8.

286 21 6
                                    

Greg überraschte die Entschuldigung so sehr, dass er beinahe nicht gebremst hätte, als sie auf eine rote Ampel zufuhren. Etwas ruckartig war der Stillstand dann auch.

„Ich hätte versuchen sollen, mein Versprechen gegenüber Ihnen zu halten", sagte Mycroft. Und das SO förmlich korrekt, dass er sich die Worte zurechtgelegt und auswendig gelernt haben musste! Greg musste eine Weile überlegen, bis er wusste, was er sagen soll.

„Ich hatte dafür aber keine Ahnung, dass Sie so viel mehr an der Backe hatten. Eine Bitte ist immer schnell ausgesprochen, aber man sollte den anderen damit nicht unter Druck setzen."

„Da haben Sie auch wieder Recht..."

Warum kommt Gregs Intelligenz eigentlich nie so gut vor meinem Bruder zum Vorschein, fragte sich Mycroft. Doch eigentlich wusste er die Antwort genau: An einem Tatort wird Empathie eben seltener gefordert.

Er sah Lestrade von der Seite an, welcher wieder losfuhr.

Er hatte seinen konzentrierten Blick auf die Straße geheftet, seine Gesichtszüge wurden durch das Licht der Straßenlaternen deutlich und mit seinem rechten Zeigefinger tippte er auf seinem Lenkrad herum...

„Sie sind nervös", stellte Mycroft fest. Greg schnaubte.

„Es ist nicht leicht, sich auf den Verkehr zu konzentrieren, wenn man dabei angestarrt wird", erklärte er mit ironischem Unterton.
Der Jüngere verstand und sah aus dem Fenster. Gerade fuhren sie an einer von vielen Häuserreihen vorbei, die genau gleich aussahen. Sie waren fast durchgefahren, zwei Straßen weiter und sie wären bei Mycrofts abgelegenem Haus.

Er dachte nach, als er sich die Häuser ansah. Jeder dritte ihrer Bewohner war in Gefahr, sich zu verschulden und hunderttausende Londoner hatten bereits Schulden von über 1.500 Pfund. Viele davon waren ernsthaft verzweifelt, oft sehen sie in der Kriminalität ein Ventil zur Auslassung ihres Frustes, oder als einzigen Ausweg.

„Ganz schön eintönig diese Wohngegenden, nicht wahr?"

Mycroft nickte, sah nochmal kurz zu Greg, zwang sich aber wieder wegzusehen.

„Wie Ihr Alltag zurzeit, richtig?"

Diesmal nickte Greg.

„Es ist einfach so furchtbar, nichts machen zu können. Büroarbeit ist wichtig, man muss ja einen Durchblick haben. Aber trotzdem, auf Dauer macht mich das wahnsinnig. Ich bin ein Mensch, der aktive Einsätze braucht, selbst wenn es mich nervt. Deswegen bin ich wahrscheinlich so gut mit Ihnen und Sherlock befreundet", endete der Inspektor und grinste, „Mit Ihnen und in Ihren Kreisen wird es nie langweilig."

Lestrade sah ihn als Freund an, wiederholte Mycroft für sich noch einmal im Kopf. Das kam überraschend, immerhin verbrachten sie sich erst seit ein paar Tagen richtig Zeit miteinander.
Er versuchte die Wärme in seiner Brust zu ignorieren und seine Gedanken zu sortieren.

„So sehen Sie das also?"

„Klar", antwortete er und hielt vor dem Haus, „Wer geht denn auch nicht zusammen Kaffee trinken und am nächsten Tag aus dem Krankenhaus heraus, wenn nicht Freunde, die Scheiße bauen?"

Greg sah Mycroft an und beobachte genau, wie dessen Mundwinkel sich wieder nach oben kämpften. Genau wie im „Dukes" Café. Er lächelte, ja lachte sogar. Zwar leise, aber ganz natürlich... Und es war ein lustiges Lachen, fast schon ungeübt.

Lestrade konnte sich nicht helfen und lachte ebenfalls. Eine, die tief aus dem Bauch herauskam, jedoch noch mit einem geschlossenen Mund gedämpft. Sie war ansteckend und das Zügeln seiner Gefühle wurde für Mycroft schwerer und schwerer. Es nervte ihn, dass er die Zeit mit Lestrade so genoss und sein Lachreflex nicht aufhören wollte. Er kniff die Augen zusammen, doch bald konnte er es nicht mehr zurückhalten.

Sie beide brachen in schallendes Gelächter aus, und es tat gut.
Es tat gut, die Arbeit mal zu vergessen und die Probleme zur Seite zu schieben. Wenigstens für einen Augenblick das Gefühl Glück zu empfinden.
Mycroft hielt sich den Bauch, Greg ging es ähnlich und schlug mit der Hand auf sein Lenkrad.

Dabei war das, was er gesagt hatte, SO lustig nun auch wieder nicht gewesen. Aber jetzt hatten sie angefangen und das machte es so witzig.
Mycroft so bescheuert glucksen zu hören machte ihn glücklich und genoss die ausgelassene Stimmung so sehr, dass er gar nicht aufhören wollte!

„Ich weiß gar nicht... warum wir überhaupt lachen", drückte Mycroft hervor und wischte sich die Lachtränen aus dem Gesicht. Greg zuckte mit den Schultern und machte dabei so ein komisches Gesicht, dass Mycroft gleich wieder anfangen musste.

Die beiden brauchten ein wenig, bis sie sich endlich wieder beruhigt hatten. Mycrofts Bauch tat ziemlich weh, sowas war er nicht gewohnt. Und doch bereute er keine einzige Sekunde davon. Er sah zu Greg, der versuchte, seine Atmung zu kontrollieren. Er sah so glücklich aus, dachte Mycroft und schmunzelte weiterhin...

Nur mit dem klitzekleinen Unterschied, dass es ihn diesmal nicht interessierte.

Es interessierte ihn auch nicht, dass sie schon längst vor seiner Haustür standen. Er unterhielt sich noch mit Greg über alles Mögliche: über Sherlock, Erlebnisse mit anderen Menschen, auch über ihre jeweilige Schulzeit und Gregs rebellische Punkerphase. Auch erfuhr dieser, was es mit Mycrofts angeblichem Ehering auf sich hatte; Dass er diesen trug, um diverse Unannehmlichkeiten auf der Arbeit zu verhindern. Immer mal wieder lachten sie dabei und genossen die Zeit, bis es langsam dunkel wurde.

Auf einmal stieg Greg aus, streckte sich und gähnte. Scheinbar musste ihre Zweisamkeit leider doch langsam ein Ende haben. Keiner von beiden wusste gerade wie spät es war, bis der größere ebenfalls ausstieg und auf sein Handy schaute... 19:53 Uhr

„Ich glaube, ich muss langsam nach Hause", sagte Greg, der um das Auto herum zu Mycroft auf den Gehweg kam. Er hatte jetzt lange im Wagen gesessen und brauchte Bewegung.

„Ja, ich denke auch", meinte Mycroft, die Tüte mit den verschriebenen Medikamenten in der rechten Hand. Sich dagegen zu wehren, würde nur Nachteile auf allen Seiten bringen, also würde er sie auch nehmen, versprach er sich.

„Man sieht sich bestimmt bald wieder", grinste Greg.

„Natürlich", erwiderte Mycroft und hielt verabschiedend seine Hand hin. Der Inspektor musterte sie, als würde er eine Leiche inspizieren und sah seinem Gegenüber kurz darauf in die Augen.

„Ach kommen Sie schon!", trotzte er, kam auf den größeren zu und umarmte ihn herzlich.

...Syntax Error...
Mycrofts Gehirn funktionierte eine Sekunde lang nicht. Wieso passierte das?
So nahe war ihm seit Jahren keiner mehr gekommen, dafür hatte er gesorgt. Aber er erwiderte die Umarmung diesmal, um bloß keinen Verdacht auf seinen immensen Schreck zu lenken. Oder auf die Reaktion, die jetzt gerade sich in seiner Brust abspielte...

Es dauerte gerade einmal zwei Sekunden, bis Greg sich wieder von Mycroft löste und ihn wieder ansah.

„Was ist? Habe ich den großen Mycroft Holmes, die britische Regierung, sprachlos gemacht?", scherzte er, nachdem sein Gegenüber ihn kurz ungläubig angestarrt hatte.

„Keineswegs", wimmelte er ihn lächelnd ab und ging in Richtung seines Gartentores. „Na dann... Gute Nacht, Greg."

„Gute Nacht, Mycroft."

Als Greg nun mit einem bescheuert breiten Grinsen wegfuhr, sah Mycroft ihm diesmal dabei zu. Kurz darauf betrat er sein Haus und schloss die Tür hinter sich. Er ging duschen, Zähne putzen, organisierte sich für morgen und sah sich die Details zur Einnahme der Tabletten an: Bei Problemen eine Schlaftablette abends, jeweils eine von den Vitaminen morgens. War nicht allzu schwer.

Dann legte er sich ins Bett und starrte die Decke an. Greg kam ihm in den Sinn. Er schloss die Augen und... Nichts...
Er schlief ein, ohne Probleme, ohne Bilder in seinem Kopf, wo sein Bruder tot vor ihm liegt. Da waren keine Bilder von einer blutverschmierten Eurus, die ihm den Schlaf raubten...

Da war nur Greg...

Nicht so stark - Mystrade FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt