Lauschen will gelernt sein

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»Wäre ja auch zu schön gewesen«, zog sich Seren grummelnd die Decke über den Kopf, als sie durch ein Klopfen geweckt wurde.
     »Raus aus den Federn!«, donnerte der Vize die Tür schwungvoll gegen die Wand und kam ungebeten rein.
     »Was willst du denn?«, lugte die junge Frau unter dem Stoff hervor.
     »Ace hat mir gestern ewig in den Ohren gelegen, dass du dich ja schonen musst«, ließ er sich auf den Stuhl fallen. »Und da ich heute keine Lust auf eine Fortsetzung habe, ist die Küche für dich erstmal Tabu und du kannst mit mir die Papiere machen«, eröffnete der Phönix ihr mit einem Grinsen, dass sie glattweg als schadenfroh betitelt hätte.
     »Aha«, rollte sie sich desinteressiert auf die andere Seite mitsamt dem Vorsatz, weiter zu schlafen.
     »Nichts da«, zog er ihr mit einem Ruck die Bettdecke weg.
     Fassungslos starrte sie zu ihm hoch, bevor sie ihre Sprache wiederfand. »Sag mal, spinnst du?!«, keifte sie den Vize an. Was bildete der sich ein? Sie könnte lediglich Unterwäsche tragen oder noch schlimmer komplett nackt sein.
     »Reg dich ab. Ace hat mir erzählt, dass du über Nacht deine Klamotten an hast«, stellte er amüsiert fest. »Wieso eigentlich?«, legte er nachdenklich den Kopf schief.
     »Bin es halt so gewohnt«, setzte Seren sich auf und streckte sich.
     »Na gut. Mach dich so weit fertig. Frühstücken kannst du bei mir in der Kajüte. Thatch bringt uns was. Den Weg kennst du, oder?«, machte er sich bereits auf, das Zimmer zu verlassen.
     »Die Tür neben der von Ace sollte ich wohl ohne Lageplan finden«, verdrehte sie die Augen.

»Du bist gut«, meinte Marco mit einem Blick auf die aktuelle Liste, die Seren gerade ausfüllte.
     »Schwer ist doch wohl wirklich was anderes«, schüttelte sie belustigt den Kopf. »Wieso machst du den ganzen Kram eigentlich und nicht einer aus deiner Division?«
     »Dann muss ich alles kontrollieren und das gestaltet sich wesentlich zeitaufwendiger«, lehnte der Vize sich zurück. »Ich denke, wir haben uns mal eine Pause verdient oder was meinst du?«, schielte er zu der Blondine.
     »Damit du deinen Kaffee nicht mehr absetzen brauchst?«, hob sie eine Braue und lachte dann, weil seine Augen eine Spur größer wurden. »Als Arzt weißt du schon, dass das nicht gesund ist, oder?«, wollte Seren skeptisch wissen.
     »Ich habe auf jeden Fall keinen Vortrag deswegen nötig«, zischte er sie an.
     »Sorry. War nicht so gemeint«, schaute sie weg.
     »Schon okay. Letzte Nacht war nur ein wenig lang und dann hat Susi mich noch vor meiner Kajüte belagert«, fuhr er sich durch die Haare.
     »Sprich doch mal mit Edward, ob ihr die nicht auf der nächsten Insel loswerden könntet«, schlug sie belustigt vor und meinte es tatsächlich nur im Scherz.
     »Du wirst lachen. Genau das habe ich vor«, seufzte der Vize.
     »Was?«, entfuhr es ihr mit aufgerissenen Augen.
     »Ihr Verhalten ist einfach nicht mehr tragbar. Wenn sie nicht Ace nachstellt, dann mir. Und das hat sich gehäuft, seitdem du hier bist«, stand er auf und ging zum Sofa, auf das er sich fallenließ.
     »Vielleicht sollte man auch nicht unbedingt Freudenmädchen als Krankenschwestern einstellen«, gab Seren zu bedenken, als sie sich erhob.
     »Ich hatte sicherlich schon bessere Ideen«, gestand er sich selbst ein. »Wie hat Ace eigentlich reagiert, als du ihn so früh aus dem Bett geschmissen hast?«, wechselte er das Thema.
     »Den habe ich weiterschnarchen lassen«, antwortete sie gleichgültig und nahm auf einem der Sessel Platz.
     »Du bist zu nett zu ihm. Er kann das ab«, griff er zum Kaffee.
     »Mag sein«, zuckte die junge Frau ihr Schultern. »Kann ich dich mal was fragen?«, goss sie sich einen Tee ein.
     »Raus damit«, nickte er bereitwillig.
     »Wie fühlt es sich an, wenn man fliegt?«, schaute sie ihn neugierig an.
     »Puh«, stellte Marco seine Tasse auf dem Tisch ab. »Das ist nicht so einfach zu erklären. Es ist am ehesten mit dem Gefühl von Freiheit zu vergleichen«, meinte er langsam.
     Seren guckte ihn nur verständnislos an und er brauchte einen Moment, bis der Berry bei ihm fiel. »Warte mal ...«, beugte er sich nach vorn. »Versuchst du mir zu sagen, du weißt nicht, was es heißt, frei zu sein?«, wollte er vorsichtig wissen.
     »Die Bedeutung davon ist mir bekannt, aber selbst erlebt habe ich es noch nie«, sagte sie nachdenklich, bevor sich ihre Augen weiteten. Ihr Mund hatte eindeutig ihr Gehirn überholt und es war nicht sonderlich schlau, diese Tatsache so unbedarft auszusprechen.
     »Für die meisten reicht es aus, über die Meere zu segeln, um dieses Gefühl zu haben. Fliegen ist jedoch eine Steigerung davon. Es ist, als würde man die letzten Ketten sprengen, die einen festhalten. Keine Mauer ist hoch genug, dass man sie nicht überwinden könnte. Schwerkraft stellt für fast jeden Menschen eine unüberwindbare Grenze dar. Das ändert sich allerdings, wenn man fliegen kann. Seinen Sorgen und Problemen kann niemand entkommen, aber sie für eine gewisse Weile mal zurücklassen«, probierte er, ihr einen Eindruck zu verschaffen. »Wirklich schwierig zu beschreiben«, fügte er dann ratlos hinzu.
     »Ich denke, ich habe es schon begriffen«, sah sie aus dem Fenster und betrachtete die Wolken. Jederzeit gehen können, wohin auch immer es einen zog, musste in der Tat ein tolles Gefühl sein.
     »Dann lass uns mal weitermachen«, stand der Vize auf.

Dem Schicksal verpflichtetWo Geschichten leben. Entdecke jetzt