1 - Was will er?

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"Tschau Ruby", meinte ich und schloss die Ladentür hinter mir. Und jetzt muss ich nur noch schauen...der Typ steht tatsächlich noch am Ladenfenster. Schon seit 2 Stunden stand vor dem Fenster ein Junge, der durchgängig ins Geschäft gestarrt hat. Ich ging langsam auf ihn zu. Unter seinem Umhang konnte ich sein Gesicht kaum erkennen. "Hallo?", fragte ich vorsichtig und versuchte seine Gesichtszüge zu erkennen. Es war jedoch hoffnungslos. "Kann ich Ihnen helfen?", versuchte ich erneut. Nun hob auch der Junge sein Gesicht, jedoch konnte ich trotzdem nur sein schmales Kinn und seine Lippen erkennen, welche sich zu einem leichten Schmunzeln verzogen. "Tatsächlich kannst du das, ja..." Seine tiefe Stimme verursachtete leichte Gänsehaut bei mir. "Kannst du mir zeigen wo der Hafen ist? Ich habe mich verlaufen und finde nicht mehr zurück." "Natürlich", meinte ich und begann ihm den Weg zu erklären:"Sie müssen hier den Weg hinunter und dann links und dann weiter geradeaus. Eigentlich sehen Sie es dann auch schon." Der Junge wirkte nicht so begeistert. "Ich wollte, dass Sie mich auf dem Weg begleiten." "Was? Wieso?", fragte ich schockiert und blickte ihn fragend an. Und ja, ich weiß wirklich nie, wann einer mit mir flirten will. Er wirkte jetzt leicht genervt. "Ich fand dich eben hübsch und wollte ein Gespräch mit dir beginnen. Also?" Er schaute mich jetzt fragend an. Und jetzt konnte ich auch den Rest seines Gesichts erkennen. Er hatte blonde Haare und graue Augen. Außerdem hatte er eine faszinierende Narbe, die sich über sein ganzes Gesicht zog. Jetzt schaute auch er mir zum ersten Mal in die Augen. Wenige Sekunde später brach er den Augenkontakt ab und blickte wieder nach unten. Da er wirklich nicht schlecht aussah, willigte ich ein. Ich war mir meines Dolches im Stiefel schließlich bewusst. Nachdem wir eine Weile schweigend unterwegs waren und schon fast am Hafen waren, brach ich die Stille:"Nungut...wie heißt du?" "Wollen wir uns nicht lieber erstmal belanglosere Fragen stellen?" "Zum Beispiel?", fragte ich nach. "Zum Beispiel...wie du an einem Tag so viel Geld verdienen konntest," meinte er, blieb stehen und hatte meinen Geldbeutel in der Hand. Diesen öffnete er und zog einige 50€ Scheine heraus. "Was ich...", verdutzt schaute ich auf seine Hand. Ich antwortete ihm nicht und versuchte nach meinem Geldbeutel zu greifen, doch er hielt ihn nur in die Luft. "Gib ihn mir wieder!", rief ich und versuchte hoch zu springen. Leider erfolglos. "Du bist eine Diebin," meinte er trocken. "Ich, ich...ich versuche zu helfen," meinte ich. Und es stimmte. Ich kannte meine Eltern nicht. Weder meinen Vater, noch meine Mutter. Und natürlich, ich hatte einen Job bei Ruby im Laden. Aber ich wollte auch den kleinen Kindern im Weisenhaus ein gutes Leben ermöglichen. Ich wusste wie es war als Kind im Waisenhaus. Es war nicht grausam, aber schön war es auch nicht. Und da ich diese Kindheit hatte, wollte ich dies für andere vermeiden. Deshalb nehmt es mir nicht übel, wenn ich eben ab und zu stehle. Ich tue es schließlich nicht für mich. "Und trotzdem ist es Stehlen," meinte er. Ich schaute ihn immer noch skeptisch an. "Wer bist du?", murmelte ich. Er beugte sich zu mir runter, sodass ich seinen Atem spüren konnte. "Spielt immernoch keine Rolle," meinte er und packte mich am Handgelenk. "Lass mich los", schrie ich und wehrte mich. Tatsächlich schaffte ich es mich zu befreien und konnte meinen Dolch rausholen. Ich hatte keine Ahnung, was er wirklich von mir wollte. Eigentlich hatte ich vor, mich mit dem Dolch zu wehren, jedoch bot sich mir grade die Möglichkeit zur Flucht. Die ergriff ich sofort, jedoch war der Junge schneller und schubste mich zu Boden. Ich lag mit dem Bauch voran und wollte mich grade mit den Armen hochstützen, als er sich auf meinen Rücken setzte. Er drückte mit seinen Armen meine Handgelenke nach unten und versuchte mir den Dolch zu entreißen. Doch es gelang mir, ihm mit dem Dolch einen Schnitt in die Hand zu schneiden, sodass er sie erschrocken wegzog. Damit konnte ich mich undrehen und ihn von mir runterschubsen. Ich richtete mich auf. Er aber auch. Wir standen da und umkreisten uns mit unseren Dolchen. Durch den bisherigen Kampf war auch seine Kapuze heruntergefallen. Doch das Faszinierende, was ich vorhin noch in seinem Gesicht fand, war vollständig verschwunden. Er blickte wütend und kampfbereit zu mir. "Was willst du von mir?", fragte ich erneut. Ich hatte schon alles in meinem Kopf überlegt. Vergewaltigen? Warum hat er dann einen Dolch dabei. Ermorden? Hätte er schon längst tun können. Entführen? Wieso sollte er das tun? Aber er wusste anscheinend einiges über mich. Vielleicht war er ein Stalker und war besessen von mir. Bei den Gedanken musste ich fast selber lachen. Ich meine, ich war nicht hässlich. Ich hatte eine relativ schöne Taille, aber dieses bisschen Bauchspeck, was fast jedes Mädchen hat, blieb auch mir nicht ersparrt. Aber was soll's. Ich versuchte mir schon seit längerem ein gutes Selbstvertrauen zuzulegen. "Das wirst du schon noch herausfinden." Ich bemerkte, wie hinter mir mein Fluchtweg in die Stadt erschien. Und auch wenn ich mich dann von meinem geliebten Dolch trennen musste, so konnte ich mir doch einen neuen zulegen. Ist ja schließlich nicht so, als wäre das alles gewesen, was ich von meinen Eltern noch hatte. Schweren Herzens warf ich letztendlich den Dolch auf den Jungen und rannte davon. Ich sah nur noch, wie mein Dolch ihn an der Schulter traf, und wie auch er seinen zu werfen versuchte. Er schleifte mich jedoch nur an der Seite meines Beines. Das würde zwar noch eine Weile schmerzen, aber ich konnte immerhin weiterrennen. Er lag nur noch fluchend auf dem Boden.

Shadowwalker (Ouat-Felix ff)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt