Witch Hunt - Zwei Welten, ein Kampf

04: Lügen und Geheimnisse

"Und du bist ganz sicher, dass ich nicht herunter fallen werde?"

"Da bin ich mir ziemlich sicher, Taehyung. Nur keine Angst, du machst das schon ziemlich gut. Noch ein klitzekleines bisschen höher vielleicht..."

"Ich bin doch schon hoch genug, oder?"

Su - Ji konnte sich ein herzliches Lachen nicht verkneifen, während sie ihrem vor schierer Panik zitternden Freund beim Fliegen zuschaute.

Taehyung packte den Besenstiel fest mit beiden Händen und versuchte, möglichst nicht nach unten zu gucken, während er Asaji etwas unbeholfen durch die Luft manövrierte.

Gleich hinter dem Universitätsgebäude lag ein riesiger Sportplatz, der aber leider so gut wie nie genutzt wurde und langsam aber sicher vor sich hin vegetierte.

Ursprünglich war er dazu gedacht gewesen, illegale Zentaurenrennen zu veranstalten, bis die reformierten Gesetze des Hexenrats den Sponsoren vor knapp zwei Jahren einen Strich durch die Rechnung machten und das ziemlich gewalttätige Spektakel für immer einstellten.

Und außerdem konnte man Zentauren schlecht mit echten Pferden vergleichen...

Su - Ji war überglücklich, dass sich für die Zwischenwesen endlich alles zum Guten gewendet hatte und diese nun in Scharen die Hexenwelt besuchten, um sich von ihr behandeln zu lassen.

Denn vor geraumer Zeit war dies nämlich noch ganz anders gewesen, als man die vielen wundersamen Geschöpfe wie Sklaven hatte schuften lassen, sie für ihre oft todbringende Arbeit nicht einmal gerecht bezahlt hatte.

Auch Su - Ji hatte einen Troll in ihrer Praxis gehalten, ihm regelmäßig zu Essen und sein Geld gegeben und dennoch nicht die Freiheit geschenkt.

Ihr damaliger Freund Enzo hatte ihn ihr aus Paris mitgebracht, gesagt, dass "dieser ekelhafte Popelfresser mit einer gehörigen Tracht Prügel schon irgendwie weich werden würde".

In Frankreich besaßen nur die Adeligen Hausangestellte in Form von Trollen, Nymphen oder Kelpies, konnten sie beinahe wie in einem Zoo zur Schau stellen und an den Höchstbietenden verkaufen.

Und da Enzo aus einer recht wohlhabenden Familie kam und Su - Ji damals dringend günstiges Personal gebraucht hatte, hatte sie sich auf sein Angebot eingelassen.

Welch schrecklichen Fehler sie doch begangen hatte!

Den anderen um sie herum hatte sie immer erzählt, dass Enzo ihr nichts Böses und doch nur helfen wollte.

Sie hatte gelogen, ihn auf den ersten Blick durchschaut und war nun ziemlich froh, dass sie diesem elenden Mistkerl den Rücken gekehrt hatte.

Denn Enzo war nämlich kein Mischling, wie sie Taehyung einst berichtet hatte, nur um ihm den Kummer über Zuko zu nehmen.

Er war zwar Musikmagier und nahm öfter an Duellen in der Arena teil, doch der ganze Rest über ihn stimmte kein einziges bisschen.

Er war nicht entführt worden, sondern lauerte womöglich ganz in der Nähe auf sie und wartete auf seinen ersten Zug, Su - Ji zurück zu erobern.

Wenn nötig, würde er sogar Gewalt anwenden müssen, um das zu bekommen, was er wollte.

Enzo würde sie und Taehyung gnadenlos auseinander reißen, ihm seinem treuen Meister ausliefern, wie es von Anfang an geplant gewesen war.

Und dann würde er ihm das Herz durchbohren, wie er es mit allen anderen zuvor getan hatte, die sein Mädchen für sich beanspruchen wollten -

"Su - Ji, guck mal!", rief der junge Alchemist von oben herab und die Heilhexe verdrängte ihre hässlichen Gedanken, folgte Taehyungs Beispiel.

Nach all den Jahren hatte er seine Höhenangst nun endlich überwunden und zischte jubelnd über Su - Jis Kopf hinweg, drehte ein paar waghalsige Loopings.

Schließlich landete er und reichte der Heilhexe ihren Besen, doch Su - Ji winkte ab:

"Du kannst ihn behalten. Auf mich ist er nicht mehr so gut eingestimmt, seit ich die Bindung zwischen uns gekappt habe - lange Geschichte. Jedenfalls wird er auf dich mehr hören als auf mich!"

Sie lächelte zaghaft, doch ihre traurigen Augen sagten etwas ganz anderes, was Taehyung sofort bemerkte.

"Su - Ji, was ist denn los? Du siehst so blass aus, geht's dir nicht gut?"

Die Heilhexe seufzte tief und entgegnete:

"Du erinnerst dich an Enzo, oder? Darüber, dass er ein Mischling und entführt worden ist? Nun ja, ich..."

Sie holte tief Luft, schluckte schwer.

"Ich hoffe sehr, dass es ihm gut geht. Egal, wo er jetzt gerade ist!"

Taehyung beäugte seine Freundin argwöhnisch von der Seite, fast glaubte Su - Ji, dass er ihre Gedanken lesen konnte.

Du lügst, knurrte Enzos Stimme in ihrem Kopf, schnitt wie tausend Messerstiche durch ihr Bewusstsein.

Wir beide wissen genau, dass er dir nicht gut tut. Allein mir gilt deine Loyalität und sonst niemandem dort draußen, hast du mich verstanden? Ist das etwa der Dank dafür, dass ich dir jede Nacht etwas auf der Laute vorgespielt, dir mein Herz ausgeschüttet habe? So dankst du mir nun, Su - Ji?

Oh Nein, so weit wird es nicht kommen. Ich werde diesen Kim Taehyung in Stücke reißen, bis er um Gnade winselt und du wirst zu mir zurück kehren.

Denn ansonsten werde ich dich beseitigen, ganz so, wie es mein Meister mit dreckigen, liebeskranken Geschöpfen vorzieht...

Ohne Vorwarnung schlang Taehyung die Arme um Su - Ji und küsste sie, vertrieb diese quälenden Worte endgültig aus ihrem vergifteten Gedächtnis.

Su - Ji schmiegte sich ganz eng an ihn und genoss den so zärtlichen Moment, Taehyungs Wärme und seine leidenschaftlichen Küsse auf ihrer weichen Haut.

"Ich werde dich beschützen, egal was passiert!", wisperte er, die Heilhexe schlug missmutig die Augen nieder.

Wenn das nur so einfach wäre.