Dienstagabend - Teil5

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Sofort drängt sich die Erinnerung an das letzte Mal, als diese Klemmen im Einsatz waren, in den Vordergrund. ‚Position fünf!' schießt es mir durch den Kopf – genau wie die Feuchtigkeit zwischen meine Beine. Und ganz automatisch gerate ich in Bewegung. Auf dem Rücken bin ich schon mal richtig. Hände an die Seite, Beine gespreizt anwinkeln.

Verdächtige Ruhe.

Nicht gut.

Vorsichtig öffne ich meine Augen, die ich wohl wiedermal unbewusst geschlossen hatte. Und begegne seinem allzu ruhigen Blick. Oh Scheiße... Das spitzbübische Lächeln von gerade eben ist verschwunden. Stattdessen schaut er mich aus leicht zusammengekniffenen, nicht mehr braunen, sondern fast schwarzen Augen an. Die Lippen schmal, um die Mundwinkel wieder dieser strenge Zug... Diesen Ausdruck kenne ich. Und ich beginne zu hoffen, dass die Pizza bald fertig ist...

„Hatte ich etwas von Position fünf gesagt?"

„Nein, mein Herr."

„Versuchst Du gerade mir vorzuschreiben, was ich mit Dir machen soll???"

Oh nein...

Bitte nicht! Nicht nochmal...

Nur zu gut kann ich mich daran erinnern, wie sauer er damals war, als er eine meiner E-mails missverstanden hatte! Seine Antwort hatte mich dermaßen geschockt, dass ich den ganzen restlichen Tag wie betäubt durch die Gegend gelaufen bin. Die Worte haben sich förmlich in mein Gedächtnis eingebrannt:

‚Sollte ich Dich so verstehen müssen, dass Du mir Vorschriften machen willst, was ich mit Dir anzustellen habe, dann wirst Du mich von einer anderen Seite kennenlernen. Ich werde das mal ganz klar ausdrücken: Du hast zu tun, was Dom Dir sagt. Deine Vorlieben darfst Du mir mitteilen, wenn ich danach frage. Du darfst unterwürfig bitten, wenn ich es Dir erlaube. Aber wehe Du versuchst die Kontrolle zu übernehmen und Dir etwas zu holen, das ich Dir in diesem Moment nicht zugestehe. Wie gesagt, dann wirst Du mich von einer anderen Seite kennenlernen. Eine Entschuldigung ist angesagt!'

Ohne es zu wissen hatte er gleich mehrere Formulierungen verwendet, die meine Kindheit offensichtlich mehr geprägt haben, als mir bis zu diesem Moment bewusst war. Das machte die Sache noch schlimmer für mich, als seine Unterstellung sowieso schon war.

Den Tag, an dem diese mail von ihm kam, werde ich wohl so schnell nicht vergessen.

Innerlich aufgewühlt und gleichzeitig völlig leer ging ich meinen Aufgaben nach. Mehrmals wurde ich in der Stadt von wildfremden Menschen angesprochen, ob es mir gut geht. Und am peinlichsten war es, als ich an der Bushaltestelle stand und erst auf die besorgte Nachfrage zweier Leute hin merkte, dass mir die Tränen über das Gesicht liefen. So konnte ich keinesfalls weiter durch die Gegend laufen. Ich brauchte einen Ort, wo ich meinen Gedanken nachhängen und vielleicht auch weinen konnte, ohne dass das jemandem groß auffallen würde. Und ein solcher war sozusagen direkt vor meiner Nase. Noch nie war ich so dankbar gewesen in einer Stadt zu leben, in der aller zweihundert Meter eine Kirche steht, wie in diesem Moment.

Nach wenigen Schritten betrat ich das etwa tausend Jahre alte Gemäuer und ließ mich dankbar von der Kühle im Inneren umfangen. Wie immer war das Hauptschiff bevölkert von Touristen aus aller Herren Länder. Schnell wandte ich mich von der Masse ab und ging am Altar und dem Taufbecken vorbei in eine der weniger bekannten Seitenkapellen. Die wenigen Fremden, die sich hierher verirren, gehen meist ganz schnell wieder, weil es nicht viel zu sehen gibt. Schmucklose weiße Wände, Bänke und ein schlichtes Kreuz aus hellem Holz mit einer eher unspektakulären Jesusfigur. Davor Blumen. Kein Gold. Eine Enklave der Schlichtheit inmitten des überladenen katholischen Prunks vergangener Jahrhunderte.

Ich ließ mich auf einer der hinteren Bankreihen nieder und zum ersten Mal an diesem Tag gelang es mir, tief durchzuatmen. Die Kühle und Stille dieses Ortes, geschaffen um sich an eine höhere Macht zu wenden, halfen mir, zur Ruhe zu kommen und die Dinge in meinem Inneren zu ordnen. Als ich den Raum nach ungefähr einer Stunde wieder verließ, hatte ich einen Entschluss gefasst. Ich würde seine Regel, während der Arbeitszeit keine privaten mails, SMS oder Anrufe entgegenzunehmen, respektieren. Aber seine generelle Kommunikationsunwilligkeit, die zu akzeptieren mir sowieso schon schwer fiel, musste an diesem Tag hintenan stehen. Dies war nichts, was man in einer weiteren E-mail klären sollte. Ich hatte den Mut gefunden, ihn um ein Gespräch zu bitten.

Zu seinen FüßenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt