Anthea war mit dem Rücken zu den beiden Holmes-Brüdern gewandt. Sie standen einfach da, darauf wartend, wer sich zuerst bewegte. Mycrofts Handy, auf dem dieser eben noch Greg anzurufen versucht hatte, meldete sich auf einmal.
„Ok. Wann ist die Deadline?", ertönte die Stimme des Inspektors. Doch Mycroft hörte ihn kaum.
„...Was...?"
Der ältere Bruder blinzelte, doch die Szene vor ihm verschwand nicht. Er presste seine Fingernägel kräftig in die Handflächen, doch er wachte nicht auf. Das passierte gerade wirklich.
Und plötzlich... Wie aus dem nichts riss sich seine Brust gewaltsam auf und in seinen Körper pressten sich Ziegelsteine. Eine schwere Eisenkette schlang sich fest um seine Kehle. Diese zogen ihn herunter, Mycroft hatte keine Chance, dem zu entkommen. Er sank und sank immer tiefer, mit jeder Sekunde, in der er realisierte, was Sherlock hier gerade offenbart hatte.„Mycroft? Sherlock!", kam es leise aus dem Handy.
„21:45 Uhr", brach der Detektiv nun endlich die Stille, die seinen großen Bruder zu ertränken drohte. Er ging einen Schritt auf Anthea zu, doch diese drehte sich auf einmal um und zielte mit einer Waffe auf Mycroft, der das Telefonat beendete.
„Sie wollen ihn nicht töten, sondern leiden sehen, habe ich recht?", sagte Sherlock.
Anthea sagte nichts, also fuhr er fort, deutete dabei auf zwei Akten, die schief auf einem Regal lagen:
„Als ich Sie auf dem Flur gesehen habe und ihre Nägel sah, war mir die Sache klar. Ich habe mir die Freiheit genommen, Ihre Akte mal genauer anzusehen und Ihre Beweggründe herauszufinden: Sie sind sehr jung, haben also nach Ihrem Abschluss an der Universität eine Stelle unter Leitung von Mycroft Holmes angenommen. Ihre Mutter hatte vor Ihnen mit meinem Bruder zusammengearbeitet, und zwar in Sherrinford. Nur dummerweise ist sie mit unserer Schwester Eurus in Kontakt gekommen und ist wahnsinnig geworden."
Die Sekretärin wurde verspannter, ihre Augen zogen sich zusammen.
„Jegliche Therapie Ihrer Mutter schlug fehl, Sie mussten also schnell auf eigenen Beinen stehen. Sie fingen an zu recherchieren und fanden heraus, wer ihr Leid zu verantworten hatte. Sie arbeiteten sich hoch, gewannen das Vertrauen meines Bruders und warteten geduldig auf einen geeigneten Zeitpunkt, um ihm ebenfalls etwas wegzunehmen, was ihm wichtig war. Der erste Anschlag war also gar nicht für Mycroft bestimmt, sondern für Inspektor Greg Lestrade."
Mycrofts Knie wurden weich, er schaffte es nicht, sich zu bewegen.
„Sieben Jahre... sie hatte sieben Jahre gewartet...?", hauchte er kaum hörbar.
Sherlock sprach weiter: „Die anderen Inspektoren haben Sie ausgewählt, da sie für den Fall Sherrinford protokolliert haben. Damit wollten Sie Mycrofts Aufmerksamkeit erregen, ihm klar machen, dass Sherrinford nun auch weitere Schicksale in Kauf nehmen wird. Ich bin mir sicher, ihre Mitstreiter sind ebenfalls Angehörige, die jemanden in Sherrinford verloren haben? Ein äußerst perfider Plan. Hätte ich Mycrofts Personal besser gekannt, wäre ich Ihnen bestimmt schneller auf die Schliche gekommen. Nur haben Sie entscheidende Fehler gemacht. Gerade bei dem ersten Anschlag war klar, dass jemand Mycrofts Pläne und Tagesabläufe gut kennen musste... Und natürlich", endete Sherlock und zeigte auf ihre Fingernägel, welche dieselbe Farbe hatten, wie die winzigen Nagellackreste auf dem ersten Puzzleteil.
„Und da sagt man immer, Mycroft wäre der Schlauere", zischte sie und spuckte den Namen ihres jahrelangen Chefs aus, als wäre es das Widerlichste, was sie jemals sagen musste. Ihr Arm zitterte, langsam konnte sie ihn nicht mehr ausgestreckt halten. Sie wandte sich an den Älteren der beiden.
„Haben Sie eigentlich jemals gesehen, was mit Ihrem Personal passiert ist?! Haben Sie jemals nachgezählt, wie viele Leben Sie zerstört haben?!?!"
„269 mindestens", dachte Mycroft und schloss die Augen. Er konnte Anthea nicht ansehen. Das war nicht die Frau, die er all die Jahre vertraut hatte...
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Nicht so stark - Mystrade FF
FanfictionEurus wurde gerade wieder in Gewahrsam genommen, als sich ihre Blicke trafen. "Sorgen Sie dafür, dass man sich um Mycroft kümmert", hatte Sherlock ihn gebeten. "Er ist nicht so stark wie er denkt."