Als die Zeit wieder anfing weiterzulaufen, ruhten noch ihre Hände aufeinander und ihre Gesichter waren sich ganz nahe. Sie konnten den Atem des jeweils anderen auf den Lippen spüren.
Sie sahen sich in die Augen, dann gegenseitig auf die Lippen...Mycroft drehte sich zuerst weg, erst dann reagierte auch Greg. Oh fuck, hatten sie das gerade wirklich getan?!
Er berührte seine Lippen und fuhr schnell mit seiner Zunge über sie... Sie schmeckten nach ihm... Oh scheiße, er hatte Mycroft geküsst!!Dieser prüfte ebenfalls, ob das gerade wirklich passiert ist. Schuldbewusst fuhr er durch die Haare. Er hatte sich nicht mehr im Griff gehabt. Aber Greg hatte es dann letzten Endes getan, oder? Dann muss er es doch eigentlich auch gewollt haben, oder?
Mycroft schielte zu Greg. Er konnte sein Gesicht nicht direkt sehen, aber seine Ohren glühten feuerrot und er atmete schneller. Ihm ging es also offenbar ähnlich, erkannte er und sah wieder weg.„Ich, ähm...", brach Greg dann die Stille, räusperte sich und fuhr sich durch die Haare, „Ich hoffe, ich habe da jetzt nichts falsch interpretiert."
„Nein, alles gut", erwiderte Mycroft knapp und trank noch etwas Tee, um sich irgendwie beschäftigt zu halten. Sein Herz schlug immer noch wie wild und die Folgen ihres Kusses konnte man förmlich in der Luft spüren.
„Puh... Ich hab schon sonst was gedacht...", sagte Greg verlegen und da war es wieder still. Warum stellten sie sich denn jetzt so an? Ja, sie haben sich geküsst, aber komm schon! War doch immerhin nicht Gregs erster Kuss... Aber- Aber vielleicht Mycrofts?
Er hielt diese Stille nicht lange aus, deswegen sagte er einfach... irgendetwas...„Äh... Sind wir da jetzt eigentlich... per du?"
Mycroft drehte sich zu Greg, fassungslos. Erst sah er den Inspektor einfach nur an, dann brach das Eis und Mycroft fing an zu lachen. Es war kein abwertendes Lachen, auch Greg sah ein, wie bescheuert diese Frage in dieser Situation eigentlich war. Er lachte ebenfalls und die beklemmende Stimmung war endlich aufgehoben.
Sie benahmen sich wirklich wie zwei Vollidioten, dachte Greg, dabei hatte er durchaus schon Erfahrung. Er schlug sich die Hand auf die Stirn.
„Können wir gerne machen", meinte Mycroft leise lachend.
„Oh man... die britische Regierung duzen... Wer darf das schon?"
„Nur du, meine Eltern, Eurus und Sherlock", sagte er wahrheitsgemäß. Der Inspektor hatte diese ernsthafte Antwort nicht erwartet, beruhigte sich langsam und sah Mycroft an.
„...Jetzt echt?"
Mycroft nickte.
Greg wusste nicht so wirklich, was er davon halten sollte. Klar, irgendwie war es schon eine gewisse Ehre, aber auch schade für Mycroft. Denn zeigte es ein weiteres Mal auf, dass er kaum jemanden hatte. Genauso sagte er es auch seinem Gegenüber, welcher schief lächelte.
Es rührte Mycroft, wie Greg sich über so etwas Gedanken machte, was für ihn vor einem Monat noch vollkommen normal gewesen war.
„Ist schon in Ordnung. Du weißt doch, ich bin quasi mit meiner Arbeit verheiratet", sagte er und deutete auf seinen Ringfinger. Greg lachte.
„Ich ja auch. Was glaubst du, warum meine Frau mich verlassen hat?", scherzte Greg.
Und obwohl er wirklich nur einen Witz machen wollte, löste das einen gewaltigen Stich in seiner Brust aus. Greg hatte lange kein Wort darüber verloren und dachte deshalb, er wäre darüber hinweg... aber jetzt fiel ihm wieder die dämliche Fotowand ins Auge und sein Lächeln verschwand.
Sherlock hatte ja damals recht gehabt; Miriam hatte ihn betrogen und das hatte Greg tief getroffen. Er hatte wirklich gedacht, sie hätten ihre Ehekrise überwunden und dann war es doch ganz anders gekommen. Die Hoffnung, die er an dem Weihnachtsabend noch hatte, wurde durch seine Frau und Sherlock gewaltsam mit Füßen getreten.
„Es schmerzt noch, oder?"
Mycroft hatte es bemerkt. Natürlich hatte er das. Greg nickte seufzend und nahm seine Tasse mit mittlerweile lauwarmen Kaffee und trank sie aus.
„Sowas verkraftet man wahrscheinlich niemals komplett", murmelte er.
„Natürlich nicht..."
Mycroft musterte Greg. Sein Griff an der Tasse war schwach, hing mehr an seinem Finger, als dass er sie festhielt. Seine Haltung war gekrümmt, er hatte seine Unterarme auf seinem Schoß. Greg starrte in den Raum, sah aber nichts wirklich an.
Er war traurig, dachte nach. Und im Angesicht der Tatsache, dass es um seine Ex-Frau ging, war es nur logisch so zu fühlen.
Mycroft wollte ihn aufheitern, aber wie?
Als er über seine Vergangenheit sprach, hatte Greg ihm Komplimente gemacht und seine Hand berührt. In ersterem war er nicht wirklich gut, also wählte er die zweite Variante...Er versuchte also dasselbe bei Greg und strich ihm sanft über den Handrücken. Man konnte zusehen, wie er wieder anfing zu lächeln. Der Versuch war erfolgreich.
Der Inspektor seufzte leise und lehnte sich an Mycroft an. Er konnte förmlich spüren, wie dieser in jeder Bewegung erstarrte, außer in seiner Hand, mit der Mycroft ihn berührte. Greg schmunzelte und fühlte sich tatsächlich besser.
„Danke", sagte er und verschränkte die Finger ineinander. Es kümmerte ihn nicht, dass Mycrofts Hände kalt waren, denn je länger er sie hielt, desto wärmer wurden sie. Seine eigene Hand schien wie unter Strom. Mycrofts Atem blies Greg in den Nacken wie eine angenehme Sommerbriese. Das hatte er schon so viele Jahre nicht mehr gehabt...
„Darf ich fragen, wo die Toilette ist?", meldete sich Mycroft irgendwann zu Wort.
„Nö."
Er verdrehte die Augen. „Sehr witzig."
Greg lachte und setzte sich auf, damit Mycroft aufstehen konnte.
„Schon gut. Die letzte Tür im Flur."
Mycroft ging ins Bad und sah unweigerlich viele Dinge, die Greg als Person ausmachten:
-Elektrischer Rasierer, etwas abgegriffen. Mindestens fünf Jahre in seinem Besitz, Trimkopf aber neu.
- Zahnbürste liegt auf dem Waschbecken, statt im vorgesehenen Becher. Komischerweise liegt sie auf der linken Seite. Er muss also mit der rechten Hand zusätzlich etwas gemacht haben, vermutlich texten, einen Anruf hätte er eher mit seiner schwachen Hand geführt. Offenbar war heute ein stressiger Morgen gewesen.
- Handtuch hing schief auf der Stange und fiel fast herunter, außerdem schlug es Falten. Er hatte es notdürftig auf darauf geworfen. Bestätigung der Theorie, dass Greg wenig Zeit hatte.
- Sein Duschgel, nichts Besonderes. Kein Interesse an hochwertigeren und teuren Produkten. Er könnte sich sowas zwar leisten, will aber nicht.
Mycroft musste sich zwingen aufzuhören, ging auf Toilette und wusch sich die Hände mit Gregs ebenfalls gewöhnlicher Handseife. Kurz darauf checkte er seine Nachrichten. Zwei Minister brauchten Rat, eine E-Mail, die er ignorieren konnte und Nachrichten von Anthea, die zeigten, wann sie was gemacht hat.
Er beantwortete die Fragen vom Finanz- und Gesundheitsminister und kam dann wieder zu Greg. Dieser hockte vor der untersten Reihe eines Regals und zog ein Buch hervor.
„Willst du?"
Mycroft hob fragend eine Augenbraue, doch dann erkannte er, was das war. Greg grinste und öffnete das Buch. Zum Vorschein kam eine kleine Whiskeyflasche, die darin versteckt war. Mycroft schmunzelte.
„Gerne."
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Nicht so stark - Mystrade FF
FanfictionEurus wurde gerade wieder in Gewahrsam genommen, als sich ihre Blicke trafen. "Sorgen Sie dafür, dass man sich um Mycroft kümmert", hatte Sherlock ihn gebeten. "Er ist nicht so stark wie er denkt."