Ich sitze recht weit oben im Hörsaal und ein paar Plätze von der Tür entfernt. Hier oben sitzen weinige, deswegen macht es niemand aus, wenn ich an meinem Handy bin. Ich erhalte gerade eine Nachricht von Azra. Es ist ein Bild von mir und Isaac. Wir sehen einander an während wir zusammen tanzen. Das Bild lässt mich nur ein bisschen besser fühlen.
Das schlechte Gefühl zieht sich jetzt durch den ganzen Tag schon. Und es ist mittlerweile später Nachmittag. Die Vorlesung ist in einer halben Stunde vorbei, und somit auch der erste Tag.
Ich versuche meine Aufmerksamkeit wieder auf die PowerPoint des Professors zu richten als mein Handy vibriert. Es ist eine fremde Nummer. Wer will jetzt was von mir? Mein Puls steigt als ich an Isaac denke und hebe sofort ab. Eine bekannte Stimme begrüßt mich stockend. 'Alexa?'
'Dylan? Was ist los?' Ich bete. Ich bete um das Wohlsein Isaacs.
'Es ist Isaac.' Seine Stimme bricht. Ich schließe meinen Laptop und renne aus dem Saal.
'Was ist passiert?' 'Eine Überdosis an Medikamenten. Und ein darauffolgender Anaphylaktischer Schock. Wir sind im St. Mary'
'Ich komme.'
Ich muss auflegen. Ich bin in der Hoffnung, dass Isaac das wie durch ein Wunder überlebt. Ich bin in Schock. Ich kann nicht weinen. Ich fühle leere. Ich rufe Hamza an um ihm Bescheid zu geben was passiert ist. Er wird mit Azra am St. Mary auf mich warten.
Die eineinhalb Stunden Fahrt verbringe ich im Stillen. Ich starre vor mich hin. Ich sollte in diesem Zustand nicht Autofahren. Ich bin gedanklich in einem anderen Universum.
Nach der fast unendlichen Zeit finde ich mich in meinem Audi auf dem Parkplatz von dem Krankenhaus in welchem ich Isaac das erste Mal gesehen habe.
Im Wartebereich sehe ich Dylan mit Hamza und Azra. Flynn ist auch da. Als ich auf sie zustürme sehen sie alle auf mit bemitleidenswerten Gesichtern. Außer Dylan. Dylan ist fertig. Seine Augen sind rot unterlaufen und er schnieft. Ich sehe sie hilfesuchend an.
'Er ist nicht tot oder? Er muss leben.' Dylan zieht seine Lippen in einen dünnen Strich und kommt auf mich zu. Ich weiche zurück. Er schüttelt seinen Kopf. 'Sie konnten nichts mehr tun.'
Ich schluchze laut auf. Meine Hand geht zu meinem Mund.
Nein. Nein, das kann nicht sein.
Meine Brust hebt und senkt sich rasant. Ich bekomme keine Luft. Dylan kommt auf mich zu und nimmt mich in eine Umarmung. Ich fange an zu weinen. Um Isaac. Um Dylan. Um uns. Und um den wundervollen Menschen, der sein Leben beendet hat. Ich höre nicht mehr auf.
Ich breche zusammen. Nun sitzen wir alle auf dem Boden. Azra wischt sich eine Träne aus dem Gesicht und nimmt mich in ihren Arm. Ich fühle nichts.
Doch, Schmerz und Trauer.
Ich weiß nicht wie lange mein Zusammenbruch andauert aber ich komme an einem Punkt an, an welchem meine Tränendrüsen nichts mehr produzieren können.
Ich weiß nicht wie ich nach Hause gekommen bin. Ich weiß nicht wie mein Koffer ausgeräumt worden ist. Ich weiß nicht wie ich nun in Jogginghose und Pulli in meinem Bett liege. Ich weiß aber, dass Azra bei mir war und Hamza mit zu Dylan gegangen ist. Ich habe Azra nachhause geschickt.
Ich muss allein sein. Allein.
Das erste Mal seit Wochen bin ich allein. Es gibt keinen Isaac mehr, der mir Kaffee braut, mich bekocht oder nach dem Feuerzeug fragt. Nein. Es gibt nur noch mich.
Ich rolle mich in meinem Bett zusammen in welchem ich mit Isaac vor weniger als 24 Stunden zusammen gelegen habe. Meine Tränen rinnen ohne Vorwarnung über meine Wangen.
Ich verbringe Minuten, Stunden und Tage in meinem Bett. Azra und Hamza wechseln sich ab um mir Essen zu bringen. Aber ich werde von der Realität eingeholt.
'Isaacs Beerdigung ist heute.'
Azra legt mir ein Outfit zurecht. Ich blicke starr auf die kohlschwarzen Sachen. Es ist eine stinknormale Jeans, ein Pulli und eine warme Jacke. Nichts Extravagantes. Azra trägt fast dasselbe. Ich will ihm die letzte Ehre erweisen. Also Dusche ich mich und zieh mich um. Ich fahre bei Azra mit um noch Dylan und Hamza abzuholen. Beide sind auch komplett schwarz gekleidet. So machen wir uns alle auf den Weg zu dem Familiengrab Roth.
Die Zeremonie ist klein. Es sind nur wir vier und der Pfarrer, seine Mutter wollte er nicht dabei haben, was logisch ist, nach den Vorkommnissen. Isaac wollte eingeäschert werden deswegen wird zum letzten Takt die Urne in den Boden gelassen.
Mir rinnt eine Träne über meine Wange und ich lasse sie laufen. Leise stehen wir vor dem Grab. Danach gehen wir alle zu den Oktays nachhause um zu Essen. Um Gesellschaft mit dem Trauern zu haben. Wir bleiben eine ganze Weile bei ihnen aber dann werde ich zu meiner Wohnung gebracht. Ich bin erneut allein.
Es wartet kein Isaac auf mich, damit ich ihm erzählen kann wie mein Tag war. Oder wir wie so oft Zwei Lügen Eine Wahrheit spielen. Oder Harry Potter schauen. Isaac hat den letzten Teil immer noch nicht gesehen. Ich setzte mich auf das Sofa und starre vor mich hin. Mein Papa schreibt mir jeden Tag ob es mir gut geht, da ich ihm das Ganze erzählt habe. Er ist sehr bedrückt gewesen um meinen Zustand, ich versichere ihm aber, dass es mir gut geht.
Ich glaub ich muss mich selbst nur genug davon überzeugen.
Ich blicke jeden Tag auf das Foto von mir und Isaac. Jeden Tag muss ich mich überzeugen, dass es ihm gut geht und dass er es nicht bereut. So langsam versuche ich wieder in einen Tagesrhythmus zu kommen aber Arbeiten gehe ich noch nicht.
Mein Chef war nicht sauer, im Gegenteil. Er hat mir gesagt, dass er mich bewundert für meine Empathie und das Evans sicher die Gruppentherapie allein schafft. Ich bin froh über die Auszeit. Ich will definitiv weiterarbeiten in der Branche, die Entscheidung hat Isaacs Suizid nur gestärkt.
Seine Mutter ist immer noch im Entzug und dort wird sie wohl noch lange bleiben, da sie so oft Rückfällig geworden ist. Ich beschließe eine Folge Criminal Minds zu schauen, bis ich dann in mein Bett fallen kann. Nur damit morgen wieder ein normaler Tag sein wird, wie jeder andere, nur ohne Isaac.
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Eine Wahrheit
RomanceAlexa Colemeyer ist komplett neu in einer Praxis angekommen als frisch gebackene Psychologin. Sie freut sich endlich aus Theorie Praxis zu machen. Alles passierte auf einmal anders als es hätte kommen sollen. Vor allem Isaac Roth, welcher ihr neuer...