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Nachdem Mycroft und Greg ihr Kaffee-Ritual nachgeholt hatten und einmal tanken waren, fuhren sie ans westliche Ende Londons nach Richmond. Die Fahrt hatte fast eine Stunde gedauert, doch als Greg ausstieg und die Luft tief einsog, war der ganze Frust über den Verkehr überwunden. Der Richmond Park weckte Erinnerungen und der Inspektor lächelte.

„Ich bin früher oft hierhergekommen, wenn ich eine Auszeit von all dem Stress und den Menschen in London gebraucht habe. Hier kommen weniger Touristen her, deswegen ist es hier so viel ruhiger", erklärte Greg, als sie die ersten Meter vom Auto weggingen.

„Ich habe mir vorher nie Zeit für so etwas genommen. Und wenn ich Ruhe brauchte, bin ich in den Diogenes Club gegangen", gestand Mycroft und studierte den glücklich entspannten Gesichtsausdruck des Inspektors. Es war wirklich eine gute Idee, den Tag heute mit ihm verbringen zu wollen. Als Greg ihm beim Kaffee erzählt hatte, wie es ihm bis eben noch ging, hatte Mycroft sich ja schon fast schlecht gefühlt, aber dafür konnte er jetzt nachholen, was Greg gestern für ihn getan hatte.

„Ja, das klingt definitiv nach dir", scherzte Greg und grinste schief. Ihm ging es mittlerweile wieder wunderbar. Es hatte geholfen, mit Mycroft darüber zu reden. Und jetzt mit diesem Mann an einem Ort zu sein, mit dem er so viel mehr verband als nur einen ruhigen Park. Es war für ihn ein Zufluchtsort gewesen, immer wenn er allein sein wollte. Und jetzt spazierte er hier zusammen mit Mycroft. Was gab es Schöneres?

Heute philosophierten sie wieder einmal mehr über den Sinn des Lebens. Die Gesprächsthemen sind ihnen bisher nur selten ausgegangen. Doch selbst wenn das heute passieren sollte, hatte Mycroft immer noch etwas zu sagen...

„Oh! Hier bin ich hingegangen, als ich meine Abschlussprüfungen an der Polizeiakademie abgelegt habe", erzählte Greg und zeigte auf einen geteilten Teich, über den ein Weg aufgeschüttet wurde. Sie liefen geradewegs darauf zu und die Augen des Inspektors leuchteten.

„Wahnsinn... Das ist alles schon so lange her... Wäre es nicht schon so kalt, würde ich ja liebend gerne meine Füße ins Wasser tauchen."

Mycroft stellte sich das vor. Ein jubelnder Greg, abends in diesem Park. Er hatte bestanden und würde bald seinem Traumjob nachgehen. Er würde sich genau hier an den Rand des Weges setzen, die Füße ins Wasser halten und das Leben genießen. Unweigerlich musste er auch grinsen und sah Greg an, wie er verträumt vorneweg läuft.

In gewisser Weise beneidete er Greg. Er hatte ein ganz normales Leben geführt, ging ganz normal zur Schule, bereitete sich auf Abschlussprüfungen vor und überlegte, was er nach der Schule machen wollte.

Mycroft hingegen hatte nie die Wahl gehabt. Er hatte ab einem bestimmten Punkt keine Kindheit mehr gehabt und war dazu bestimmt gewesen, die Last der Familie zu tragen. Ja, es war seine eigene Entscheidung gewesen, aber damals hatte er nichts Anderes in Betracht gezogen.

„Was ist los?", fragte Greg, der sich zu Mycroft umgedreht hatte. Dieser atmete tief durch, sah dem Inspektor in die Augen. Er versuchte gerade zu stehen und nun bloß nicht die Fassung zu verlieren.

„Greg, du bist so ein bemerkenswerter Mensch. Bevor du mich und Sherlock kennengelernt hast, hast du ein ganz normales Leben führen können. Ich habe mir immer Gedanken darüber gemacht und geglaubt, dass wir einander nicht guttun können. Du weißt ja, wie mein Bruder und ich über Sentimentalität denken. Aber mit jedem einzelnen Tag, den ich bisher mit dir verbracht habe, hast du mir das Gegenteil bewiesen. Du... Du hast Normalität in mein Leben gebracht, mir Zwischenmenschlichkeit gezeigt... Du hast sogar die Beziehung zwischen mir und Sherlock verfestigt!"

Greg schluckte, sah ihm in die Augen und hörte einfach nur zu. Das wollte er nicht unterbrechen... Mycroft atmete wieder tief durch und stand kerzengerade da, als müsse er sich dazu zwingen.

Nicht so stark - Mystrade FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt