Der darauffolgende Tag war für Greg wie erwartet: Er wurde zum gestrigen Vorfall als Zeuge befragt, selbst Reporter wollten was von ihm. Er hörte die Fragen, beantwortete sie und vergaß sämtlichen Inhalt der Gespräche sofort wieder.
Es dauerte bis zum frühen Nachmittag, als er das Revier wieder verließ. Die letzte Akte hatte er die Nacht über durchgearbeitet, um sich abzulenken. Dafür war er nun sehr müde, er hatte schon lange aufgehört die Kaffeebecher zu zählen.
Eben hatte Greg die Akte abgegeben und war gegangen. Anderson hatte er gesagt, dass er sich nicht gut fühlte, Donovan fand er nicht. Jetzt war es ihm endlich wieder erlaubt, Außeneinsätze zu tätigen. Doch zu seinem Bedauern fühlte er sich heute überhaupt nicht dazu in der Lage.
Als er Scotland Yard verließ, sah er nach unten. Denn genau gegenüber, am anderen Seite der Themse, war das London Eye. In voller Pracht konnte er heute den gestrigen Tatort aus dem Fenster und jetzt auf der Straße bewundern und das hat es ihm auch nicht wirklich leichter gemacht. Er seufzte schwer und setzte sich in seinen Wagen, als sein Handy klingelte. Der Name zauberte ein Lächeln auf sein müdes Gesicht.
„Hey, Mycroft. Wie geht's dir?"
„Ich habe mich wieder gefangen, danke. Und wie geht's dir?"
Greg wollte diese Frage eigentlich nicht beantworten. Doch es freute ihn zu sehr, dass Mycroft sich nach ihm erkundigte.
„Beschissen. Aber jetzt besser", antwortete er also wahrheitsgemäß.
„Müde?"
„Ja... Die haben mich bis eben als Zeugen befragt. Ich habe mich für heute von der Arbeit abgemeldet."
Mycroft grinste am Telefon. Das hörte und spürte Greg.
„Das trifft sich doch gleich gut. Ich bin gerade mit der Arbeit fertig geworden."
„Und wo bist du da jetzt?", fragte Greg.
Plötzlich klopfte es unmittelbar neben ihm an seiner Fensterscheibe. Greg erschrak so sehr, dass sein ganzer Körper zusammenzuckte, er dabei fast schrie und er sein Handy fallen ließ. Sein Herz blieb stehen und er hätte sich im Auto fast gestoßen. Mit aufgerissenen Augen starrte der Inspektor einem feixenden Mann in die eisblauen Augen. Er hielt sich die Brust und versuchte seine Atmung in den Griff zu bekommen.
„Scheiße, Mycroft!!! Mach das nie wieder!!", motzte er diesen an, nachdem der Regenschirmträger um das Auto herumgelaufen und eingestiegen war. Der Größere musste es sich verkneifen, zu lachen.
„Entschuldige", sagte Mycroft dann nur. Greg beruhigte sich langsam, lächelte und atmete noch einmal tief durch. Der Schreck war fast wieder verflogen.
„Du machst immer so unerwartete Sachen..."
„Stört dich das denn?", fragte Mycroft immer noch schmunzelnd.
Ganz im Gegenteil, dachte Greg und schüttelte den Kopf und legte diesen auf Mycrofts Schulter.
„Ich bin froh, dass du da bist..."
Allein seine Anwesenheit war schon aufbauend genug. Als aber Mycroft dann auch noch über Gregs Kopf strich, war alles vergeben und vergessen. Sämtliche Einsamkeit war verflogen und er fühlte sich wieder leichter. Er schloss die Augen und genoss das Kribbeln in seinem Nacken, das diese Berührung auslöste. Der Inspektor dachte gar nicht daran, loszufahren. Das hier hätte noch ewig so weitergehen können.
Doch leider verging die Zeit und Mycroft hörte irgendwann auf, ihm durch die Haare zu streichen. Greg sah fragend zu ihm auf.
„Jetzt, wo wir beide Zeit haben, dachte ich mir, könnten wir mal den Tag zusammen verbringen. Fernab von jeder Störung. Was sagst du?"
Greg wurde rot. Das könnte man auch falsch verstehen...
„Und was schwebt dir da vor?", fragte er sicherheitshalber und versuchte die Bilder zu verdrängen, die sich in seinen Kopf zu schieben drohten.
„Wir haben uns ja diese Woche von unserem Kaffee-Ritual abbringen lassen. Danach schwebte mir ein Spaziergang vor. Vielleicht zu einem Ort, der dir gut gefällt?"
Gregs Herz schlug schneller. Mycroft wollte ihn aufmuntern und ist deswegen sogar früher aus der Arbeit gegangen. Er kannte Mycrofts Wochenplan und wusste, dass er eigentlich noch viel zu tun haben müsste. Aber er nahm sich Zeit für ihn. Er war so gerührt davon, er hätte vor Freude platzen können.
„Du bist echt gut darin, mich wieder aufzumuntern, weißt du das eigentlich?"
Jetzt erkannte Greg auch etwas Röte auf Mycrofts Wangen.
„Du warst gestern für mich da, das beruht also auf Gegenseitigkeit", sagte er.
Nun konnte sich der Inspektor nicht mehr zurückhalten. Er lehnte sich zu Mycroft hinüber und umarmte ihn fest. Seine Nähe beruhigte ihn, seine Berührungen fesselten ihn. Seine Worte machten Greg glücklich... Er machte ihn so unglaublich glücklich und das bewies sich heute nur ein weiteres mal. Greg konnte das gar nicht beschreiben. Er genoss es einfach. Er genoss diesen Moment... Er genoss ihn...
Mycroft erwiderte die Umarmung sofort. Er war dankbar, Greg in seinem Leben zu wissen. Nach nur einem Monat konnte er ihn sich gar nicht mehr wegdenken.
Erst wollte er es nicht, doch Greg hatte ihn akzeptiert, wie er war. Und das trotz seiner vielen Fehler, die er in der Vergangenheit gemacht hatte und ihn ausmachten.Er wollte ihm diese Dankbarkeit zeigen und sich für all das revanchieren, was Greg ihm bisher geschenkt hatte. Und doch bereitete es ihm Sorge. Sentimentalität hatte ihm bisher immer nur Probleme bereitet und war niemals von Vorteil. Trotzdem... So etwas mit Greg hatte er noch niemals erlebt: Mit ihm konnte man reden, zusammen lachen. Und obwohl er es nicht wollte, fühlte er sich bei ihm immer besser.
Sentimentalität hin oder her... Greg war es wert...
Sherlock hatte ihre Wohnzimmerwand wieder einmal mehr mit Bildern und bisher veröffentlichten Zeitungsartikeln versehen. Es war ein Chaos aus Zetteln und verbindenden Fäden. Das hätte er selbst niemals gebraucht, jedoch hatte er John den Fall so besser erläutern wollen. Frustriert stand er vor dem Geflecht, lief durch die Wohnung und suchte nach weiteren Verbindungen, möglichen Fehlern, irgendetwas, das er nicht beachtete...
Der Drahtzieher ist weiblich, hat einen kleineren Kreis aus Gehilfen - so vernetzt war das alles nicht. Um korrekte Anweisungen zu geben, musste sie den Tagesablauf von seinem Bruder und Greg kennen. Beides kann nur auf wenige zutreffen, aber er kannte deren Bekanntenkreise nicht genau. Vielleicht gehörte ihr die kleine Spur von Nagellack auf dem ersten Puzzleteil, aber da waren keine Namen...
Drei bekannte Mithelfer: die rothaarige Schützin, James Hunter und der Mann, der sich als Tom West ausgegeben hatte. Der Minister handelte nur wegen 50 Pfund, die Frau aus echten Motiven. Aus dem dritten war noch nichts dergleichen herauszulesen.
Bisherige Opfer: Mycroft - Hunter zählte nicht mehr - und der echte Tom West. Letzterer ist gestorben. Wo ist die Verbindung zwischen ihm und Mycroft? Wo?! Da war keine! Irgendwo da musste der Fehler sein...Andere Herangehensweise: Mycroft und Greg waren bei dem ersten Anschlag gemeinsam im Brickston Café. Greg diente dazu, sich mit ihm lange im Café aufzuhalten, Hunter als Bewacher der Situation. Wurde nur angeschossen, um die Drohung des Puzzles wahr zu machen.
Puzzle: Bisher zwei Eckstücke, die zusammenpassen. Möglichkeit auf zwei weitere Teile und daraus folgenden Fällen. Aber warum überhaupt die Hinweise mit Koordinaten und Zeitangabe? Warum diese ganze Show? Was ist das Ziel hinter all dem?„Stört es dich, wenn ich den Fernsehr anmache?", fragte John. Keine Antwort des Consulting Detectives, also tat er es einfach. Es liefen noch immer die Nachrichten über den gestrigen Vorfall. Befragte Polizisten berichteten über die den Vorfall. Und zu allem Übel wurde die Verlobte von Tom West auch nicht verschont:
„Wir hätten eigentlich in drei Wochen erst geheiratet", hatte sie in dem Interview herausgepresst. Die arme Frau hatte ganz rotunterlaufene Augen und war sehr blass. John seufzte schwer und gab Rosie die Flasche. Danach machte er den Fernsehr wieder aus und brachte seine Tochter zum Mittagsschlaf ins Bett. Plötzlich hörte er einen unterdrückten Jubelschrei. John kam wieder zu ihm und sah seinen Mitbewohner mit leuchtenden Augen vor der Wand stehen.
„Was ist los?"
Sherlock zeigte auf ein einziges Bild und hauchte, ohne sich von dem Informationsnetz abzuwenden: „Das... Das war der Fehler..."
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Nicht so stark - Mystrade FF
FanfictionEurus wurde gerade wieder in Gewahrsam genommen, als sich ihre Blicke trafen. "Sorgen Sie dafür, dass man sich um Mycroft kümmert", hatte Sherlock ihn gebeten. "Er ist nicht so stark wie er denkt."