SANTINO
Das Piepen der Maschinen ist unerträglich.
Der Geruch der Intensivstation und die kahlen Krankenhauswände, rufen quälende Erinnerungen in mir hoch. Ich habe mir geschworen nie wieder auf diesen Stühlen zu sitzen und zu trauern, aber es ist wieder passiert.
Ich saß stundenlang auf den harten Plastikstühlen der Notaufnahme und starrte verloren ins nichts. Hielt die Luft so lange an, bis die Hand an meiner Schulter mich ermahnte, Luft in meine Lungen zu lassen. Die Stunden sind so quälend langsam vergangen. Ich konnte rein gar nichts tun und war nutzlos für die Sanitäter, die sie betreut hatten. Lillian war blass wie eine wandelnde Leiche aus dem Schlafzimmer gekommen. Ihr Gang gekrümmt und ihr Gesicht so voller Schmerz. Da war so viel Blut an ihren Beinen ... so verdammt viel Blut hat den Teppich getränkt. Sie war kalt - eisig kalt so wie meine Mutter damals, und dass, obwohl ihr Herz noch zart schlug. Lillian ist eine Kämpferin, das habe ich zumindest gehofft, doch die Stunden im Wartezimmer haben mich immer mehr daran zweifeln lassen. Niemand kam und gab mir ein Update. Keine Info wie es ihr ging oder was sie hatte. Schwestern und Ärzte sind aus und in den OP gestürmt, alle hektisch und mit vollen Händen.
Ich bekomme ihr fahles Gesicht nicht aus meinen Gedanken. Ihre Augen waren so leer...Nun stehe ich vor der Glasscheibe, die in das Intensivzimmer zeigt. Meine Stirn lehnt gegen dem kalten Glas und meine Hände sind tief in den Taschen vergraben. Ich stehe dort, seit sie sie ins Zimmer gebracht haben. Wie viel Zeit vergangen ist kann ich nicht sagen. Sie haben sie zugedeckt und das Blut von ihren Fingern gewaschen. Zugänge stecken in ihren Händen und Armen, eine Maske, die ihr beim Atmen helfen soll, liegt über Nase und Mund. Selbst von den fünf Metern, die uns trennen, erkenne ich wie blass sie noch immer ist. Der Bildschirm, der ihren Herzschlag und Blutdruck anzeigt, piept immer wieder alarmierend. Zwei Schwestern sind bei ihr und verabreichen ihr flüssige Lösungen über die Kanülen. Ich fühle mich so machtlos, hier stehend. In meiner Brust hat sich schwere breit gemacht, die sich anfühlt als würde mir jemand zweihundert Kilo auf die Rippen drücken. Ich kann kaum noch atmen, geschweige denn klar denken. Sie ist der reinste und liebevollste Mensch, den ich kenne. Nach all dem, was sie durchgemacht hat, ist sie immer noch so selbstlos gewesen. Es zerbricht mir mein Herz, sie reglos in diesem Bett liegen zu sehen.
»Sind Sie ihr Freund?«, fragt ein grauhaariger Mann im Arztkittel mich. Er kommt neben mir vor dem Fenster zum Stehen und betrachtet das Geschehen. »Ihre Begleitung, ja. Was hat sie?«, frage ich mit trostloser Stimme. Der Arzt atmet tief aus und klemmt sich seine Papiere eng vor die Brust. Das heißt nicht gutes.
»Miss Jones erlitt eine Ruptur ihres linken Eileiters, Auslöser ist eine Tubargravidität gewesen.«
»Eine was?« Ich starre Lillian durch die Scheiben an, während mein Herz mir in den Ohren dröhnt.
»Eine Eileiterschwangerschaft. Der Embryo hat sich in der Schleimhaut des Eileiters eingenistet, und nicht wie üblich in der Gebärmutter. Es kam zu einer inneren Blutung und wir mussten den linken Eileiter vollständig entfernen, um ihr Leben zu retten. Die Chance, dass sie wieder schwanger werden kann, liegt bei fünfzig Prozent. Ich wünschte ich könnte ihnen etwas Erfreulicheres sagen, aber Miss Jones ist gerade so mit ihrem Leben davongekommen.«Mein Körper fühlt sich taub an. Ich starre das Bett an, in der Hoffnung die Worte des Arztes würden sich ungeschehen machen. Glauben was ich gerade gehört habe, kann ich nicht. Das darf nicht sein. Nein. »Sie war schwanger?«, hake ich wie ein kalter Roboter nach. Alles zieht an mir vorbei. Mir ist kotzübel und ich beginne kalt zu schwitzen, so wie sie zuvor.
»Eine Eileiterschwangerschaft führt immer zu einem Abort des Embryos. Ein fortführen ist unter keinen Umständen möglich. Der Worst-Case ist ein platzen des Eileiters, genau dass, was bei Miss Jones aufgetreten ist. Innere Blutungen. Sie wissen gar nicht, was für einen Schutzengel sie gehabt haben muss. Zehn Minuten später und sie wäre auf meinem OP-Tisch verblutet.«
Ich ziehe meine Hände in den Taschen zu Fäusten und presse den Kiefer aufeinander. Am liebsten würde ich in die Scheibe schlagen, oder meine Hand in die dumme Fresse irgendeines Vallian schlagen. Seine Worte hallen noch oft in meinen Ohren nach. Wie kann er das nur sagen? Wie kann er nur sagen, dass sie gestorben wäre?
»Kann ich zu ihr?«, frage ich gepresst und versuche nicht endgültig meinen Verstand zu verlieren. »Zehn Minuten, sie braucht Ruhe«, erlaubt er. »Danke«, nicke ich und stoße mich vom Fenster ab. Der Arzt verweilt daran und beobachtet seine Patientin noch ein bisschen weiter. Die Krankenschwestern verlassen das Zimmer als ich es betrete und schließen die Tür hinter sich. Zögerlich trete ich auf das Bett zu und ziehe mir einen Stuhl heran. Geschafft sinke ich auf das Plastik und lasse meine Augen über ihren leblosen Körper wandern. So blass und fahl...Wie von selbst hebt sich meine Hand zu ihrer Stirn. Ich streiche ihr behutsam eine Strähne aus dem Gesicht, die ihr an der Haut geklebt hat. Auf dem Kiefer mahlend raufe ich mir eine eigenen Haare und lege meine Unterarme auf dem Bett ab. Zitternd atme ich ein und aus, greife nach ihrer kalten Hand und umschließe sie fest mit meinen. Ich drücke meine Lippen grob auf ihre Finger, presse ihre Haut gegen meinen Mund und schließe meine Augen. Der Gedanke sie zu verlieren, bringt mich um. Es kostet mich eine Menge Überwindung nicht wie ein kleiner Junge zu flennen. Ich will nicht mein jüngeres ich sein, dass beim Tod seiner Mutter hemmungslos im Flur des New Yorker Krankenhauses geweint hat. Ich will stark sein, weil Lillian es nicht sein kann. Mein Herz bricht bei ihrem Anblick jedes Mal aufs Neue. Sie war schwanger. Auch wenn sie es nie hätte austragen können, war es unserer Baby. Es war mein Baby in ihrem Bauch, unser Blut. Es könnte kaum älter als sechs Wochen gewesen sein, dennoch schmerzt es als wäre es ein ausgewachsener Mensch gewesen. Noch mehr tut es weh, dass niemand es bemerkt hat. Ich mache mir Vorwürfe, weil mir nicht einmal aufgefallen ist, dass ihr vor ein paar Tagen schon so übel war. Schon da hätte ich sie zum Arzt schicken sollen, vielleicht wäre dann alles anders gekommen und sie müsste nicht hier liegen und um ihr Leben kämpfen. Betend schließe ich meine Augen und senke meinen Kopf. Ihren Handrücken presse ich fest gegen meine Wange und murmle die Worte, die ich sagen will, gegen ihre Haut. Es ist ein verzweifelter Versuch, sie zu retten. Gott war in brenzlichen Situationen mein ganzes Leben für mich da. Ich trage seine Kreuze auf meinem Körper und die betenden Hände um meinen Hals. Wenn er mich wirklich erhört, wird er auch Lillian eine zweite Chance geben. »Amen«, wispere ich und küsse ihre Hand erneut. Inzwischen ist sie etwas wärmer geworden durch meine Berührungen.
Das Piepen der Geräte treibt mich in den Wahnsinn und ich wünschte sie würden einfach still sein. Einen Augenblick lang verfolge ich ihren flachen Herzschlag auf dem Monitor. Es ist ein schwaches Pochen, aber sinkt nicht wieder ab. Zuversichtlich schenke ich ihr ein Lächeln, selbst wenn sie es nicht sieht. Das Klopfen am Glas reist mich aus meinen Gedanken. Der Arzt deutet auf seine Armbanduhr. Zehn Minuten sind vorbei. Wehmütig platziere ich ihre Hand neben ihrem Körper und erhebe mich. Ich löse die goldene Kette von meinem Hals, lege sie um ihren und beuge mich über die Brünette. »Puoi farcela, mia bella«, wispere ich und küsse ihre Stirn. Der Anhänger glänzt mir auf ihrer Brust entgegen und ich führe meinen Zeige- und Mittelfinger an meine Lippen, drücke ein Kuss auf sie und streiche über den Anhänger. Er soll ihr Glück bringen.
Am Boden zerstört verlasse ich das Krankenzimmer wieder und platziere mich vor der Glasscheibe. »Hey«, murmelt mein bester Freund und legt eine Hand in meinen Nacken. »Was hat der Arzt gesagt?«, erkundigt er sich. Ich schüttle nur meinen Kopf und lasse meine Schultern hängen. »Ich will nicht reden Kyle, ich will nicht reden...«
Ich will nur meinen Kopf gegen die Wand schlagen und neben ihr liegen.
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Mafia King | 18+
Romance»Je näher sie mir kam, desto gefährlicher wurde ihr Leben.« Lillian Jones ist, seit sie denken kann, auf der Suche nach ihren leiblichen Eltern. Als sie dem schwerverletztem Mafiasohn Santino Benelli eines Abends über den Weg läuft, ahnt sie nicht...