„Und du sagst, die Stimmen melden sich inzwischen jeden Tag?"
Angespannt knetete ich die Finger im Schutz des Besprechungstischs, ehe ich mich zu einem Nicken zwang.
Bernard Quinns durchdringenden Blick mied ich dabei tunlichst.
Mein langjähriger Therapeut kannte mich inzwischen so gut, dass er mir meine Bestürzung, meine Angst, meine aufkeimende Panik über die derzeitige Lage von der Nasenspitze ablesen könnte.
Und wenn ich etwas nicht wollte, dann, dass mein Psychotherapeut annahm, ich wäre zu labil, um auf eigenen Füßen zu stehen. Am Ende kontaktierte er noch meine Eltern. Und dass er mich als hoffnungslosen Fall abstempelte, wollte ich auch nicht.
Was ich mir dann überhaupt noch von den wöchentlichen Sitzungen erwartete, wusste ich selbst nicht. Vermutlich war es die Gewohnheit, etwas, das man schon sein ganzes Leben lang durchgezogen hatte, auch in Zukunft fortzuführen – vor allem, wenn es sich um so etwas handelte. Und natürlich unterschrieb Quinn die Rezepte für meine Tabletten, daher sollte ich mich sowieso öfter als nur einmal im Vierteljahr bei ihm blicken lassen.
„Gibt es Veränderungen?" Quinns rauchige Stimme war wie immer unaufgeregt und sachlich. „In der Intensität, der Lautstärke? Und verstehst du etwas von dem, was gesagt wird? Wortfetzen oder womöglich ganze Sätze?"
„Nein. Aber ich habe das Gefühl, dass sie ..." Ich stockte, auf der Suche nach einer treffenden Beschreibung. „... eindringlicher werden? Die Lautstärker variiert nach wie vor, aber manchmal tut es geradezu weh. Nicht, weil es so laut ist, sondern ..." Frustriert brach ich ab. „Ich kann es nicht erklären."
Quinn fuhr sich mit der Hand über sein kurzgeschorenes, ergrauendes Haar. In jüngeren Jahren hatte eine dunkelbraune Haarpracht seinen Kopf geziert, aber das war längst vorüber. Kaum hatten einzelne, graue Strähnen angefangen, sichtbarer zu werden, hatte er seine gesamte Frisur radikal gestutzt.
Bernard Quinn gefiel es nicht, älter zu werden. Ganz und gar nicht. Auch die Kleidung unter seinem typischen, weißen Arztkittel zeugte von jugendlicherem Stil und dem Willen, nach außen hin jünger zu wirken.
Oder vielleicht gefielen ihm die Klamotten einfach, die derzeit in der jüngeren Generation angesagt waren. Ganz so gut kannte ich ihn dann trotz unserer fast zwei Jahrzehnte langen Bekanntschaft nicht. Immerhin ging es in unseren Sitzungen ausnahmslos um mich, nicht um ihn. Logischerweise.
Ich war hier der Freak. Nicht er.
„Und wenn es zu viel wird, erhöhst du die Dosis vom O-Nesciol." Es war eine Feststellung, keine Frage.
Ich nickte knapp. „Ich weiß nicht, was ich sonst tun soll."
„Die Nebenwirkungen?"
Das bittere Schnauben, das mir bei dieser Nachfrage entschlüpfte, konnte ich mir nicht verkneifen. „Furchtbar."
Quinn musterte mich forschend. Natürlich reichte ihm eine Ein-Wort-Beschreibung nicht aus.
„Tendenz?", hakte er nach. „Schlimmer? Besser als noch vor ein paar Wochen? Oder gar erneutes Eintreten von Bewusstlosigkeit?"
Wie kompliziert konnte ein Mensch es formulieren, dass ich schlichtweg umgekippt, auf die Fresse gefallen und im Krankenhaus gelandet war?
„Schlimmer." Ich runzelte die Stirn. „Aber umgefallen bin ich seit der Sache mit dem Kaffee nicht mehr. Ich trinke auch keinen mehr, also ..."
Der Arzt warf mir einen schrägen Blick zu. „Das will ich auch hoffen, junger Mann." Er schob sich seine schmale, neongrüne Lesebrille, die an einer Schnur um seinen Hals baumelte, auf die Nase und räusperte sich. „Wie gehst du ansonsten mit der Situation um?"
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Oblivious (Ziall)
FanfictionSeit er denken kann, hört Niall Stimmen in seinem Kopf. Er leidet unter Schizophrenie. Oder: Das ist zumindest, was man ihn glauben lässt. Darüber, dass seine Symptomatik von der Durchschnittsnorm abweicht, macht er sich schon längst keine Gedanke...