Kapitel 15 - Mulnirsheim

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Der alte Mann saß auf seinem Holzstuhl mitten auf dem Marktplatz, wie jede Nacht. Gegen den gelegentlichen Nieselregen hatten die Stadtbewohner ihm bereits vor Jahren einen Unterstand gebaut. Vier Holzsäulen und ein schickes pyramidenförmiges Dach. Svendalf, der beste Schindelmacher der Stadt, hatte es mit kleinen Holzschindeln gedeckt.

Aus dem naheliegenden Gasthof trat eine junge Frau, die ihm einen Tonkrug mit einer in der kühlen Nachtluft dampfenden Flüssigkeit brachte: „Na Ulf, du brauchst bei dem Wetter sicher etwas Warmes zu trinken."

„Die Götter vergelten es dir, Huldra. Aber du kannst mir doch keinen Glühwein bringen. Was wenn ich auf Wache einschlafe?"

„Du sitzt hier jede Nacht, die dir die Götter gegeben haben. Seit dreißig Jahren. Als man dir wegen deinem kaputten Knie den Stuhl hingestellt hat, hast du gewettert, du würdest sofort einschlafen. Als wir dir den Unterstand gebaut haben, sagtest du, ohne den dauernden Nieselregen im Nacken, würdest du nie die Augen aufhalten können. Nichts davon ist je passiert. Der Tag an dem du auf Wache einschläfst, wird der Tag sein, an dem Nistrul dich in die Unterwelt geleitet."

„Der Plagenwächter zu sein, ist eine verantwortungsvolle Aufgabe."

Wie auf ein geheimes Kommando blickten beide zu der leicht erhöhten runden Steinplatte. Vier Schritt im Durchmesser, aus grauem Stein und ohne jede Verzierung. Vier mannshohe magische Dauerfackeln beleuchteten die Plattform von allen Seiten.

„Hoffen wir, dass du niemals die Glocke läuten musst."

Ulf nickte: „Das geben die Götter mein Kind. Das geben die Götter. Nach so vielen Jahren, in denen der Spawnpoint dunkel blieb, können wir hoffen, dass die Plage ein für alle Mal ein Ende hat."

„Seltsamer Begriff, Spawnpoint. Woher kommt das eigentlich?"

„Es ist aus der Sprache der Wiedergänger. Es bedeutet Ursprung der Heimsuchung."

Die Magd war von seinem Wissen beeindruckt. Sie wünschte ihm noch eine angenehme Nacht und ging dann wieder, zurück in die Wärme des vollen Gasthofes.

Ulf sah ihr lächelnd nach. Wenn er nur ein paar Jahre jünger wäre...

Ein Knarren ließ ihn herumfahren. Das Mädel hatte nicht übertrieben, als es seine Aufmerksamkeit lobte. Ihm entging nichts. Kein Monat verging, wo sich nicht ein Jugendlicher versuchte an ihn anzuschleichen und ihn zu erschrecken oder die Glocke zu stehlen oder ähnliches. Noch keiner hatte es geschafft. Nicht ein einziges Mal. Er suchte den Ursprung des Geräuschs. Ein leichter Wind kam auf. Er zog die Augenbraue hoch. Wind? Hier? Hinter der Wallmauer und zwischen den ganzen Häusern?

Ein Leuchten ließ ihn erneut herumfahren. Genau über der Mitte des Spawnpunktes schwebte ein winziges Glühwürmchen auf der Stelle. Nur, dass es in der Stadt noch nie Glühwürmchen gegeben hatte. Nur im Wald auf der Allianz-Seite. Glühwürmchen leuchteten nicht so gleichmäßig und so lange. Weitere Lichter erschienen. Ulfs Hand wanderte zu seinem Gürtel, wo der eiserne Stab steckte, mit dem er die Glocke zu läuten hatte. Wenn er sich irrte, und dass nur ein Spaß der kleinen Streuner war, würde er sich das sein Leben lang anhören müssen. Er durfte keinen Fehler machen. Vielleicht war es auch nur...

Die Lichter stoben in alle Richtungen davon und verschwanden durch die Straßen. Auf seinen Augen hinterließen sie lange gelbgrüne Spuren in der Luft. Nur ein Leuchtpunkt blieb zurück und sank langsam auf die Plattform herunter. Mit einem Aufblitzen, verschwand er. Dann begann der gesamte Spawnpunkt zu vibrieren.

Ulf zögerte nicht länger. Er machte drei schnelle Schritte zu der Glocke und schlug dagegen. Ein heller Ton ging von ihr aus. Wieder und wieder schlug er in schneller Folge das Alarmsignal. Hunde begannen genervt zu bellen. Rufe wurden laut und bald wurden die ersten Fensterläden geöffnet. Der Wirt des nahen Gasthofes eilte in seinem Nachthemd heraus, den Besen in der einen und einen Eimer mit Wasser in der anderen Hand. Unschlüssig ob er ein Feuer bekämpfen oder ein paar betrunkene Rabauken vertreiben sollte.

Dungeon der Assassinen (Band 1: Questgeber)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt