Kapitel 10

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Manchmal denke ich alles geschieht aus einem Grund. Doch wenn ich so richtig darüber nachdenke, dann denke ich das oft nur, wenn etwas geschieht, dass anders als erwartet gelaufen ist. Ich glaube ich benutze diesen Spruch, um mir selbst einzureden, dass ich das Positive in schlechten Situationen sehen muss. Ich weiß nicht, ob das eine gute Eigenschaft ist, doch mir hilft es momentan sehr.

Ich starre an die Wand und warte darauf, dass Mr. Brow mit seinem Unterricht beginnt. So sehr ich es auch versuche, ich kann mich nicht auf die heutigen Aufgaben konzentrieren. Meine Gedanken sind ganz wo anders. Es quält mich innerlich keine Lösung für Chase und meine Zukunft zu finden. Normalerweise habe ich immer einen Plan b, doch dieses Mal kann ich nur zwischen es mit Chase versuchen und vielleicht nach Hause fliegen oder getrennte Wege gehen entscheiden. Beides ist weit vom Optimalen entfernt. Ich weiß genau, er wird mich nicht in Ruhe lassen können und um ehrlich zu sein will ich das auch gar nicht. Er hat eine sehr starke Denkweise die er immer durchsetzt. Doch vielleicht ist es auch besser Chase aus dem Weg zu gehen, denn ich weiß, dass unsere Beziehung etwas toxisch ist. Es ist komisch, von einer "normalen Beziehung " mit meinem Ex Freund in eine etwas toxische mit Chase zu rutschen. Manchmal frage ich mich, ob ich die Auseinandersetzungen mit ihm hätte vermeiden können und ob ich nicht einfach überreagiert habe ?
>> Julie, is everything fine,<< fragt mich eine Stimme hinter mir.
Ich drehe mich um und blicke in Ana's besorgtes Gesicht. Sie muss wohl bemerkt haben, dass ich mich anders als gewohnt verhalte.
Ich überlege kurz, was ich antworten soll.
>> Oh yeah I am fine.<<
Ich lächle sie an und hoffe, dass das Lachen überzeugend rüberkam. Normalerweise lüge ich nicht, doch ich möchte ihr nicht in der Mathe Stunde die ganze Geschichte erklären. Vielleicht wann anders.
Es klingelt.
Ich packe meine Sachen zusammen und werfe einen schnellen Blick auf Chase. Er unterhält sich mit seinem Kumpel Eljah, der hinter ihm sitzt.
Mit schnellen Schritten laufe ich zur Tür. Chase läuft mir hinterher und packt mich am Arm. Sofort drehe ich mich um. Er zieht mich zu einem locker. Ich halte meine Bücher vor mir fest, um ein kleines Schutzschild zwischen uns zu bilden. Er steht direkt vor mir und schaut mich prüfend an. Ich weiß nicht, wie lange ich das Gespräch mit Chase noch hinauszögern will, doch jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Denn erstens hätten wir nur fünf Minuten Zeit um zu reden und diese fünf Minuten müsste ich eigentlich dafür nutzen um in meine nächste Klasse zu kommen und zweitens sind hier überall Kameras im Schulhaus.
>> When can we talk,<< fragt er. Er hält immer noch meinen Arm in seiner Hand und scheint ihn auch nicht loszulassen.
>> I don't know Chase, but now is not a good timing. <<
>> I know Julie. Can we meet after school? I really need to talk to you about this. I can't leave you alone like that and never talk to you again. We can go to my house and talk about it.<<
>> I can't just go to your house. My host mom would never allow that. If someone sees me there I'll be send back home. <<
>> Okay then let me drive you home at least. <<
Ich überlege kurz.
>> I have to ask my host mom, but I think that should be fine. <<
>> Okay,<< antwortet er etwas leiser.
Ich antworte mit einem noch leiseren "okay " und löse meinen Arm von seiner Hand.
>> I have to go to class.<< Er nickt mir zu und beobachtet wie ich von ihm weglaufe.
Es schmerzt zu wissen, dass ich nie wieder in Chase sein Haus kann. Nie wieder werde ich über die Terrasse laufen, die von wunderschönen, blühenden Bäumen umgeben ist. Nie wieder werde ich in seinem Bett liegen, dass so weich wie Federn ist. Ich vermisse das alles so. Ich vermisse sogar den Geruch nach Weed in seinem Zimmer, auch wenn ich es nicht mag das er raucht.

Ich bin froh, dass die nächste Stunde Geschichte bei Mr. Black ist. Ihn interessiert es nicht, wenn ich ab und zu an meinem Handy bin. Er mag mich und Antoine sehr, da wir beide Austauschschüler sind.
Ich beschließe, auch Antoine erstmal nichts über das Gespräch mit Branda zu erzählen. Ich bin eine Person, die solche Sachen meistens eher für sich selbst behält. Ich weiß, dass das nicht gut ist, doch das ist eine Eigenschaft an mir die ich nicht so leicht ändern kann.
>> Hey Julie, how are you, << fragt mich Antoine.
>> I am alright, how about you,<< frage ich ihn.
>> I am perfect. Why are you only alright ? <<
>> Oh I am just a bit tired, << sage ich während ich gähne.
Mr Black begrüßt uns und teilt uns mit, dass wir unseren Test von letzter Woche zurück bekommen.
Er holt einen Stapel von Papier aus seiner Tasche und fängt an die Blätter auszuteilen.
>> Very good,<< meint er, als er an meinem Tisch vorbei kommt und legt mir meinen Test auf den Tisch. Ich habe 97%, was eine 1 ist. Gespannt schaue ich zu Antoine, der seinen Test nun bekommt.
>> I have 95%,<< meint er und schaut zu mir rüber.
Ich strecke meine Hände aus und Jubel leise.
>> That's the first time I was better than you.<<
>> That was just luck,<< meint er rechtfertigend und lacht. Ich bin froh, dass Antoine es schafft mich etwas abzulenken. Er ist  ein echt guter Freund von mir geworden.
Die restliche Zeit des Schultages hat sich sehr gezogen. In Sport habe ich Sarah, der Austauschschülerin aus Österreich erzählt, was am letzten Wochenende vorgefallen ist. Sie ist die einzige, die nun davon weiß. Ich muss sagen, es hat mich sehr erleichtert ihr davon zu erzählen und uns gemeinsam über Branda aufzuregen.
Nachdem ich auch die letzte Stunde Accounting überlebt habe, mache ich mich wie gewohnt auf den Weg zu meinem Locker.
>> Oh Mist ! Ich habe meiner Gastmutter noch gar nicht geschrieben um zu fragen ob es okay ist, wenn Chase mich nach Hause fährt,<< fluche ich mir leise zu, als ich den locker erreicht habe. Ich denke sie hat nichts dagegen, doch hoffe trotzdem, dass sie schnell antwortet.
Ich sehe, wie Chase auf meinen Locker zukommt.
>> Ready to leave ? <<
Ich schaue ihn an.
>> I guess.<<
Zusammen laufen wir die Treppen hoch zum Ausgang. Ich laufe gezielt hinter ihm, um unangenehme Blicke von Lehrern oder Schülern zu vermeiden.
Wir steigen in sein Auto. Wieso fühle ich mich auf einmal so beobachtet ? Ohne ein Wort zu sagen, fährt Chase vom Parkplatz der Schule runter. Normalerweise spielt er Musik von seinem Handy ab, doch dieses Mal nicht. Für einige Minuten herrscht eine ungewöhnliche Stille im Auto.
Ich schaue aus dem Fenster, dessen Scheibe runtergefahren ist.
>> I love you Julie<<
Ich drehe mich zu Chase, der mich im gleichen Moment anschaut. Seine Mimik ist ernst. Wie kann es sein, dass vier so einfach Wörter so ein Chaos in mir auslösen? Ich hole tief Luft.
>>  Please don't say that.<<
Ich fahre mir durch die Haare.
>> I don't know what to do. You make it so hard Chase, but it's not in my hands if I can see you or not. <<
>> So you wanna stay away from me for the rest of your exchange year ? >>
Nein natürlich will ich das nicht du idiot. Ich will bei dir sein; mehr als alles andere.
>> I have no other choice, << antworte ich leise.
Ich beobachte, wie Chase sich mit seiner Hand durch sein Gesicht fährt. Er schweigt. Noch nie hat er nach einer Antwort von mir geschwiegen.
Ich ziehe meine Lippen zusammen und löse mein Blick von ihm.
Ich hätte ihm gerne eine andere Antwort gegeben, doch die Stimme von Branda verlässt nicht meinen Kopf
Die restliche Zeit der Fahrt wechseln wir kein Wort miteinander. Wenn ich gleich aussteige, war es das dann ? War es das dann für immer ?
Nach einigen Minuten erreichen wir die Einfahrt zu meinem Haus. Ich blicke zu Chase, der mich wieder mit seinen  blauen Augen anschaut.
Ich beiße mir auf meine Lippe, um nicht zu weinen. Für mehrere Sekunden schauen wir uns einfach nur an. Ich glaube wir beide warten darauf, dass der andere etwas sagt. Ich atme tief ein.
>> I do love you too,<< mit diesen Worten verlasse ich das Auto und laufe in richtung  Haustür.
Nachdem ich mich vergewissert habe, dass niemand zu Hause ist, fange ich an zu weinen. Wieso weine ich so viel seit ich hier bin ? Mein Auslandsjahr sollte wundervoll sein, doch momentan ist es alles andere als das. Ich will nach Hause, ich will das dieser Schmerz aufhört. Wieso versteht mich keiner ? Mit was habe ich es verdient so behandelt zu werden. Nur weil ich eine Austauschschülerin bin, kann mir doch nicht das Recht auf Liebe und Freundschaft genommen werden. Ich fühle mich so alleine. Alleine in einem Fremden Land, was das Ganze noch 100 mal schlimmer macht. Wahrscheinlich denken manche, dass das zwischen mir und Chase nur eine Kindergartenliebe ist, doch für mich ist es meine erste wahre Liebe und egal ob wir später Heiraten werden oder nicht, ich weiß, dass ich ihn niemals vergessen werde.
Als hätte eine andere Person meinen Körper übernommen, laufe ich zum Badezimmer und hole meinen Rasierer aus der Dusche. Ich setzte mich auf den Badenwannenrand und starre den Rasierer an.
All meine Gedanken, die in meinem Kopf umherschwirrten sind wie  verschwunden. Ich spüre nichts mehr. Ich spüre nichts, außer den Reiz etwas zu spüren. Macht das überhaupt Sinn ?
Ich weiß nicht, was aus der einst so glücklichen Julie geworden  ist, doch ich weiß, dass sie das hier niemals gemacht hätte....

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