Medizinische Fachkräfte

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Seren verzichtete die nächsten Tage darauf, an dem Training von Haruta und dessen Division teilzunehmen. Sie wollte sich weitere Zwischenfälle ersparen. Izou behielt Recht, denn der Kapitän verlor kein Wort wegen des Vorfalls und so ließ die Blondine das Thema ebenfalls ruhen. Thatch seine immense Kochbüchersammlung hielt für ihre Beschäftigung her. Wissen schadete nie, egal, ob man es irgendwann anwendete. Nur bald wäre sie damit durch und würde dann zwangsläufig die Bibliothek aufsuchen. Schlichtes Rumsitzen kam für die junge Frau nicht in Frage. Dabei würde sie sich zu Tode langweilen. Seit knapp drei Wochen befand sie sich auf dem Schiff. Wie lange das wohl noch so bleibt? Niemand hatte Andeutungen gemacht, dass sie gehen müsste. Aber eine unausweichliche Zukunft drängte sie dazu. Seren hatte Angelegenheiten zu regeln, die sie nicht ewig aufschieben konnte, denn in absehbarer Zeit würde wieder etwas passieren und sie war nicht gewillt, die Piraten dort mit hineinzuziehen.
     Seufzend ließ sie ihre Arme verschränkt auf die Reling sinken und legte das Kinn auf ihnen ab. Der Himmel begann, sich von Osten langsam dunkel zu färben, und die einzelnen Schäfchenwolken wurden von der untergehenden Sonne in ein zartes Rosa getaucht.
     »Hallo Seren«, stand eine der Krankenschwestern in Freizeitklamotten neben ihr.
     »Was gibt es denn, Marlene?«, schielte sie zu ihr hoch. Sie kannte mittlerweile einige der Frauen mit Namen, hatte aber wenige Berührungspunkte mit ihnen. Größtenteils verhielten sie sich schrecklich tussihaft und damit konnte die Blondine nichts anfangen. Die Brünette sammelte gerade ihre Haare mit den Händen und machte sich einen wirren Dutt. Sie gehörte zu dem Grüppchen Schwestern, die nicht ganz so seltsam drauf waren und mit denen Seren hin und wieder knappe Worte wechselte.
     »Andrea, Susi und ich haben heute Abend frei und vor, ein bisschen zusammenzusitzen. Wir dachten, dass du uns vielleicht Gesellschaft leisten magst. Immer nur unter Männern fühlst du dich doch sicherlich nicht wohl«, mutmaßte sie sachte.
     »Ach. Es geht so«, stellte sie sich aufrecht hin. Der Vorschlag war bestimmt gut gemeint. Aber sie konnte die anderen beiden gar nicht leiden, was auf die eine nochmal verstärkt zutraf.
     »Na los. Gib dir einen Ruck«, stieß sie sie leicht mit dem Ellenbogen an.
     Egal wie viel sie grübelte, ihr fiel keine plausible Ausrede ein. Wenn man Ace mal brauchte, war der natürlich weit und breit nicht zu entdecken. »Okay«, gab sie sich resignierend geschlagen.
     »Sehr schön. Bleibst du hier oder gehst du in deine Kajüte? Ich muss noch etwas vorbereiten und würde dich dann holen. Vielleicht ziehst du dir auch bequemere Sachen an«, musterte die Krankenschwester sie.
     »Ich warte hier«, meinte sie knapp und ihre Laune schwang um den Nullpunkt herum.
     »Also bis nachher«, ging sie und lächelte.
     »Hm«, brummte die Blondine und wendete sich wieder dem Meer zu. Das Naturschauspiel, wenn Nacht und Tag aufeinandertrafen, faszinierte sie seit jeher. Zwar nicht in dem Maße, wie es ein loderndes Feuer schaffte, aber dennoch so sehr, dass es eine beruhigende Wirkung auf sie ausübte.

»Da wären wir«, öffnete Marlene die Tür zu einem der Lagerräume.
     Mit einem mulmigen Gefühl ging Seren mit ihr hinein und auf eine kuschelig wirkende Insel aus Decken und Kissen zu. Von einigen Öllampen erhielt die Szenerie ihre Beleuchtung.
     »Hey«, grüßte Andrea sie knapp, worauf die Blondine lediglich nickte. Die konnte man vom Verhalten ja noch ertragen, aber ...
     »Ich weiß gar nicht, warum wir uns hier unten verkriechen und nicht oben mitfeiern. Immerhin wäre heute die Gelegenheit für mich, Zeit mit Ace zu verbringen«, wickelte die Tussi sich eine ihrer grünen Haarsträhnen um den manikürten Finger.
     Die blauen Augen verdunkelten sich und blitzten auf. Zig Ideen schossen Seren durch den Kopf, was sie nur allzu gern darauf gesagt hätte. Doch stattdessen verzog sie das Gesicht, griff sich an die Schläfe und ließ sich auf eines der Kissen plumpsen.
     »Fühlst du dich nicht wohl?«, fragte die Brünette besorgt, als sie sich dazu setzte.
     »Alles in Ordnung«, winkte Seren das ab. Der kurze Schmerz klang immerhin bereits wieder ab.
     »Susi, ganz ehrlich. Lass ihn doch endlich in Ruhe. Wie lange baggerst du jetzt erfolglos an ihm rum? Ein Jahr? Er steht nicht auf dich und das wird sich auch nicht ändern. Du nervst ihn nur damit und machst dich selbst völlig lächerlich. Also hör auf«, seufzte Marlene.
     Die Blondine kratzte sich an der Nase, um zu verbergen, wie ihr rechter Mundwinkel sich unbeabsichtigt hob. Sie konnte sich nicht erwehren, dass sie das eben Gehörte schon Wohlgefallen in ihr auslöste. Gequält kniff sie die Augen zusammen. Vielleicht wäre es doch eine weise Entscheidung, Marco mal aufzusuchen und um Tabletten zu bitten, damit die Schmerzen nicht ganz so sehr nervten.
     Die Rosahaarige murmelte nur etwas Unverständliches. Ob das nun hieß, dass sie es einsah, blieb unklar und würde sich wohl in Zukunft zeigen.
     »Lasst uns das Thema wechseln«, murrte sie dann und griff zu einer Flasche, welche sie prompt öffnete und ansetzte.
     Frustsaufen?, schoss es Seren durch den Kopf und sie hätte ihn am liebsten geschüttelt, beließ es allerdings dabei. Wenn du Tussi glaubte, es würde ihr dadurch bessergehen, handelte sie im Irrtum, aber das war nicht die Sorge der Blondine. Schlussendlich gingen diese Frauen und deren Leben sie nichts an und sie würde von einer Einmischung tunlichst absehen.
     »Seren, erzähl uns doch mal etwas von dir«, musterte Andrea sie neugierig.
     »Was wollt ihr hören?«, fragte sie lustlos.
     »Fangen wir am besten damit an, was du trinken magst. Wir hätten Wein oder Sekt im Angebot«, hielt Marlene zwei Flaschen nacheinander hoch.
     Am liebsten gar nichts! Die Höflichkeit gebot, den Gedanken nicht laut auszusprechen, deswegen behielt sie ihn für sich. »Zweiteres«, antwortete sie stattdessen. Ihre Tage waren eher locker geworden, beinhalteten keine Verpflichtungen. Wenn sie mochte, durfte sie beim Kochen helfen und sich ihre Aufgabe frei aussuchen. Die Mitglieder der Vierten fanden sie in Ordnung und genossen es, wie die Blondine ihren Erzählungen lauschte.
     »Woher kommst du?«, reichte Marlene ihr ein gefülltes Glas.
     »Von einer zerstörten Insel, deren Name keine Rolle mehr spielt«, nippte sie an der prickelnden Flüssigkeit.
     »Du hast dort echt gelebt?«, stieß Andrea halblaut aus.
     »So ist es«, bestätigte sie knapp. Hört auf, zu fragen!
     »Ist doch völlig egal. Die will eh nur Mitleid«, schüttelte Susi abwertend den Kopf.
     »Was?«, verdunkelten sich die blauen Seelenspiegel drohend.
     »Tu nicht so. Man merkt, dass du nur einen auf hilflos tust, damit Ace sich um dich kümmert«, blaffte die Grünhaarige.
     »Hilflos?«, wurde ihre Tonlage amüsiert. Oh Mädchen, wenn du wüsstest! »Das bin ich ganz sicher nicht. Mir war nicht klar, wie wenig Neuigkeiten euch Krankenschwestern so erreichen«, schmunzelte sie verhalten. »Kaum ein Mann auf diesem Schiff kann mir das Wasser reichen. Frag' gern bei Haruta seiner Division nach, falls du mir nicht glaubst«, zuckte sie die Schultern. Immerhin war es ihr gleich, was die Tussi tat.
     Susi blinzelte verwundert, lachte dann auf und setzte die Flasche an. Offenbar glaubte sie ihr kein Wort.
     »Bist du denn das erste Mal auf dem Meer unterwegs?«, wollte Andrea wissen.
     »Nein, das nicht. Ich habe schon einige Inseln gesehen, allerdings ist das eine Weile her«, besah sie sich die Flamme einer Öllampe. Drehen wir den Spieß doch mal um. »Wie wird man eigentlich eine Krankenschwester auf der Moby Dick?«
     »Bei mir war das eher unspektakulär«, meinte der Rotfuchs. »Ich habe in einem Klinikum gearbeitet. Eines Tages ist Izou dort mit Frank, der angeschossen worden war, im Schlepptau aufgetaucht, weil der Weg zum Schiff weiter gewesen wäre. Ich habe ihn mit einem Arzt zusammen behandelt. Später hat der Kommandant scheinbar dem Kapitän Bericht erstattet und der kam am nächsten Tag vorbei und hat mich gefragt, ob ich für ihn arbeiten möchte«, zuckte sie die Schultern.
     »Dann bin jetzt wohl ich dran«, stellte Marlene fest und nippte an ihrem Glas. »Du weißt ja sicherlich, dass viele Inseln unter dem Schutz von Whitebeard stehen«, schaute sie fragend zu Seren, die zur Bestätigung nickte. Das hatte sie in der Tat zwischenzeitlich durch so manche Erzählungen mitbekommen.
     »Wenn ich ehrlich bin, kann ich mich selbst nicht mehr daran erinnern. Meine Heimat wurde damals von Piraten überfallen und die meisten Bewohner getötet. Ein paar Tage später legte Whitebeard bei uns an und half, so weit es in seiner Macht stand, beim Wiederaufbau. Natürlich konnte die Moby Dick nicht wochenlang bleiben. Ich war zu der Zeit noch ein Baby und nach dem Angriff Waise. Der Kapitän hat mich aufgenommen und ich wurde hier an Bord zu einer Krankenschwester ausgebildet«, senkte sie den Blick.
     »Marlene, das tut mir ehrlich leid für dich«, legte Seren ihr behutsam eine Hand auf den Unterarm.
     »Gerade du hast es doch noch viel schlimmer getroffen als ich. Immerhin erinnerst du dich daran im Gegensatz zu mir«, meinte sie betroffen.
     Die Augen der Blondine huschten für einen Moment unstetig umher, aber sie erwiderte nichts. Was hätte sie auch hervorbringen können? Die Wahrheit auf keinen Fall!
     »Ja, ja ... Sie ist ja so arm dran«, erklang es abwertend von Susi.
     »Was ist denn deine Geschichte?«, fragte Seren scharf.
     Mit einem überheblichen Grinsen stellte die Grünhaarige eine weitere leere Flasche zu den anderen, nachdem sie sich ihr Glas wieder aufgefüllt hatte. »Ich habe auf einer Insel in einem Freudenhaus gearbeitet.«
     Ja, das komplettiert das Gesamtbild. Diese Information war das Tüpfelchen auf dem I. Eigentlich hätte sie da bereits selbst drauf kommen müssen.
     »Was dann kam, kannst du dir bestimmt schon denken. Whitebeard hat an der Insel angelegt«, nippte sie am Wein und Seren verkniff es sich, die Augen zu verdrehen. »Ich habe eine wirklich sehr interessante Nacht mit Marco verbracht.«
     Der Blondine fiel alles aus dem Gesicht und ihr Blick schoss zu der Krankenschwester. So hatte sie den Vize gewiss nicht eingeschätzt. Allerdings wenn sie die nüchternen Fakten einmal abwog, war er auch nur ein Mann und dazu noch Pirat. Objektiv sah Susi nicht schlecht aus. Solange sie ihren Mund geschlossen hielt, kam man nicht darauf, wie hohl sie im Kopf war. Trotzdem ...
     »Ich hatte von meiner Mutter einiges über Medizin gelernt und so bin ich dann hier gelandet«, endete sie ihre knappe Geschichte.
     »Und nun gehst du dem ältesten Gewerbe der Welt unentgeltlich nach und wunderst dich, dass nicht jeder Mann dich mit Freuden bespringt, wenn er weiß, dass es bereits hunderte Vorgänger gab«, schmunzelte Seren, was allerdings direkt zu einem Lachanfall wurde.
     »Was glaubst du, wer du bist?!«, holte Susi mit der Rechten aus. »Du kleine Schla...«, wollte sie zuschlagen, doch die Blondine griff sie beim Unterarm.
     »Vorsichtig«, warnte sie mit unangemessen ruhiger Stimme. »Es gibt Leute, die haben schon wegen weniger eine Hand verloren«, drückte sie fester zu und die Krankenschwester wimmerte auf. »Wag es dir nie wieder«, ließ Seren sie los und bedachte sie mit einem eiskalten Blick.
     »Tz«, rieb Susi sich ihr rotes Handgelenk.

Dem Schicksal verpflichtetWo Geschichten leben. Entdecke jetzt