich auch, sonst wäre er wohl nicht so einverstanden mit den Worten seines Mannes. Ich habe die beiden auch richtig gern. Mit einem beruhigenden Lächeln sehe ich zu ihm rüber, während er versucht die richtigen Worte zu finden. Mario kuschelt sich an ihn, während Jules Griff um meine Schultern sich etwas verstärkt.
„Tut mir leid... Also was ich eigentlich damit sagen wollte ist... also-", stammelt er und bricht schließlich ab. Er muss echt verunsichert sein. Was auch immer er Jule zu sagen hat, scheint ihm ziemlich wichtig zu sein. Das mulmige Gefühl in meinem Bauch kehrt wieder zurück. Während ich nervös werde, entspannt Julian sich wieder etwas und streicht über meine Schulter. Sanft drückt er mir seine Lippen auf die Schläfe und lächelt beruhigend in meine und ihn Marcos Richtung.
„Alles gut. Mir tut es leid. Ich habe vollkommen überreagiert. Sag schon Bro, was ist los?", beruhigt er seinen besten Freund. Erleichtert atmet dieser auf und lehnt sich in seinem Stuhl zurück. Langsam nickt er.
„Du weißt, wie sehr ich dich als meinen besten Freund schätze. Aber ich schätze dich ebenso sehr als Fußballer", fängt er an. Jule lächelt und nickt ihm zu.
„Danke Bro, ich schätze dich auch." Beide lächeln sie sich an bevor er weiterspricht: „Deswegen bitte ich dich zurückzukommen. Die Mannschaft braucht dich, Juli. Dein Platz ist im Profifußball. Ich weiß, dass es vielleicht schwer für dich vorzustellen ist, nach allem was passiert ist, aber wir alle würden uns freuen, wenn du zurückkommst." Sein Arm rutscht von meiner Schulter und er sackt etwas in sich zusammen. Keine Ahnung, ob er einfach nur überrascht ist oder die negativen Erinnerungen an diese Zeit gerade durch seinen Kopf gehen. Vorsichtig lege ich ihm meine Hand auf den Oberschenkel und drücke sanft zu. Er sieht mich fragend an, als bräuchte er meine Bestätigung, um zuzusagen.
„Was sagst du dazu, Havy?", fragt er unsicher. Ich lege den Kopf schief, während ich sein Gesicht mustere.
„Ich glaube alles andere wäre eine Verschwendung deines Talents", gestehe ich ihm. Seine Wangen färben sich rot und er sieht mich aus großen Augen an.
„Meinst du echt?" Eifrig nicke ich und drücke ihm meine Lippen auf die Wange.
„Aber ich habe dann deutlich weniger Zeit für dich. Viermal die Woche Training morgens und nachmittags und am Wochenende Spiele", gibt er mir zu Bedenken. Ich zucke mit den Schultern.
„Du hast die Winterpause und die Sommerpause und nach dem Training hast du doch auch Zeit", erinnere ich ihn. Es ist ja nicht so, als wäre er aus der Welt und durchgehend beschäftigt. Wir werden immer noch Zeit für uns finden. Ganz sicher sogar. Außerdem gibt es keinen Job, der ihn so glücklich machen würde. Ich erinnere mich noch gut daran, wie wehmütig der ältere mit einem Ball am Fuß ausgesehen hat.
„Ich weiß nicht so richtig. An sich hätte ich schon Bock, sogar ziemlich... Aber ich bin in ein paar Tagen geoutet. Meinst du der Verein hat darauf Lust?", überlegt mein Freund und kaut auf der Unterlippe.
„Natürlich hat der Verein darauf Lust.", versichert Mario meinem Freund.
„Aber natürlich kannst du es dir erstmal überlegen", lächelt Marco. Die Kellnerin bringt unser Essen an den Tisch und für den Moment lassen wir das Thema ruhen. Aber ich kann sehen, dass es Jule immer noch beschäftigt. Er stochert in seinen Nudeln herum und isst in Zeitlupe, während die anderen ihre Gespräche wieder aufgenommen haben und sich mit anderen Themen beschäftigen. Sanft drücke ich sein Bein und hoffe, dass er mich ansieht. Doch von ihm kommt keine Reaktion.
„Jule?" Überrascht dreht er sich zu mir und wartet, dass ich weiterspreche.
„Egal wie du dich entscheidest, ich unterstütze dich und stehe hinter dir." Dankbar lächelt er mich an, während die Schmetterlinge in meinem Bauch sich mal wieder zu Wort melden. Was macht er nur mit mir?
„Danke Havy. Das habe ich gerade gebraucht." Nur durch den intensiven Blick seiner blauen Augen fühle ich mich unheimlich von ihm geliebt.
Wir sprechen nochmal über die Klausuren und das anstehende Semester und welchen Dozenten und Professor wir wohl bekommen werden. Doch irgendwann lenkt Paula das Thema vorsichtig wieder auf den Urlaub.
„Was haltet ihr davon, wenn wir nächste Woche Montag losfahren würden?", fragt sie in die Runde. Ich schlucke und schaue unsicher zu Juli rüber. Möchte ich überhaupt ohne ihn mitfahren. Natürlich habe ich auch mit meinen Freunden Spaß, aber als einziger ohne seinen Partner fühle ich mich vielleicht auch einsam.
„Klar Montag klingt super. Ich denke auf eine Woche früher oder später, die ich ins Training einsteige kommt es auch nicht an oder, Kapitän?" Marco grinst begeistert und schüttelt den Kopf.
„Gönn dir ruhig den Urlaub mit deinem Kai. Den habt ihr beide euch nach dem Drama mehr als verdient", gibt er seine Zustimmung.
„Heißt das wir müssen Diva-Kai nicht ertragen?", fragt Timo hoffnungsvoll. Dämlicher Vollidiot. Immer muss er mich nerven.
„Nein, ich denke ich habe Kai gut unter Kontrolle", meint Jule und legt großspurig den Arm um mich. Beleidigt verschränke ich die Arme vor der Brust.
„Leckt mich doch. Ihr seid selbst nervig und divenhaft manchmal", brumme ich. Paula lacht auf und streicht Timo durch die Haare.
„Da muss ich Kai recht geben. Du bist manchmal unerträglich."
„Oh Gott und Mase erst", lacht Soph los. Mit einem Gewinnerlächeln wende ich mich meinen Freunden zu.
„Seht ihr. Ihr seid kein Stück besser. Und du...", fange ich an und dreh mich zu Jule, der fast etwas ängstlich aussieht, als er die Hände hebt. Langsam schiebe ich meine Hand, die noch immer auf seinem Bein ruht nach oben und schaue ihn herausfordernd an. Er muss schlucken und schüttelt kaum merklich den Kopf, während ich seinen Oberschenkel hinauf streichle, bis ich bei seinem Penis angekommen bin.
„Die Sache mit der Kontrolle... Ich glaube das beruht auf Gegenseitigkeit", schmunzle ich und lasse wieder von ihm ab. Er beißt sich auf die Lippen und nickt langsam.
Wir besprechen noch die weiteren Details über den Urlaub. Zum Beispiel mit welchen Autos wir fahren wollen und was wir in Holland unternehmen werden. Jule greift dabei nach meiner Hand und ich lehne mich wieder an ihn. Eine tiefe innere Zufriedenheit erfüllt mich, ein Gefühl von Ruhe und Sicherheit, während ich mit unseren Freunden über einen von Timos dummen Sprüchen lache und meinen Freund an meiner Seite habe. Ich genieße diese Unbeschwertheit richtig, die wir ab jetzt hoffentlich häufiger erleben werden.
Erst am nächsten Morgen kommt die Ernüchterung und die Sorgen kehren zurück. So ein Outing ist so schon nicht leicht, wenn es dann auch noch durch die Presse geschieht, macht es das nur schlimmer. Ich kann nicht leugnen das ich Angst habe, dass Jule von irgendwelchen homophoben Arschlöchern beleidigt oder bedroht wird. Keine Ahnung, wie ich ihn davor beschützen soll. Der blonde in meinem Pullover und seiner engen Trainingshose und den weißen Socken legt den Kopf schief und lächelt mich an. Gequält lächle ich zurück. Ihm darf nicht noch mehr passieren. Das kann ich nicht zulassen. Dass ich zwangsläufig auch geoutet werde, ist mir fast egal. Wäre da nicht meine Familie. Jan und Lea wissen immer noch nichts von meiner Beziehung und wenn sie es durch einen Artikel in einer Zeitung erfahren, würde es das sicher nicht besser machen. Ich muss vorher mit ihnen reden. Nur wie stelle ich das am besten an? Gerade vor Jans Reaktion habe ich richtig Angst. Schon an Weihnachten hat er mir das Gefühl gegeben, dass er nicht gerade glücklich wäre, wenn ich auf Männer stehen würde. Jule mustert mich prüfend, während ich mit meinem Bein auf und ab wippe und mein Müsli kaum anrühre. Man muss kein Genie sein, um zu bemerken, dass ich mir Sorgen mache.
„Was ist los Baby?", fragt er mich. Nervös kaue ich auf der Innenseite meiner Unterlippe. Sollte ich ihm wirklich sagen, worüber ich mir so Gedanken mache? Der Blondhaarige wirkt nicht so, als würde er sich große Gedanken über das Outing machen. Wenn ich ihm am Ende nur Sorgen bereite oder Angst mache wäre ich alles andere als glücklich. Ich kann nicht mit ihm darüber sprechen. Zumindest nicht über meine Sorgen bezüglich der Fans und Medien.
„Wann kommen die Artikel wohl raus?", frage ich ihn, anstatt eine richtige Antwort zu geben. Er schluckt und presst für einen Moment die Lippen aufeinander. Ein Seufzen entweicht ihm und er steht auf.
„Komm mal her", bittet er mich und öffnet seine Arme für mich. Ohne zu zögern, stehe ich auf und stürze mich in seine Arme. Eng sind unsere Körper aneinandergepresst und sofort verleiht seine Nähe mir ein Gefühl von Wärme. Ich lege meine Stirn auf seiner Schulter ab und lasse mir von ihm durch die Haare streicheln.
„Tut mir leid. Ich habe noch gar nicht darüber nachgedacht welche Auswirkungen das alles auch auf dich und dein Leben hat. Scheiße ich bin so ein Vollidiot. Natürlich machst du dir Sorgen. Deine Familie weiß noch gar nichts von uns und morgen steht es in der Zeitung. Sorry Kai, keine Ahnung warum ich so egoistisch war, dass ich-", entschuldigt er sich, während er weiter meinen Kopf krault und meinen Rücken streichelt.
„Hey hör auf! Du bist nicht egoistisch. Mir ist das mit meinen Geschwistern auch erst heute eingefallen", unterbreche ich ihn und hebe meinen Kopf, um ihn anzusehen. Sein schuldbewusster Blick bewirkt, dass mein Herz sich zusammenzieht.
„Ach Jule mach dir keine Vorwürfe. Du kannst doch nichts für die Presse oder deinen Vater, dem wir das zu verdanken haben", seufze ich und ziehe ihn enger an mich.
„Wir schaffen das schon. Guck doch, was wir bis jetzt alles geschafft haben. Da ist das doch eine Kleinigkeit dagegen", versuche ich ihn, aber auch mich selbst ein wenig zu beruhigen. Er löst sich aus unserer Umarmung und greift nach meinen Händen.
„Ich weiß. Mit dir habe ich das Gefühl alles schaffen zu können. Deshalb habe ich auch keine Angst vor dem Outing. Aber das gilt nicht nur für meinen Scheiß. Wenn du es deinen Geschwistern sagen möchtest, dann bin ich dabei."
Tränen steigen mir in die Augen. Wie kann er nach all dem, was er durchmachen musste noch so positiv und optimistisch sein? Unglaublich wie toll dieser Mann ist.
„Danke ich weiß gar nicht womit ich dich verdient habe", hauche ich. Kopfschüttelnd legt er mir seine Hand an die Wange und lacht schnaubend auf.
„Du bist verrückt, Kai. Ich bin derjenige, der sich glücklich schätzen kann." Ich ziehe ihn an mich und presse meine Lippen auf seine. Seine eine Hand streicht von meiner Wange nach oben und greift in meine Haare und die andere zieht mich an meinem Po näher an seinen muskulösen Körper. Er vertieft den Kuss noch und lässt seine Zunge in meinen Mund gleiten. Leise seufzt er, während meine Hände über seinen Rücken und seinen Hintern streicheln. Wir lösen uns voneinander und atmen beide schwer.
„Ich liebe dich so sehr", wispere ich. Sein Blick wird weich, während er mich wieder in seine Arme zieht.
„Ich dich auch Havy." Behutsam hebt er mich auf seine Arme und setzt sich mit mir auf dem Schoß zurück an den Küchentisch.
„Du musst etwas essen", erklärt er, „und wir sollten uns einen Plan machen." Da hat er recht wir brauchen definitiv einen Plan.
*
Keine Ahnung wie der ältere es geschafft hat, aber er konnte die Artikel noch um einen ganzen weiteren Tag hinauszögern. Welche Kontakte auch immer er dafür nutzen musste oder was auch immer er den Journalisten dafür versprochen hat ich bin ihm unheimlich dankbar dafür. Meine Mutter hat super verständnisvoll reagiert und meine Geschwister für heute zu sich eingeladen. Auf Mama hören die nämlich in der Regel immer und kommen sofort nach Hause, wenn sie darum bittet. Bis vor ein paar Minuten war ich noch ziemlich positiv gestimmt und dachte, wir würden das mit links schaffen. Doch jetzt, wo ich mit meinem Freund vor der Haustür meines Elternhauses stehe, verlässt mich der Mut. Scheiße ich kann das nicht. Ich will zurück nach Dortmund, und zwar schnell. Sollen sie es eben aus der BILD oder sonst woher erfahren. Mir doch egal.
„Bist du bereit?", fragt Jule mit dem Finger an der Klingel. Ich schlucke und schüttle den Kopf. Mitleidig sieht er mich an.
„Ach Havy, wir bekommen das hin. Ganz sicher und wenn es zu viel wird, dann fahren wir einfach wieder", ermutigt er mich behutsam. Ich nicke ihm langsam zu und schüttle dann wieder den Kopf. Was wenn Jan mich danach hasst? Gerade als ich wieder einen Rückzieher machen möchte drückt der blonde auf die Klingel. Ich versuche meine Atmung zu beruhigen, während ich Schritte im Flur höre. Meine Mutter öffnet die Tür und zieht mich sofort in ihre Arme. Beruhigend streicht sie mir über den Rücken.
„Da seid ihr ja Spätzchen, wir haben schon auf euch gewartet."
„Tut mir leid, Mama. Ich brauchte einen Moment", erkläre ich entschuldigend. Sie lässt mich los und winkt ab und lächelt verständnisvoll. Danach zieht sie Julian in ihre Arme.
„Schön, dass du da bist Julian. Kommt doch rein", begrüßt sie ihn. Wir betreten das Haus und legen Schuhe und Jacken ab. Dann folgen wir meiner Mutter ins Esszimmer. Lea und Jan sitzen schon am Tisch und stehen auf, als sie mich und Jule sehen.
„Wie ich schon erzählt habe hat Kai heute Besuch mitgebracht", lächelt meine Mutter und macht eine ausschweifende Bewegung mit ihrer Hand. Selbstbewusst winkt Jule in die Runde und macht einen Schritt auf Jan und Lea zu.
„Hi, ich bin Julian. Freut mich euch kennenzulernen", stellt er sich vor und reicht ihnen die Hand. Meine Schwester kommt um den Tisch herum und zieht ihn in eine Umarmung, während Jan misstrauisch die Stirn runzelt.
„Julian Brandt? Dein Dozent ist Julian Brandt? Ist das nicht ein bisschen komisch, dass du ihn mit nach Hause bringst?", fragt mein Bruder argwöhnisch. Ich schlucke und weiche seinem Blick aus. Statt zu antworten begrüße ich meine Schwester mit einer Umarmung und schlage kurz mit Jan ein, der mich immer noch komisch ansieht.
„Setzen wir uns doch erstmal", lächelt Mama und setzt sich neben Lea, sodass Jule und ich zumindest über Eck nebeneinandersitzen können. Ich nehme neben meinem Bruder Platz und atme tief durch während unsere Mutter Kaffee und Kuchen an uns verteilt.
„Jetzt sag schon, warum bringst du ihn her?", fragt mein Bruder erneut.
„Kannst du vielleicht mal ein bisschen freundlicher sein?", fährt Lea ihn an uns schüttelt genervt den Kopf über sein Verhalten. Ich lächle ihr dankbar zu. Herauszögen bringt nichts. Ich kann noch so lange versuchen ein normales Gespräch mit Jan zu führen, er würde das Thema trotzdem zurück auf Jules Anwesenheit lenken. Dafür kenne ich meinen Bruder gut genug.
„Ich habe Julian mitgebracht, weil ich ihn euch gerne vorstellen wollte. Er ist nämlich nicht mehr mein Dozent, sondern mein Freund. Mir war es wichtig, dass ihr es nicht aus der Presse erfahrt. Deshalb sind wir hier", bringe ich es schließlich hinter mich. Jan verdreht sie Augen und zuckt mit den Schultern. Lea hingegen strahlt über das ganze Gesicht und freut sich sichtlich für mich.
„Was juckt es mich, dass du mit einem Fußballer befreundet bist? Oder hast du etwa auch was mit diesem Gerichtsprozess und dem ganzen Scheiß zu tun in den er verwickelt ist? Nichts für ungut Julian", brummt Jan. Ich seufze schwer. Warum ist Deutsch auch so uneindeutig, was die Begrifflichkeiten angeht? Bei Boyfriend hätte ich diese Probleme nicht gehabt oder hätte ich Partner sagen sollen? Aber wahrscheinlich hätte mein Bruder dann gedacht, dass wir eine Geschäftsbeziehung hätten.
„Herzlichen Glückwunsch, Kaichen. Das freut mich so für euch. Seit wann seid ihr denn ein Paar?", fragt Lea und ignoriert unseren älteren Bruder komplett.
„Danke, das mit uns läuft schon seit Oktober, aber offiziell zusammen sind wir erst seit ein paar Wochen", erzähle ich während Jule nach meiner Hand greift.
„Warte was? Du bist schwul?", fragt Jan entgeistert. Widerwillig wende ich mich meinem Bruder zu. Die Angst davor, was mich in seinem Blick erwarten könnte ist zu groß. Tatsächlich sieht er wenig begeistert aus. Aber nicht hasserfüllt oder gar angewidert. Sein Blick ist eher skeptisch und irritiert.
„Naja ich glaube eher ich bin bisexuell. Aber ich und Julian sind in einer Beziehung", bringe ich mit fester Stimme hervor. Langsam scheint er das gesagte zu verarbeiten.
„Zwingt er dich dazu, Kai? Du kannst es ruhig sagen. Mama hilft dir bestimmt, wenn er dir droht", meint er mit ernster Stimme.
„Wie bitte? Ich zwinge Kai zu überhaupt nichts. Ich habe gestern gekündigt, um mit ihm zusammen sein zu können, falls mein Beruf das ist, was dich stört", verteidigt Jule unsere Beziehung.
„Ich fasse es nicht. Mein Bruder ist wirklich schwul", murmelt er und schüttelt den Kopf. Ich senke den Blick und wende mich wieder Lea und meiner Mutter zu, die mich weiter bestärkend ansehen.
„Ich bin immer noch der gleiche, Jan. Es hat sich nichts geändert." Er schüttelt nur weiter den Kopf. Es tritt genau das ein, was ich befürchtet habe. Mein eigener Bruder hat ein Problem mit meiner Sexualität.
„Bist du nicht. Du kannst gar nicht der gleiche sein", faucht er. Ich beiße mir auf die Unterlippe und blinzle mehrmals, um nicht zu weinen.
„Hast du eben gesagt, dass wir es aus der Presse erfahren hätten? Heißt das die ganze Welt weiß bald Bescheid?", fragt er misstrauisch.
Langsam nicke ich und fange an die Sache mit Jules Vater und der Gerichtsverhandlung zu schildern als ich von Jan unterbrochen werde: „All meine Freunde werden es wissen? Oh Gott, alle werden es wissen. Was sagen die Nachbarn bloß dazu? Schämst du dich gar nicht?" Tränen lösen dich aus meinen Augen und tropfen auf die Tischplatte. Mein Freund drückt meine Hand etwas fester.
„Nein, aber ich schäme mich für dich", knurrt Jule wütend.
„Halt du lieber die Klappe! Du bist doch hier das Problem. Vor dir war Kai noch normal, nur wegen dir ist er jetzt so", ruft Jan aufgebracht. Mama schnappt geschockt nach Luft.
„So habe ich dich aber nicht erzogen. Kai ist doch kein anderer Mensch, nur weil er jetzt festgestellt hat, dass er Julian gut findet", erklärt sie ruhig. Weitere Tränen laufen mir über die Wangen. Ich kann nicht glauben, dass das hier passiert. Jan schnaubt verächtlich und steht auf.
„Tut ihr ehrlich so, als wäre das normal? Kai ist schwul und ihr tut so als wäre das kein Problem?", ruft er und baut sich vor mir auf.
„Das ist doch krank, Kai! Irgendwas stimmt doch nicht mit dir. Wie kann man denn Männer geil finden? Bah! Mich schüttelt es schon, wenn ich nur daran denke", keift er und beugt sich zu mir runter. Julian steht ebenfalls auf und stellt sich schützend vor mich.
„So sprichst du nicht mit Kai! Wie krank kann man sein sowas zu seinem eigenen Bruder zu sagen? Du bist hier derjenige, der nicht ganz normal ist. Komm mal im Jahr 2022 an, Digga. Wir sind gleichalt soweit ich weiß und doch verhältst du dich wie jemand aus dem Mittelalter", verteidigt Jule mich und funkelt meinen Bruder wütend an. Ein leises Schluchzen entkommt meinen Lippen und er dreht sich schnell zu mir um. Er bückt sich zu mir runter und legt seine Arme um mich.
„Sollen wir gehen?", fragt er mich besorgt. Ich lasse mich an ihn sinken und schluchze an seiner Brust. Obwohl ich die Befürchtung hatte, dass Jan etwas dagegen haben könnte, habe ich das Gegenteil gehofft. Es tut so weh, diese Worte von seinem eigenen Bruder zu hören. Ich klammere mich an Jule und weine ungehemmt in seinen Pullover.
„Ja bitte", schluchze ich und hoffe, dass er mich irgendwie verstehen kann. Er hilft mir hoch und stützt mich, während ich mir über mein Gesicht wische. Ich will nicht mehr vor Jan heulen. Dann hält er mich nur für noch eine größere Schwuchtel als ohnehin schon. Auch wenn er das Wort nicht ausgesprochen hat ist es klar, dass er genau das von mir denkt.
„Ich glaube es ist besser, wenn wir jetzt gehen", erklärt Jule für mich und dirigiert mich Richtung Tür.
„Es sollte eine andere Person gehen, aber ich verstehe euch schon", meint Lea und wirft Jan einen bösen Blick zu.
„Ich stehe immer hinter dir Kaichen, das weißt du", fügt sie noch hinzu und streicht über meinen Rücken.
„Danke Lea, danke Mama. Ich melde mich bei euch", bringe ich irgendwie hervor. Ich muss jetzt einfach hier raus. Keine Sekunde länger kann ich meinen Bruder um mich herum ertragen. Ich bin Jule so unendlich dankbar dafür, dass er hier ist und mich so beschützt. Ohne ihn... ich will es mir nicht mal vorstellen.
„Kai ich-"
„Halt die Fresse, Jan. Ich lasse mich nicht nochmal von dir beleidigen", fauche ich und richte mich richtig auf. Ich will ihm nicht das Gefühl geben, dass seine Worte irgendeine Macht über mich hätten, auch wenn es ganz offensichtlich so ist. An der Hand ziehe ich meinen Freund nach draußen und schaffe es sogar bis zum Auto die Tränen zurückzuhalten, die sich wieder in meinen Augen gesammelt haben. Erst als Jule sich anschnallt und den Motor startet kullern sie wieder über meine Wangen.
„Es tut mir so leid, Havy", wispert er.
„Mir auch, Jule. Ich kann kaum glauben, wie ekelhaft er mit dir gesprochen hat", schniefe ich. Der blonde sieht besorgt zu mir und möchte noch etwas sagen, aber ich schüttle den Kopf. Ich will jetzt nicht darüber reden und vor allem will ich nicht noch länger vor diesem Haus sein.
„Bitte fahr einfach. Ich kann das jetzt nicht." Er legt behutsam seine Hand auf mein Bein und fährt schließlich los. Allein diese Geste lässt mich spüren, dass ich nicht allein bin mit dieser Situation. Es ist nur seine Hand auf meinem Bein und doch sagt seine Berührung so viel mehr aus. Warum weiß er immer genau, was ich brauche?Oh man der arme Kai 🥺
Hoffentlich renkt sich das irgendwie wieder ein, aber manchmal muss man feststellen, dass man so intolerante Menschen selbst in der eigenen Familie hat 😕Ich hoffe euch hat das Kapitel gefallen ❤️
- Carmi 🤘🏻
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Forbidden Desire - Bravertz
FanfictionKai fängt endlich sein Studium in Dortmund an. So lange hat er sich drauf gefreut und jetzt ist es irgendwie doch ganz anders als gedacht. Dieser bescheuerte Professor geht ihm dermaßen auf die Nerven, dass er sich gar nicht mehr auf die eine Sache...