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Greg hatte seit seiner Ankunft wenige Details über die eigentlichen Vorfälle erfahren. Nur, dass John, Sherlock und sein Bruder in einem tödlichen Spiel mit der inhaftierten Holmes-Tochter verwickelt waren.

Als sie ankamen, durchbrach Blaulicht und rennende Polizisten die Nacht. Ein Trupp befreite mit Sherlocks Hilfe John aus dem Brunnen, der nur gerade so dem Ertrinkungstod entrinnen konnte, die andere Gruppe nahm sich Mycroft an, der dritte Trupp nahm Eurus in Gewahrsam. Irgendwie ging das noch nicht so ganz in Gregs Kopf, dass... dass er die drei einfach fast verloren hätte...

Er konnte außerdem sehen, dass selbst Sherlock aufgelöst zu sein schien. Er weigerte sich nicht einmal die Schockdecke zu tragen. Gerade nachdem er mit ihm gesprochen hatte und weggehen wollte, vernahm er noch einmal seine Stimme:

„Oh, ähm... Sorgen Sie dafür, dass man sich um Mycroft kümmert? Er ist nicht so stark, wie er denkt", bat Sherlock den Inspektor, welcher gerade mit demselben und John gesprochen hatte.

Mycroft hatte er eben noch gesehen, da hatte er ganz benommen in einer Zelle gesessen. Das war so surreal gewesen... Vorher kannte er ihn nur flüchtig, aber er wusste, dass er ein hohes Tier in der britischen Regierung ist. Immer sehr ernst, nur in Anzügen zu sehen und extrem distanziert. Er konnte sich an kein einziges Gespräch mit ihm erinnern, obwohl er durch Sherlock öfters gesehen hatte. Doch er hatte ihn noch niemals in so einem schrecklichen Zustand gesehen.

„Ja, geht in Ordnung", versicherte er dem Consulting Detective und machte erneut kehrt, um sich um weitere Angelegenheiten zu kümmern. Hier die Lage checken, dort Protokoll und Zeugenaussagen aufnehmen, der Tag schien kein Ende zu nehmen.

Das „Danke, Greg" von Sherlock warf ihn jedoch kurz aus der Bahn. Sherlock hatte sich doch noch nie seinen Namen merken können. Er hatte ihn so oft falsch angesprochen, dass er schon davon überzeugt war, Sherlock mache das mit Absicht. Doch da dankte er ihm, aufrichtig und ehrlich...

Er war eben doch ein guter Mensch, wie er einem weiteren Polizisten dann noch sagte.

Lächelnd ging Greg also zu den anderen Kollegen und kümmerte sich um die Bestandsaufnahme, während seine Augen noch einmal nach Mycroft Ausschau hielten.

„Sir?", wurde er von Sergeant Donovan gerufen, „Ihr Kaffee."

„Danke Ihnen."

Lestrade nahm den heißen Becher und wollte eben einen Schluck trinken, als er Sherlocks Bruder erneut erblickte. Mycroft wirkte immer noch blass und erschöpft. Trotzdem stand er da, ohne Decke und mit einer Ausstrahlung von Autorität, die man nur von Politikern kannte... So wie Greg ihn immer gesehen hatte.

Fast hätte er an Sherlocks Worten gezweifelt, wäre er nicht noch einmal auf ihn zugegangen. Je näher er auf den älteren Bruder zukam, desto besser erkannte Greg, dass er sich doch nicht aus dem Nichts erholt haben konnte: Haarsträhnen fielen ihm noch immer ins bleiche Gesicht, seine tiefen Schatten unter den Augen verrieten, dass er wohl schon lange nicht gut geschlafen hat und er stützte sich deutlich mehr an seinem Regenschirm ab als üblich. Wo auch immer er den auf einmal her hatte.

„Geht es Ihnen etwas besser, Mr. Holmes?", stellte er die offensichtlich dümmste Frage für solche Situationen. Aber er hatte keine wirkliche Ahnung, was er sonst sagen sollte. Mycroft sah Lestrade an, als würde er die Frage nicht verstehen, stellte sich aufrechter und sagte mit nahezu schmieriger Professionalität: „Mir geht es bestens, danke."

Ah ja...

Greg verstand nun, was Sherlock gemeint hatte. Doch in seinem Tonfall war keine Spur von Ironie, sondern als würde er wirklich meinen, was er sagt. Flüchtig schaute der Inspektor zu seinem Kaffee, hielt ihn kurzerhand dem Größeren hin und lächelte dabei schief. Mycroft runzelte die Stirn, nahm den Becher aber müde lächelnd an.

„Sie sehen immer noch ziemlich erschöpft aus. Setzen Sie sich ruhig noch mal", bot Greg an, doch er lehnte ab. Der Inspektor schnaubte. Diesen Stolz kannte er von einem gewissen anderen Holmes nur zu gut, dachte er.

„Man hat uns gebeten, uns um Sie zu kümmern. Wir würden Sie nach Hause bringen, Mr. Holmes", bot Greg an und deutete auf einen der Wagen von Scotland Yard. Sein Gegenüber seufzte, als wäre er von all dem Gerede genervt und ermüdet.

Es brauchte fast einen Tritt gegen den Regenschirm, bis sich Mycroft geschlagen gab und ins Auto stieg. Greg gähnte; der Tag war geprägt von der stressigen Hinfahrt und der Beobachtung der Lage währenddessen sowie die Planung des Zugriffs. Und seinen Kaffee hatte er auch noch verschenkt.

Donovan fuhr diesmal zurück, während er auf dem Beifahrersitz saß, aus dem Fenster starrte.

„Jetzt, wo die Verbindung zu Eurus Holmes und Jim Moriarty besteht, müssen wir ermitteln, in welchen vergangenen Fällen sie mitgewirkt hat, wenn sie nicht sogar für seine ganzen Strafakten verantwortlich gemacht werden kann", stellte seine Kollegin eine Prognose für die nächsten Wochen. Greg ahnte schlimmes.

„Heißt das Büroarbeit?"

„Leider ja, Sir."

Greg stöhnte genervt auf. Wenn es etwas gab, das er noch mehr hasste als lebensbedrohliche Einsätze, dann war es Büroarbeit. Die ganze Zeit rumzusitzen und Akten durchzugehen war der mit Abstand langweiligste Part seines Berufs. Als Politiker hat man doch aber immer mit Papier, Anträgen und Koalitionsverträgen zu tun, oder?
Greg sah wieder zu Mycroft nach hinten.


Dieser hatte den mittlerweile leeren Kaffeebecher immer noch mit beiden Händen umschlungen und trotzdem könnten seine Augen jederzeit zufallen. Er zwang sich, wachzubleiben, bis er wenigstens zuhause war.
Wenn er die Augen schloss, sah er vor seinem inneren Auge noch immer die Geschehnisse der letzten Stunden. Der heutige Selbstmord des ehemaligen Direktors des Sherrinford Gefängnisses hatte ihn erbrechen lassen.
Er konnte sich gerade nicht einmal mehr seinem Namen entsinnen, obwohl John ihn danach gefragt hatte. Er hatte sich nicht einmal wegdrehen können, so schnell hat er sich erschossen... Und später hatte Sherlock dieselbe Waffe auch auf ihn gerichtet.
Der Geschmack der Magensäure und Essenresten machte sich wieder bemerkbar...

Mycroft fragte sich, ob es andere härter trifft, denn seinem Tod durch den eigenen Bruder ins Auge zu sehen war eine merkwürdige Erfahrung gewesen. Der Gedanke, beinahe selbst zu einem leblosen Stück aus Fleisch, Gewebe, Blut und Knochen zu werden, ließ es ihm kalt und nass den Rücken runterlaufen. Er presste die Lippen aufeinander und seufzte so leise er konnte.

Inspektor Lestrade hatte zwar recht, dass er erschöpft war, aber so schlimm war es nun auch wieder nicht. Müde ist jeder einmal. Außerdem kannte Mycroft durch seine Arbeit mehr als genug Menschen, welche eine deutlich schlimmere Vergangenheit verfolgte. Er hatte keine Zeit sich zu beklagen. Er musste sich zusammenreißen...

„Mr. Holmes, wir sind da", hörte Mycroft nach einer Weile von vorne die Fahrerin rufen. Er sah nach draußen, aber die Scheibe spiegelte nur sein fahles Gesicht. Er wollte danke sagen, doch sein Körper spielte nicht mit. Sein Rachen war wie ausgetrocknet, also musste er erst schlucken und sich räuspern, ehe er etwas herausbrachte. Und dennoch klang seine Stimme rau und kränklich. Lestrade musterte ihn und das ermutige Mycroft aus dem Auto auszusteigen.

Ihm ging es gut, viel wichtiger ist doch eher, wie Sherlock das alles wegsteckte... Apropos Sherlock...

Er überlegte kurz, ob er die Autotür schließen soll, beugte sich aber noch einmal in das Fahrzeug.

„Inspektor Lestrade, dürfte ich Sie noch einen Moment um ein Gespräch unter vier Augen bitten?

Nicht so stark - Mystrade FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt