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LILLIAN

Das Frühstück in der Pizerria war himmlisch.
Santino und ich haben während des Essens nicht mehr viel miteinander gesprochen, aber er eröffnete mir noch, dass dieser Kyle mich später nachhause fahren würde. Das war nicht gelogen.
Der dunkelhaarige mit dem rauen Akzent, den ich kaum einordnen kann, steht zehn Uhr in Hemd und Hose vor der abgeschiedenen Sitzecke im Restaurant und wartet darauf, das wir aufbrechen.
»Darf ich vorstellen«, meint Santino und hebt die Hand, »Das ist Kyle. Ihr seid euch ja schon bekannt, oder?«, fragt er in die runde. Der breitgebaute Kerl faltet die Hände hinter dem Rücken und nickt. »Ja«, nuschle ich mit vollem Mund. Zufrieden leert der Italiener seine Tasse Kaffee und winkt diese Kelly herbei. Er erwähnte nur beiläufig ihren Namen, doch er ist mir im Gedächtnis geblieben. Was er sich noch bestellt verstehe ich nicht, da es zu laut um uns ist. Pappsatt verschlinge in die letzte Cannoli vom Teller und putze mir die Finger anschließend an einer Stoffserviette ab.
»Ihr solltet aufbrechen«, holt er mich aus meinen Gedanken und lässt mich aufschauen. Will er mich etwa loswerden? Es scheint so. »Na gut«, nuschle ich und schlucke den letzten Bissen hinunter. Kyle schnappt sich derweil meine Tasche und ehe ich mich versehe, trägt er sie in seinen Händen. Hastig erhebe ich mich, damit er nicht ohne mich verschwindet. Eine Sache fällt mir aber noch ein...
Vor dem Tisch stehend, schaue ich ein letztes Mal zurück. »Wie... wie kontaktiere ich dich?«, möchte ich wissen. Sonst könnte er mich kaum über die Neuigkeiten unterrichten. Der Italiener wirft mir einen kurzen Blick zu und setzt seine Kaffeetasse auf der Untertasse ab. »Kyle wird sich bei dir melden, wenn es Neuigkeiten gibt«, antwortet er monoton, deutet mit der Hand, das ich verschwinden soll. Genau das tue ich auch, ich bin ohnehin schon viel zu spät auf Arbeit. Mist.
»Vielen Dank!«, sind meine letzten Worte, bevor ich in die kalte Herbstluft trete und mein Atem rauchend in die Luft aufsteigt. Gott ist das kalt heute...

Dieser Kyle hat den Wagen bereits vor dem Restaurant gleich an der Bordsteinkante geparkt. Er hält mir die hintere Tür des schwarzen SUVs auf, in den ich hineinschlüpfe. Ich Rutsche über die Ledersitze und merke, wie außerordentlich bequem sie sind. Zwischen den Sitzen eine kleine Ablage Fläche mit zwei Gläserhaltern und einer Flasche Mineralwasser. Die Limousine hat einen Sternenhimmel und der Boden ist mit frisch gereinigten Teppich ausgelegt. Beeindruckt gleiten meine Fingerkuppen über die säuberlich vernähten Kanten der Sitzfläche. Ich will gar nicht wissen, wie viel Geld dieses Auto gekostet hat- es muss ein Vermögen gewesen sein.
»Ist das Sitzheizung?«, bemerke ich erstaunt als Kyle losfährt und mir ganz warm am Hintern wird. Er wirft mir einen entzückten Ausdruck durch den Spiegel vor, der ebenso so schnell wieder verschwindet wie er aufgetaucht ist. »Ist es, stört das?«, hakt er mit tiefer Stimme nach. »Nein, nein«, lehne ich ab und überschlage meine Beine. Das gefällt mir.
»Darf ich sie etwas fragen?«, hake ich nach und falte meine Hände im Schoß. »Haben Sie das nicht bereits?«
Stimmt. Wie dämlich von mir. Ich schiebe es auf den Schlafverlust.
»Woher kommt dieser Akzent?«, stelle ich endlich meine Frage und blicke gespannt nach vorn. Die Umrisse des dunkelhaarigen schauen knapp zu beiden Seiten des Sitzes hervor, an dem ein kleiner Fernseher angebracht wurde. Er setzt einen Blinker, wir biegen nach einer Ampel auf die nächste Avenue. Es ist schon lang her, dass ich in einem Auto saß, erst recht nicht in solch einem komfortablen Gefährt. Ich fahre üblicher weise mit der U-Bahn und gönne mir nur selten Taxis, da der Verkehr meist stockend und die Preise teuer sind. Besonders auf Manhattan kommt man nur schleichend voran.
»Schottland«, erzählt er. Schotte? »Ich dachte an Ire«, gebe ich zu, worauf Kyle sein Gesicht verzieht. Das entlockt mir ein Schmunzeln. Er scheint nicht begeistert davon zu sein, dass ich dachte, er sei Ire. Ob ich ihn damit beleidigt habe? Vielleicht hat er persönliche Probleme damit. Ich entscheide, mich nicht noch mehr in das nächste Fettnäpfchen zu reiten und schweige. So kann ich wenigstens nichts falsch machen. Die restliche Fahrt verläuft ebenso schweigsam. Wir stehen einige Minuten in der Rush Hour und brauchen geschlagene vierzig Minuten bis zum Wolkenkratzer der NY General.
Kyle parkt am Straßenrand, läuft um den Wagen herum und öffnet mir die Hintertür wie ein Chauffeur. Er streckt mir sogar eine Hand entgegen. »Danke«, lächle ich, schnappe mir meine Tasche und nehme seine Hand an. Die Menschen aus dem Plaza beobachten uns und so färben sich meine Wangen tiefrot, als Kyle die Tür hinter mir schließt. »Danke fürs fahren«, bedanke ich mich hastig erneut. Der Trubel um meine Person fühlt sich merkwürdig an. So viele Augenpaare liegen auf uns, und ich kann nur hoffen, dass sie nicht wissen, das Kyle zu den Benellis gehört. Wenn mein Chef dass herausfindet, bin ich meinen Job los.
»Immer wieder gern, einen schönen Tag noch«, wünscht er mir. »Ebenfalls«, rufe ich ihm nach und eile zur Drehtür hinein. Einen Blick zurück wage ich nicht mehr.

Meine Sohlen hinterlassen klackende Geräusche als ich eilig bis zum Fahrstuhl laufe und den Knopf zweimal drücke. Die Tasche halte ich dabei fest vor mich gedrückt. Es fühlt sich an, als würden alle mich anstarren. Wie tausend Nadeln auf meinem Rücken, die sich immer tiefer in meine Haut bohren. Ich kann erst wieder aufatmen, als ich im Aufzug stehe und die Türen sich mit einem sanften Rauschen geschlossen haben. Erleichtert sacken meine Schultern ab. Binnen weniger Sekunden befördert der Aufzug mich nach oben in die Marketingabteilung. Wir sitzen auf der selben Etage wie der Präsident der Zeitung.
»Guten Morgen«, begrüße ich einiger meiner Kollegen im vorbeigehen und steuere zielstrebig mein Büro an. Ich muss schleunigst beginnen, bevor sich die Aufgaben wieder auf meinem Tisch tummeln.

Ein wenig später, nachdem ich meinen Computer gestartet und mir die nötigen Utensilien zurecht gesucht habe, gönne ich mir meinen dritten Kaffee des Tages. Ich klicke mich durch meine Emails, durchblättere die Mappen die auf meinem Tisch gelandet sind und stelle einige Titelseiten für die kommenden Ausgaben zusammen.
Meine Arbeit nimmt viel Zeit in Anspruch. Je weiter der Herbst voranschreitet, desto früher wird es dunkel, was bedeutet dass ich im Dunkeln komme und gehe. Das kann nach einer geraumen Weile etwas traurig sein. Zurück in meine leere Wohnung zu kehren, ohne jemanden zu haben der dort auf einen wartet.
Gerade als ich darüber nachdenke und gedankenverloren aus den großen Panoramafenster starre, leuchtet mein Telefon Display auf. Eine neue Nachricht von meiner Mom.
Weißt du inzwischen, ob du es schaffst?
Ich fühle mich schlecht, da ich vergessen hatte ihr zu antworten.
Natürlich, ich werde da sein.
Versprochen ist versprochen. Thanksgiving bei meinen Eltern zu verbringen steht ganz weit oben auf meiner Liste. Das wird mir gut tun, eine Weile der Großstadt zu entfliehen, wenn auch nur für ein langes Wochenende. Ein Lächeln schleicht sich auf meine Lippen, als ich die nächste Nachricht bekomme. Es ist ein Foto ihres berühmten Pie's, den sie jedes Jahr für mich backt. Wenn ich ihn als Kind gegessen habe, waren die Beeren im inneren immer noch warm und er hat gedampft. Dad und ich saßen stundenlang am Kamin und haben Pie gegessen bis uns schlecht wurde. Diese Erinnerungen werden mich für immer begleiten. Ich liebe meine Eltern über alles, sie sind die besten. Ich kann so froh sein, bei Menschen wie ihnen gelandet zu sein. Immerhin hätte es mich viel schlimmer treffen können. Ich hatte eine glückliche Kindheit und das verdanke ich allein ihnen. Die Jones sind meine Eltern, auch wenn wir uns nicht dasselbe Blut teilen - es wird immer so bleiben. Sie haben mich nicht im Stich gelassen, sondern sich um mich gekümmert, als wäre ich ihr eigenes Kind. Ich werde sie immer Mom und Dad nennen, egal was Santino herausfinden wird. Egal ob ich meine biologischen Eltern finden werde. Das schwöre ich mir genau in diesem Moment.

Mafia King | 18+Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt