Kapitel 5 - Weylan

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Jeder im Dorf hatte schon seit dem Vortag damit gerechnet, daher wurde die Plagenglocke auch nur mit mäßigem Enthusiasmus geläutet, als der Spawnpoint aufleuchtete.

Ein junger Mann in Kettenhemd, gerüstet mit Schwert und Schild, erschien von einem Moment auf den anderen auf der Plattform. Er sah sich um, dehnte sich wie nach einer langen Reise in einer Kutsche und strich sich mit der Hand durch seine grell orangefarbenen Haare. Er sah sich mit großen Augen und einem fast manischen Grinsen um und trat dann nach vorne herunter. Er bückte sich, wischte mit der Hand über das Kopfsteinpflaster und rieb etwas Dreck zwischen den Fingern. „Wahnsinn. Sogar mit Geruch. Und die Farben..."

Er stand auf und sprang ein paar Mal auf der Stelle auf und ab. Ohne sich um die Zuschauer zu kümmern, die vorsichtig ein paar Schritte zurücktraten, zog er sein Schwert und fuchtelte damit in der Luft herum.

Ein Elf in weißer Robe erschien hinter ihm. Er strich sich mit der Hand über die langen Ohren und grinste dann, als hätte er sie zum ersten Mal gefunden. Er stützte sich auf einen mannshohen Stab mit eingelegten Kupferrunen, um demonstrativ würdevoll vom Spawnpoint zu schreiten. Mit einer ausladenden Geste deutete er mit dem Stab zum Himmel und rief: „Feuerbolzen!"

Die Runen und der rote Rubin an der Spitze leuchteten auf, eine faustgroße Feuerkugel erschien über der Spitze und flog nach oben davon. Der Schwertfuchtler steckte seine Waffe wieder in die Scheide und hob die rechte Hand offen nach oben. Der Elf schlug in einer seltsamen Geste mit seiner eigenen flachen Hand dagegen.

Weitere Abenteurer erschienen. Männer und Frauen in Lederkleidung, Rüstungen oder Roben sprangen von der Plattform. Die Dorfbewohner sahen zu, wie sie herumrannten, hüpften, ihre Schwerter schwangen und sinnlos wild in die Gegend zauberten. Manche führten einen seltsamen Tanz auf der Stelle auf. Andere gingen nur ein paar Schritte, senkten dann den Kopf und verharrten völlig bewegungslos für ein paar Minuten, bevor sie sich dem seltsamen Verhalten anschlossen.

Weylan sah ungläubig zu: „Vater, was machen die da? Sind die betrunken oder sowas?"

„Noobs."

„Was?"

„Das sind Noobs. So nennt man junge und unerfahrene Wiedergänger. Sie üben ihre Fähigkeiten. Jetzt sind sie noch schwach und tollpatschig, aber warte ab, bis sie ein paar Level aufgestiegen sind. In wenigen Tagen werden sie hier wie die Heuschrecken durch das Dorf jagen. Unseren Frauen nachsteigen, die Häuser durchsuchen und die Keller plündern. Von unseren Biervorräten ganz zu schweigen. Wir haben keine Kämpfer außer dem Büttel und ein paar Jägern, keiner davon über Level 6. Nicht-Kämpferklassen haben gegen gleichstufige Kriegerklassen keine Chance. Vielleicht hätten wir doch die Wölfe ertragen sollen. Ich bin so ein Narr."

Weylan klopfte ihm aufmunternd auf den Rücken und ging dann unauffällig näher an die ersten beiden Wiedergänger heran, um ihnen zuzuhören. Die beiden ignorierten ihn und die anderen Bürger komplett.

Der Krieger steckte sein Schwert, mit dem er eben schon wieder herumgefuchtelt hatte, wieder weg und wandte sich seinem Gefährten zu: „Na, was hast du mit dem Bonus für deinen alten Charakter genommen?"

Der Elfenmagier strich sich durch die langen Haare: „Nun, Gutaussehend und Charismatisch. Dieses Mal wir mich niemand ignorieren."

„Dafür hast du deine Bonuspunkte ausgegeben? Fluff Vorteile? Du bist unverbesserlich."

„Ich denke, ich werde damit Spaß haben. Denk dran, dass es sonst praktisch unmöglich ist zusätzlich zum Magietalent noch weitere Vorteile zu haben. Es gibt einen Grund, warum die meisten Magier alte bärtige Zausel oder einfach nur unattraktiv sind."

Der Krieger klopfte dem Elfen lachend auf den Rücken: „Hauptsache du hast Spaß damit."

„Und? Was hast du genommen? Dein alter Paladin hatte doch einen noch höheren Level erreicht als meiner, bevor die letzte Instanz endete."

Dungeon der Assassinen (Band 1: Questgeber)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt