Kapitel 35

21 4 0
                                    

Ich wache durch das ungewohnte Gefühl eines Herzschlages an meinem Ohr auf. Nach ein paarmal blinzeln registriere ich erst, dass ich auf Isaacs Brust liege. Er hat einen Arm um mich geschlungen und lässt seine Fingerkuppen leicht auf meinem nackten Oberarm wandern. Ich versuche kein Zeichen zu geben, dass ich nun auch wach bin aber das klappt nur für ein paar friedliche Minuten.

'Guten Morgen' Isaac drückt mir einen kurzen Kuss auf meine Stirn. Leicht verschlafen erwidere ich den Satz und wir bleiben einfach so liegen als hätte jemand die Pause Taste gedrückt, damit wir diesen Moment genießen und wertschätzen können. Ich muss nicht einmal in die Praxis da ich meinen Patienten bei mir habe und ich nicht mehr in die Gruppentherapie muss.

Auf einmal kommt mir wieder etwas in den Sinn, was ich eigentlich verdrängen wollte. Das Seminar. 'Wie viel Uhr ist es?' Ich bin zu faul um meinen Kopf zu heben. 'Kurz vor 10 Uhr.'

'Ich muss noch packen' sage ich leicht genervt. Isaacs Hand wandert in meinen Nacken um meinen Kopf nach oben zu richten. Ich rutsche auch mit nach oben. Die grauen Augen, welche mich immer raten haben lassen, was er fühlt sind diesmal fast durchschaubar. Der sonst wütende Sturm ist verstummt. Isaac positioniert mich so, dass ich nun auf seinem Schoß sitze und ihm direkt in sein Gesicht sehen kann.

Ich fühle mich geborgen in seinem Blick und ich will ihm endlich sagen, was ich fühle. Mir ist bewusst, dass das alles zerstören könnte. Isaac sieht wie ich am Grübeln bin und schließt meinen Kopf in seinen Handflächen ein um mich zu sich zu ziehen und gibt mir einen leidenschaftlichen Kuss. Mein Herz läuft im doppelten Tempo als sonst. Ich breche den Kuss ab, da ich kurz eine Verschnaufpause brauche. Er bringt mich fast zur Atemlosigkeit. Ein Lächeln umspielt die sonst nach unten hängenden Mundwinkel.

Ich liebe dich.

Ich beiße mir auf meine Zunge damit ich damit nicht rausplatze. Seine Augen richten sich wieder auf meine und ich sehe einen kleinen Funken in ihnen. Okay. Ich brauch Mut. Vielleicht mag er mich auch? Vielleicht wird das die beste Entscheidung meines Lebens ihm zu sagen, dass ich nicht mehr seine Therapeutin sein kann, da ich mehr für ihn empfinde. Vielleicht geht das ganze auch nur brutal in die Hose und er zieht heute doch noch aus. Vielleicht rutsche ich auch nur in die Friendzone, vielleicht auch in die Therapeutenzone. Wenn es das überhaupt gibt.

Wir sitzen wortlos uns gegenüber und ich weiß nicht was ich tun soll. Aber einen Vorteil hat es, ihm jetzt meine Gefühle zu gestehen. Ich muss immerhin bald aufbrechen um zu meinem Seminar zu kommen, und dann müsste ich ihn nicht mehr sehen. Allein der Gedanke lässt mein Herz schmerzen, aber ich kann es nicht herausfinden, wenn ich ihn nicht darauf anspreche.

Ich nehme meinen Mut zusammen. Ich sage ihm das, was mir seit einigen Tagen bewusst ist. Ich nehme einen tiefen Atemzug.

'Isaac' Angesprochener sieht mich neugierig an. Man, diese Augen bringen mich noch in mein Grab. Mein Puls rast.

'Ich kann nicht mehr deine Therapeutin sein. Ich muss dich an meinen Kollegen verweisen, oder du findest einen anderen.'

Ich stocke. Er nimmt meine Hand in seine. 'Warum? Ist etwas passiert?' Ich schüttle meinen Kopf.

'An sich nicht. Es gibt aber eine Art Kodex, gegen welchen ich schon verstoßen habe, als ich dich gebeten habe bei mir einzuziehen. Dieser soll aber nicht noch vollständig kaputt gemacht werden. Isaac, ich kann dich nicht mehr therapieren, da ich mehr für dich empfinde. Und ich kann nicht meine Gefühle in mein Urteil einfließen lassen oder es gar trüben lassen.'

Jetzt ists raus. Ich meide seinen Blick. Ich sehe nach unten auf unsere Hände die immer noch einander halten, als müssten sie uns zusammen halten in einem Sturm auf hoher See.

Isaacs Zeigefinger bewegt sich unter mein Kinn um es zu heben, damit ich in seine Augen sehe. Diese kleine Geste bringt mein Herz zum stolpern. Ich weiß nicht wie er sich fühlt, weder was er sagen wird. Er sagt nichts.

Isaac legt seine Lippen auf meine. Als bräuchte er sie zum Leben. Als wäre ich sein Lebenselixier. Es fühlt sich an, als würde er versuchen durch diesen Kuss mir klar zu machen, dass er genau so fühlt. Ich spüre sein Lächeln auf meinen Lippen. Mein Gefühlsausbruch wird aber von einem Handy durchbrochen. Der Klingelton ist nicht meiner.

Isaac geht ran, als der Anrufer höchstwahrscheinlich ihm sagt wer er ist, blickt Isaac zu mir. 'Ich muss schnell telefonieren. Ich geh auf den Balkon.' Ich nicke.

Okay, Isaac hat mich nicht abgewiesen. Ein triumphierendes Grinsen ist in meinem Gesicht als ich meine restlichen Dinge einpacke um dann auch zu fahren.

Isaac schließt die gläserne Balkontür hinter sich und ist Gedanklich komplett an einem anderen Ort. Was ist nur los? Waren es meine Worte die ihn komplett aus seiner Fassung gebracht haben oder der Anruf?

'Was ist passiert?' Ich stelle mich vor ihn und lege meine Hände auf seine Schultern, damit er aus seiner Gedankenwelt kommt. Das Telefonat hat die gesamte Stimmung im nu zum Kippen gebracht.

Isaac wendet sich von mir ab und das verursacht in meinem Herzen ein kleines Stechen. Um was ging der Anruf? Vielleich war es Dylan und es ist irgendetwas passiert? Ich kann ihn nicht benachrichtigen da nur er meine Nummer hat. Oh Gott, ich habe ein schlechtes Gefühl.

Ich muss in fünf Minuten losfahren. Isaac ist immer noch abwesend. Ich habe gehofft, dass wir gut auseinander gehen und ich mich auf unser Wiedersehen freuen kann. Das schlechte Gefühl lässt mich nicht los.

Ich schließe Isaac in eine Umarmung. Er erwidert sie und gibt mir zu meinem Erstaunen einen Kuss zur Verabschiedung. Mit meiner gepackten Tasche gehe ich zu meinem Auto. Ich mache nicht wie üblich meine Musik an, sondern rufe Hamza an.

Nach einem langen Wählton geht er endlich ran. 'Selam Alexa. Was ist los?'

'Ich hab ein schlechtes Gefühl. Ich bin gerade unterwegs zu meinem Seminar und Isaac hat einen Anruf bekommen, und jetzt ist er total abwesend. Ich hab angst um ihn Hamza.'

'Weißt du von wem der Anruf war? Oder um was er ging?'

'Nein, das ist ja das Problem.'

'Hast du bedenken, dass er einen erneuten Versuch machen wird?'

Hamza stellt die Frage vorsichtig. Isaac hat mir bis jetzt schone einmal so einen Schrecken bereitet und es ist an sich nichts passiert. Aber an dem Tag war er wenigstens nicht so aufgebracht wie er heute ist. Patienten werden oftmals wegen den 'kleinsten' Triggern rückfällig, das bedeutet aber bei Isaac das Schlimmste. Suizid. Deswegen schmerzt es mich folgenden Satz tatsächlich laut auszusprechen.

'Ich kann es nicht ausschließen.'

Hamza redet mir gut zu und sagt mir, dass er Isaac später versucht zu erreichen und zu fragen ob alles okay ist.

Desto weniger Minuten es auf dem Routenplaner werden desto mehr werden meine Sorgen. Ich kann ihm nicht helfen von hier. Ich hoffe, dass nichts schlimmes passiert.

Das Hotel hab ich erreicht und bin nun auf meinem Weg zu der ersten Vorlesung, welche doch zu meinem Erstaunen gut gefüllt ist. Ich kann mich aber kaum auf das Gelaber des Professors konzentrieren.

Eine Wahrheit Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt