Kapitel 24

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Isaac Roth

'Keine Sorge, wir sehen uns bald wieder, D.' Ich schau auf meinen Bruder herunter welcher immer noch sich dagegen wehrt das ich gehe.

'Bleib hier. Mama kommt auch nicht mehr, sie wohnt nicht mehr hier.' Er versucht zu betteln aber das hilft mir leider auch nichts mehr. Ich stehe in unserer Wohnung welche ich seit ich 19 bin mit meinem Bruder bewohne.

Ich musste uns nach den qualhaften Jahren bei unserer Tante endlich aus dem Loch herausholen, deswegen versuchte ich damals schnell an Geld zu kommen um wenigstens meinem Bruder eine Zukunft zu ermöglichen.

Ich verstehe das er mich aus Angst nicht wieder gehen lässt, ich hab ihm aber versichert, dass ich eine sichere Unterkunft hab. Er war normalerweise immer der spaßigere zwischen uns beiden aber seit den letzten Vorkommnissen ist das sonst so warme lächeln aus seinem Gesicht verschwunden. Ich habe gehofft, dass mich jeder andere Mensch findet als mein kleiner Bruder. Meine Güte, von mir aus auch der Präsident oder der Pabst. Ich wollte nicht der instabile, suizidale große Bruder sein. Er sollte zu mir hochsehen können wie ich zu Papa damals. Aber das war wohl nicht in dem ermessen des Schicksals.

Der Anblick wird für den Rest seines Lebens in seinem Kopf verankert sein, und das ist auch noch meine Schuld.

Dylan sieht mich an und wartet ob ich meine Meinung ändere. 'Ich muss gehen, ich hab noch was vor. Ich melde mich demnächst.' Ich versuche ihm ein lächeln zu schenken was aber jämmerlich aussah.

Der 21-Jährige schaut mich nur an und sein Blick schweift zu meiner Tasche und dann geht er voran um mir die Türe zu öffnen. Ich liebe meinen Bruder aber ich kann hier nicht verweilen da immer noch die Chancen hoch sind, dass die Erzeugerin wiederauftaucht und ich will nicht wieder mit meinem Bruder streiten.

Die Türschwelle übertreten wuschle ich ihm noch durch seine Haare welche meinen sehr ähnlich sind und dreh mich um, um die Treppenstufen nach unten zu gehen. Ich wage keinen Blick über meine Schulter.

Die Tasche werfe ich auf die Beifahrerseite des alten Subarus und setze mich auf den rissigen Ledersitz um den Motor zu starten.

Was ich vorhabe weiß ich nicht genau. Ich will aus den vier Wänden raus. Mich von dem Geruch von Alexa wegreißen und von ihrer Präsenz in meiner Nähe. Ob sie nun bei mir ist oder nicht. Ich weiß nicht was ich ihr gegenüber fühle.

Mein Auto steuere ich in Richtung Innenstadt um dort einen Parkplatz zu finden um etwas zu Essen. Das ist das vernünftigste was mir einfällt. Ich google und finde nur eine Pizzeria in meiner Nähe. Wieder etwas was ich mit Alexa verbinde. Ich schüttle meinen Kopf und gehe hinein um zu bestellen und warte, damit ich die Pizza mitnehmen kann um sie in meinem Auto zu verzehren da ich keine Lust hatte in das Restaurant zu sitzen.

Durch die Windschutzscheibe blickend frage ich mich ob ich mir nur solche Hirngespinste mache über Gefühle für Alexa und ob das ganze nur einseitig ist. Dennoch hat sie gestern nicht ihre Hand von meiner weg bewegt. Ich hielt mich selbst kurz davor ab, bevor ich ihre Hand in meine nahm.

Ich muss damit aufhören. Oder dem ganzen ein Ende setzten.

Kurz entschlossen mach ich mich auf den Weg aus der Stadt raus, um dem Trubel zu entfliehen. Fast auf Autopilot gestellt fahre ich aus der Stadt raus und fädle mich auf dem Highway ein. Das letzte mal als ich den Weg angetreten habe war ich nicht so unentschlossen wie ich jetzt bin. Die Momente fliegen mir förmlich über meine Netzhaut und ich fühle mein Herz genau so rasen wie damals.

Ich fahre an der ersten kleinen Bucht vorbei. Genau wie damals. Ich beschließe nicht zu halten. Die nächste ist aber deutlich weiter entfernt und ich fahre die Strecke in einem angemessenem Tempo welches aber nicht so schnell ist wie die anderen Autos die an mir vorbei rasen, trotzdem komme ich zu schnell an.

Ich frag mich was Dylan gerade macht. Und Alexa. Ich kann sie mir förmlich vorstellen wie sie in ihrem Büro sitzt mit dem schwarzen Notizblock welchen sie fast immer bei sich trägt und Fakten über den Patienten aufschreibt. Oder sie ist ganz wo anders, ich weiß es nicht, ich würde es aber gerne wissen.

Ich biege nach rechts ab und fahre auf den Parkplatz. Meine Hände fallen erschöpft auf meine Oberschenkel und hinterlassen Spuren, wo sie vor Millisekunden noch am Lenkrad waren. Das Auto ist in eine totenstille gehüllt. Das einzige was Geräusche macht, ist meine Atmung und mein Herz.

Ich sehe die anderen Autos auf dem Highway rasen und frage mich ob sie auch nur das Gefühl dafür haben was hier passiert ist. Oder nur einen kleinen Anflug von Unangenehmheit als sie an dieser Autobucht vorbeirasen.

Ich fasse meinen Willen und mich tragen meine Beine aus dem alten Subaru heraus und in Richtung Wald. Mit einem Schlag kommen mir alle Erinnerungen an den Tag in den Kopf, an welchem ich mein endgültiges Ende setzen wollte. Ich höre kleinere Äste unter meinen Schuhen knacken. Ich durchstreife den Wald wie zuvor, mit den Gedanken von damals.

Nach ein paar Minuten durch das Holz gelange ich an den Punkt, an welchem ich das Leben von mir und meinem Bruder verändert habe. Die Lichtung weitet sich vor meinen Augen aus. Ich überschaffe mir einen Überblick über alles. Als ich den einen Baum sehe überrollt mich eine Flut aus Übelkeit. Ich muss wegsehen. Meine Sicht verschwimmt und mir wird Schwindlig. Ein Déjà-vu überrollt mich wie ich mich hier auf die letzten Momente meines Lebens vorbereitet habe. Wie ich den Strick gebunden habe mit Tränen in den Augen.

Ein unbedeutender Wald, doch der Schein Trügt bei einem Baum. Der Baum sieht unter anderen Umständen aus wie jeder andere, sticht nicht hervor. Aber etwas ist da, was mich dazu bringt mich zu übergeben.

Ich fühle die Schmerzen und die Übelkeit von damals. Meine Hand bewegt sich automatisch an meinen Hals welcher sich anfühlt wie an dem Schicksalstag. Als wäre der Strick immer noch um meinen Hals gewickelt. Ich spüre die Atemnot. Wie sich meine Sicht immer weiter verkleinert hat. Wie meine Atemwege gebrannt haben und nach dem letzten Quäntchen Luft gerungen haben.

Nach Luft schnappe ich auch jetzt und versuche meine Lunge zu füllen.

Meine Augen fangen das Tränen an. Ich blicke durch den Tränenschleier an den Baum, welcher fünf kurze Schritte von mir entfernt ist. Spezifisch richte ich meine Augen auf den Strick, welcher dort hängt. Das durchtrennte Ende schwingt leicht im Herbstwind und ich erbreche erneut. Eine erneute Flut aus Erinnerungen drängt sich aus meinem Unterbewusstsein wohin ich sie ursprünglich verbannt habe.

Ich lasse mich nach ein Paar Schritten auf den Boden fallen und stütze meinen Kopf in meine Hände. Die besorgte Stimme Dylans wie er immer wieder nach mir ruft und einen Krankenwagen verständigt bringt mich dazu, aus Verzweiflung meine Hände über den Kopf zu werfen und zu schreien. Das Schreien weicht schnell zu Schluchzern. Und diese zu kompletter Stille. Was aber nicht Still ist, sind meine Gedanken. An Alexa, Dylan und an Suizid. Und wie enttäuscht wohl Papa von mir sein muss.

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- A.

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