27) Risiko

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Es war wundervoll.

Ich fühlte mich wundervoll.

Zwar lieferte mir mein Geist teilweise noch immer unwillkommene Wortfetzen, flimmernde Bilder oder eine seltsame Emotion, wenn ich irgendwelchen Menschen begegnete, aber es war kein Vergleich zu der Ausgangssituation.

Außer natürlich, ich legte es gezielt darauf an, in irgendjemandes Kopf auf Erkundungstour zu gehen. Was funktionierte. Auf Anhieb und ausnahmslos, sofern dieser Jemand nicht gerade selbst ein Oblivious war und mich hochkant wieder hinauswarf.

Fast so, als hätte ich alles schon einmal gelernt und nur das Umlegen eines Schalters gebraucht, um all das Gelernte wieder zu aktivieren.

Tilda war sehr zufrieden – und noch zufriedener, als ich es gleich in der nächsten Stunde schaffte, den bemitleidenswerten Elton John an die Decke fliegen zu lassen.

„Wunderbar!" Begeistert klatschte sie in die Hände. Ihre sturmgrauen Augen funkelten vor Aufregung. „Sehr gut, Niall! Sehr, sehr gut! Ich wusste, dass all das noch tief in dir irgendwo schlummert und nur einen Stups braucht!"

Mein Lächeln war unsicher, aber triumphierend, als ich Elton John langsam wieder in die Papierablage zurückgleiten ließ, um mir gleich danach den Kaktus vom Fensterbrett zu schnappen.

Er kostete mich ein wenig mehr Konzentration, ein wenig mehr Energie, da die Masse eine größere war, doch letztendlich schaffte ich es, ihn quer durchs Zimmer zu transportieren und neben der Kaffeemaschine auf dem Regal landen zu lassen.

Ein unglaubliches Gefühl.

Die Energie davon brutzelte förmlich in meinen Fingerspitzen, ließ meinen Geist summen, die Aufregung in mir brodelte so intensiv wie noch nie.

„Niall."

Mit fragendem Gesicht wandte ich mich von dem Kaktus ab, um mich Tilda zuzuwenden – und sah gerade noch einen Kugelschreiber auf mich zuschießen.

Instinktiv riss ich die Hand hoch, um ihn abzufangen, doch dazu kam es nicht. Stattdessen blieb der Stift abrupt zwischen uns in der Luft hängen, wie von einer unsichtbaren Kraft dort festgehalten.

Nun gut, er wurde dort auch von einer unsichtbaren Kraft festgehalten.

Von meiner Kraft.

Meine Telekinese, die ich nun so wunderbar zu beherrschen schien, als hätte sich das frustrierende Lernfiasko zuvor überhaupt nicht ereignet.

Zuerst schien Tilda geradezu geschockt zu sein, doch dann breitete sich ein Strahlen auf ihrem Gesicht aus.

„Faszinierend." Ihre Stimme glich einem Wispern. „Schlichtweg faszinierend. Du beherrschst Telepathie, Empathie und Telekinese gleichwertig. Keinen Bereich stärker oder schwächer. Du hast nicht nur eine Stärke, sondern alle. Die letzte mir bekannte Person, die das in diesem Ausmaß beherrschte, war..."

„Verzeihung."

Die Tür flog so kraftvoll auf, dass wir zusammenzuckten. Der Kugelschreiber löste sich aus seiner unsichtbaren Fixierung und landete klappernd zwischen uns auf dem Schreibtisch. Tildas Kaffeetasse verfehlte er nur um wenige Millimeter.

„Hallo." Liam Payne mit der berühmten Häufchenfrisur stand in der Tür, einen unleserlichen, jedoch keinesfalls positiven Ausdruck im Gesicht. „Tilda, tut mir leid, aber ihr müsst eure Stunde ein andermal fortsetzen. Wir haben Besuch."

Tilda erhob sich sofort. „OOA?"

Liam nickte knapp. „Verdeckte Überprüfung. Schon wieder. Obwohl sie erst vor ein paar Wochen hier waren. Anne befürchtet, sie könnten einen Tipp bekommen haben."

Oblivious (Ziall)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt