I

279 12 0
                                    

Das kann nicht wahr sein, das muss ein schlechter Scherz gewesen sein. Den Mann auf dem Foto habe ich sofort erkannt und auch bei Alex hat es nach kurzem Betrachten Klick gemacht. Valentino Rossi soll mein Vater sein. Die Wohnung meiner Mutter haben wir schon vor über zwei Stunden verlassen, aber so recht will diese Information nicht in meinem Kopf ankommen. „Eine gewisse Ähnlichkeit zwischen euch beiden ist schon zu sehen, vor Allem eure Augen sind nahezu identisch. Wie konnte mir das nicht auffallen." philosophierte Alex neben mir. Seit wir wieder in ihrer Wohnung sind erzählt sie pausenlos über die große Ähnlichkeit welche ich angeblich zu Valentino hätte, aber ich kann diese Ähnlichkeit nicht sehen.

Es fällt mir schwer über meine Gefühle zu reden, hauptsächlich weil ich nicht weiß wie ich meine Empfindungen in Worte fassen soll. Aus diesem Grund habe ich in den letzten Stunden außer gelegentlichen zustimmenden Lauten keinen Ton von mir gegeben. In meinem Kopf fährt eine endlose Achterbahn in deren Waggons abwechselnd Valentino Rossi, meine Mutter und meine beste Freundin sitzen. Immer wieder starre ich auf das leicht ausgeblichene Bild in meinen Händen. Es ist unverkennbar Valentino der mir da entgegenblickt. Seit Jahren erzählt mir meine Mutter die wisse nicht wer mein Vater ist und diejenigen welche in Frage kommen würden sich eh nicht für mich interessieren. Dieses Bild sieht aber nicht nach Desinteresse aus. Mein ganzes Leben habe ich mir nichts sehnlicher gewünscht als meinen Vater kennenzulernen. Doch jetzt wo ich weiß wer es ist bin ich mir nicht mehr sicher ob ich das wirklich möchte. Zweifel verdrängen die immer wieder aufkommende Hoffnung und mischen sich mit der unendlichen Wut auf meine Mutter.

Mit diesem neuen Wissen machen die ein oder andere Handlung meiner Mutter auf einmal doch Sinn. Schon im Kindesalter habe ich die MotoGP geliebt und mir nahezu jedes Rennen angesehen. Immer wieder hat sie probiert mich davon abzubringen, hat mir verboten den Fernseher zu benutzen wenn sie wusste das Rennwochenende ist. Ich habe lange Zeit geglaubt sie macht das nur um mich zu ärgern, mir das letzte bisschen Glück in meinem Leben zu nehmen, doch sie wollte nur nicht das mir die Ähnlichkeit vielleicht doch auffällt. Je länger ich über die ganze Geschichte nachdenke desto mehr wird mir bewusst, dass es nicht abstreitbar ist. Valentino Rossi ist mein Vater.

Aber was soll ich denn jetzt machen? Ich kann schlecht einfach zu ihm nach Hause fahren und sagen ‚Hey ich weiß nicht ob du es wusstest aber ich bin deine Tochter' das würde mir kein Mensch glauben. Schließlich wurde niemals irgendwo über mich berichtet, sie würden mich nicht mal bis zu ihm lassen. Warum sollte ein so berühmter Rennfahrer seine eigene Tochter verschweigen. Den kompletten restlichen Abend zerbrach ich mir den Kopf darüber wie es jetzt weiter gehen sollte, doch ich kam auf keine Lösung.

An Schlaf war in dieser Nacht nicht wirklich zu denken und so saß ich total übermüdet am nächsten Morgen in der Küche. Heute Abend musste ich wieder arbeiten, mein Job in der Bar brachte mir zwar nicht viel ein, aber mit dem Trinkgeld reichte es gerade aus um Alexandra einen Teil zur Miete geben zu können und trotzdem noch davon leben zu können. Große Anschaffungen konnte ich mir nicht leisten und auch keine teuren Klamotten oder Ähnliches. Das einzige, das ich mir jemals gegönnt habe, war mein Handyvertrag inklusive Smartphone.

Alexandra war schon arbeiten und so war ich mit meinen Gedanken alleine. Ich hatte den Entschluss gefasst, dass ich ,egal wie die Aussagen meiner Mutter waren, auf jeden Fall mit Valentino reden musste. Auch wenn er mich nicht haben wollte musste ich wenigstens wissen warum. Nur musste ich jetzt noch herausfinden wie ich das anstellen sollte. Wie auch immer ich es anstellen würde, einfach wird es nicht werden.

Ich verbrachte den restlichen Tag mit aufräumen und sauber machen, ich musste etwas tun um mich abzulenken. Als auch der letzte Fleck der Wohnung blitzblank sauber war legte ich mich auf die Couch um zumindest noch ein bisschen Schlaf nachholen zu können. Nach ewigen hin und her drehen schaffte ich es doch noch 2 Stunden zu schlafen. Wie immer in letzter Zeit wurde ich von meinem Albtraum geweckt, durchgeschwitzt und orientierungslos suchte ich nach meinem Handy welches ich beim schlafen wohl von der Couch gestoßen hatte. Ein kurzer Blick auf die digitale Anzeige verriet mir das ich noch genug Zeit hatte zu duschen. Schnell schnappe ich mir mein Handy vom Fußboden und teile Alex meine neue Erkenntnis mit, dass ich mich gerne mit Valentino treffen würde und nur noch nicht weiß wie das gehen soll. Auf ihre Antwort musste ich nicht lange warten >ich lasse mir etwas einfallen< stand auf meinem Bildschirm geschrieben. Sehr gespannt was sie sich wohl einfallen lassen würde schwang ich mich unter die Dusche und machte mich fertig für meine Schicht.

Der Abend verlief relativ ruhig, für einen Donnerstag Abend fast zu ruhig. Mit circa 30 Euro Trinkgeld in der Tasche machte ich mich nachdem ich die letzten Gläser gespült hatte auf den Weg zu meinem Fach. Ich warf meine Dienstkleidung in den Wäsche Container und wollte dann los als plötzlich mein Chef rein kam „Gut das ich dich noch erwische, hier ich hab noch dein Urlaubsgeld." Etwas verwirrt nahm ich den Umschlag entgegen „ich hab doch erst im Juni Urlaub?" fragte ich leicht unsicher vielleicht doch etwas falsch eingetragen zu haben. Kopfschütteln grinste er mich an „Schönen Urlaub" und damit war er schon verschwunden bevor ich noch irgendwas erwidern konnte. Ich verstaute den Umschlag sicher in meiner kleinen Handtasche und lief den kurzen Weg zurück zu Alex' Wohnung.

Du Tür wurde aufgerissen bevor ich richtig eintreten konnte und meine beste Freundin zog mich mit einem breiten Grinsen auf den Lippen in die Arme. Während ich meine alten Converse von meinen Füßen streife steht Alex die ganze Zeit total hibbelig hinter mir und wartet darauf das ich fertig werde. Kaum das ich soweit bin zieht sie mich mit viel Schwung in Richtung Küche. Auf dem Küchentisch liegt ein Umschlag mit der Aufschrift ‚Überraschung' „ist der für mich?" frage Ich zaghaft nachdem sie mich auf den Stuhl gedrückt hat. „Für wen soll das denn sonst sein? Jetzt mach endlich auf" schrie sie schon halb vor Aufregung. Ich öffnete den Umschlag und zum Vorschein kamen zwei Tickets für das MotoGP Rennen am Wochenende in Frankreich inklusive Fahrerlager Eingang. Sprachlos von dieser Geste fiel ich ihr um den Hals. Als ich mich wieder einigermaßen gesammelt hatte viel mir der Preis für diese Tickets auf „Bist du verrückt? Das kann ich nicht annehmen, das ist viel zu teuer." erklärte ich ihr nach kurzer Zeit. „Das habe ich mir schon gedacht, dass du das als Geschenk nicht annimmst." sagte sie ruhig „deshalb habe ich deine Karte auch von deinem Geld bezahlt." Nun wurde ich noch strittiger. Ich hatte doch gar nicht so viel Geld und selbst wenn würde Alexandra da nicht einfach so ran kommen. Scheinbar an meinem Gesichtsausdruck erkennend was gerade in mir vorging erzählte sie weiter „Du hast mir doch jeden Monat 200 Euro zur Miete dazu gegeben" ich nickte zustimmend, wusste aber immer noch nicht was das mit der Karte zu tun haben sollte. „Naja ich habe das Geld nicht zwingend gebraucht und deshalb habe ich es erstmal an die Seite gelegt bis ich einen Verwendungszweck dafür gefunden habe. Jetzt habe ich deine Karte davon bezahlt. Ich möchte so gerne das du endlich deinen Vater kennenlernen kannst und ich denke das ist der beste Weg dazu. Das Geld ist so viel besser angelegt als die sinnlosen Sachen die ich davon gekauft hätte."

Ich konnte gar nicht in Worte fassen wie dankbar ich dieser Frau vor mir war. Sie war wirklich die allerbeste Freundin die man sich wünschen konnte. Ich würde endlich meinen Vater treffen und noch dazu ein MotoGP Rennen live erleben. „Mario wusste Bescheid stimmt's?" schloss ich nach kurzer Überlegung, deshalb hatte er mir einen schönen Urlaub gewünscht. „Ich musste ihm Bescheid sagen, ich wollte deinen Job nicht riskieren und vor allem solltest du dir keine Gedanken darüber machen müssen." antwortete sie mir ehrlich, „aber kommen wir zu den wichtigen Sachen. Ich habe mit Tom gesprochen wir bekommen übers Wochenende seinen Van." Tom war ein guter Freund von uns beider, in den letzten drei Jahren hat er seinen T4 zu einem ganz wohnlichen Camper umgebaut. Er würde uns morgen früh gegen 8 Uhr den Bus bringen und gegen Alex Polo tauschen und sie fährt uns dann nach Frankreich. Leider habe ich bis heute das nötige Geld für einen Führerschein nicht gehabt und erst recht nicht für ein Auto, also blieb mir bis jetzt nur zu Fuß zu gehen oder die Öffentlichen zu nehmen.
„Und wie soll ich ihm erzählen das ich seine Tochter bin? Ich kann ja nicht einfach reinspazieren und schreien hier bin ich." lachte ich um meine Nervosität zu überdecken. Wir einigten uns darauf uns morgen während der Fahrt einen Plan zu überlegen. Für heute würden wir nur noch unsere Taschen packen und dann schlafen gehen. Es wartete eine lange Reise auf uns und wir wollten beide fit sein.

Die verlorene Tochter des Rennfahrers || Fabio Quartararo ffWo Geschichten leben. Entdecke jetzt