Kapitel 12

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9. September

Meine Füße, die in meinen absoluten Lieblingslaufschuhen steckten, fühlten sich an, als würde ich auf Wolken laufen, so weich und federnd war die Sohle, auf der ich stand.

Meine Schuhe waren so fest geschnürt, dass ich den Weg des Schnürsenkels durch jede Öse so genau spürte, als wäre er in meinen Fuß gewebt worden.

Ich joggte die letzten Meter des Weges zum Lager, ließ die letzten Schritte hüpfend ausklingen und blieb schweratmend vor dem Haus stehen.

Die Bäume warfen in die falsche Richtung Schatten, sodass ich der blendenden Sonne ausgeliefert war. 

Der Schweiß auf meinen Armen glitzerte im Licht, als ich mir schützend die Hände auf die Stirn legte.

»Jordi!«

Verwundert drehte ich meinen Kopf weg von der Sonne und blinzelte, um meine Augen an die plötzliche Helligkeitsveränderung zu gewöhnen.

Nach wenigen Momenten erkannte ich Mony auf mich zulaufen.

»Was!?«, rief ich lautstark zurück, während ich den Schraubverschluss von meiner Wasserflasche abdrehte.

»Ich hab dich schon überall gesucht, verdammt!«, keifte meine große Schwester, als sie wenige Schritte vor mir stehen blieb.

Unbeeindruckt sah ich sie aus dem Augenwinkel an und ließ einen großen Schluck Wasser in meinen Mund laufen. »Ich war joggen, Mony«, erklärte ich und wischte mir über den feuchten Mund. Ich schraubte den Deckel wieder auf meine Flasche und drehte mich vielsagend zu Mony um. »Das hättest du dir aber auch denken können, Schwesterherz.«

Mony verschränkte die Arme vor der Brust. Da ihr die Sonne direkt in das hübsche Gesicht schien, musste sie die Augen zusammenkneifen, während sie mit stählerner Miene zu mir sah. »Darcie ist tot, Jordan.«

Mein Körper erstarrte. Versteinert, als hätte ich Medusa höchstpersönlich in die tödlichen Augen geblickt, schaute ich Mony an.

Das konnte nur ein Scherz sein.

»Audrey hat ihre Leiche vor einer Stunde in der Nähe des großen Wassertanks gefunden.«

Die Stimme meiner Schwester drang bloß leise und undeutlich durch das Rauschen in meinen Ohren zu mir durch. Mein Gehirn brauchte ungewöhnlich lange, um ihre Worte zu verarbeiten, doch jedes brachte mein Herz zum Stolpern. Die Gedanken in meinem Kopf schienen langsam und ölig umher zu fließen und gleichzeitig so schnell und unscharf vorbei zu fliegen, dass ich keinen so recht erfassen konnte.

»Lexie hat sie bereits gesucht. Sie war seit gestern nirgends mehr aufzufinden.«

Bilder blitzten vor meinem inneren Auge auf. Ich sah, wie Darcie in meinem Badezimmer stand; sah ihre großen, unschuldigen Rehaugen und sah ihre Lippen sprechen. Sie fragten, ob ich sie begleiten wollte; begleiten, auf einen Jagdauftrag, den sie nicht allein bestreiten sollte.

Ich sah Darcie. Gestern. Gestern, als sie verschwand. Gestern, als sie starb.

»Sie ist wahrscheinlich verblutet.«

Mein Magen krampfte so stark, dass ich glaubte, dass mir mein Essen wieder hochkommen würde.

Als Mony mich mit ihrer warmen Hand am Arm berührte, fuhr ich so stark zusammen, dass mir meine Wasserflasche aus den Händen glitt. Sie landete mit einem viel zu lauten Knall auf dem Boden. Der Deckel sprang vom Verschluss und das Wasser spritzte in alle Richtungen, floss wie eine nicht enden wollende Quelle aus der Flasche heraus, bis sich eine große Lache auf dem Asphalt gebildet hatte. Eine dunkle Lache. Blutlache. Rot. Rot wie Blut. Blutrot.

HUNTING: After You DiedWo Geschichten leben. Entdecke jetzt