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Wir schlenderten über den Markt und ich brauchte nur noch etwas Brot, dann konnten wir endlich wieder nach Hause.
Seit dem Vorfall mit dem Aufklärungstrupp waren einige Tage vergangen, doch meine Paranoia war mit mir durchgegangen. Ich hatte nachts nicht ruhig schlafen können und war bei jedem kleinen Geräusch sofort wach geworden.

Ich blieb bei einem Stand mit dem Brot stehen, bestellte eines und als ich mich zu Enzo drehen wollte, stellte ich fest, dass er nicht mehr hinter mir war.
Abwesend überreichte ich dem Verkäufer das Geld, jedoch suchte mein Blick die Menschenmasse ab.

Der Streit war bereits am gleichen Tag vergessen gewesen und es war alles wieder normal. Trotzdem war ich wieder an einem Punkt, wo ich dieses Kind umbringen könnte. War es so schwer, einfach das zu tun, was ich ihm sagte?

Ich lief durch die Menge der Menschen, doch ich konnte den kleinen Glatzkopf nicht entdecken.
„Wo steckst du?", maulte ich vor mich hin und als ich eine Traube von Menschen vor dem Obststand entdeckte, wie wild miteinander tuschelten, war mir klar, wo dieses Balg steckte.

Ich lief geradewegs zu den Menschen hin und, so wie ich es erwartet hatte, war dort Enzo. Er diskutierte mit einem Mann, der scheinbar der Verkäufer des Standes war. Hinter ihm war ein Mädchen, dass auf den Boden lag und weinte.

„Du Bengel wirst dich nicht einmischen!"

„Sie werden ihr nichts tun!", die Selbstsicherheit die Enzo ausstrahlte war überwältigend, doch der Verkäufer nahm ihn nicht ernst.
Er packte Enzos Schulter, um ihn zur Seite zu schieben, doch Enzo nahm den Arm des Mannes. Ich sah, wie er ein wenig Anlauf nahm, nach oben sprang und sich auf den Rücken des Mannes setzte, ohne seinen Arm los zu lassen.
Der Mann keuchte erschrocken auf und als Enzo den Arm weiterzog, begann er zu schreien.

Ich schmiss meinen Korb mit den Einkäufen und rannte zu ihnen. Der Verkäufer hatte das Gleichgewicht verloren und lag auf dem Bauch, während Enzo immer noch auf dem Rücken saß und versuchte ihm den Arm auszukugeln.

Ich packte Enzo im Nacken. Sofort ließ er den Mann los und ich zog ihn neben mich auf die Beine.
„Was ist denn in dich gefahren?", zischte ich ihm wütend entgegen, doch sein Blick war immer noch auf den Mann fixiert und ich wusste, wenn ich ihn loslassen würde, würde er wieder auf ihn los gehen.

„Die Rotzgöre ist verrückt geworden!", schimpfte der Mann, während er sich aufrappelte.

„Entschuldigen Sie!", sagte ich dem Mann.
„Scheinbar habe ich einen Idioten erzogen!", ich verstärkte den Druck in Enzos Nacken und endlich sah er zu mir.

„Er hat das Mädchen geschubst und wollte sie schlagen!", rechtfertigte er sich vor mir.

„Sie hat mich bestohlen!", klagte der Mann und deutete auf das Mädchen. Ich sah tatsächlich einen Apfel in ihrer Hand und ohne darüber nachzudenken, griff ich in meine Hosentasche. Ich kramte ein paar Münzen raus und drückte sie dem Mann in die Hand.

„Sehen sie den Apfel als bezahlt. Den Rest können Sie als kleine Entschädigung behalten. Entschuldigen Sie uns bitte."

Ich verbeugte mich und so wie ich es bereits beim Aufklärungstrupp getan hatte, drückte ich auch Enzo runter, dieses Mal war sein Widerstand größer.

Ich wartete auf keine Reaktion, ich ließ Enzos Nacken los und schnappte stattdessen seine Hand, um ihn hinter mich her zu schleifen.
Ich schnappte mir meinen Korb und dachte nur daran, dass wir so schnell wie möglich von hier verschwinden mussten.
Enzo war scheinbar anderer Meinung.

„Ich wäre auch allein mit ihm fertig geworden. Ich brauche nicht immer deine Hilfe!"
Wütend ließ ich seine Hand los, schmiss den Korb auf den Boden und drehte mich zu ihm um.

„Was genau, verstehst du daran nicht, dass wir uns unauffällig verhalten müssen?"

„Er hätte sie verprügelt!"

„Sowas muss dir egal sein!"

„Ist es aber nicht! Ich bin nicht so kalt wie du und kann sowas ignorieren!"

„Musst du aber!"

„Aber wieso? Ich verstehe es nicht!"

Ich legte ihm meine Hände auf die Schultern und sah ihm in die Augen.
„Enzo...", fing ich ruhig an und ich atmete noch einmal tief durch, ehe ich weitersprach:
„Es gibt Menschen, die-" dir nichts gutes wollen' wollte ich eigentlich sagen, doch einige Meter hinter Enzo standen drei Männer. Zwei lehnten an der Hauswand, um möglichst unauffällig zu wirken, doch sie tuschelten und ließen uns nicht aus den Augen.
Einer der dreien nickte knapp, drehte sich dann um und verschwand, während die anderen Beiden auf uns zu kamen.

„Weg hier.", sagte ich ernst zu Enzo und er schien zu verstehen, dass es wichtig war, denn er lief hinter mir her.

„Was? Warum?", fragte er trotzdem verwirrt.

„Wir werden verfolgt."

„Von wem?"
Er drehte sich beim Reden um, doch ich zerrte an ihm, damit er sich beeilte. Als ich einen Blick nach hinten riskierte, sah ich, dass die Männer aufholten.

Ich bog mit Enzo in eine Gasse, schmiss den Korb auf den Boden und begann zu rennen.
„Schnell!", wies ich Enzo an und er hielt schritt, so schnell er konnte.

Ich bog immer wieder ab und drehte mich nur kurz um, um zu sehen, ob sie noch hinter uns waren, doch auch die Männer hatten zu rennen begonnen.

Wir landeten in einer Sackgasse.

„Und jetzt?", fragte Enzo mich außer Atem.

„Hoch.", antworte ich knapp und Enzo verstand sofort. Ich nahm etwas Anlauf, lief drei große Schritte die Wand entlang, ehe ich mich an der Mauer festhielt und nach oben zog. Dann drehte ich mich um, beugte meinen Oberkörper runter und streckte Enzo den Arm aus.

Auch er nahm Anlauf, schaffte es ein Stück die Wand hoch und packte meinen Arm. Ich zog ihn ebenfalls gerade nach oben, als ich die Männer um die Ecke biegen sah.

„DA!", rief einer der beiden aus und deutete auf mich und Enzo.

„Aufs Dach!", flüsterte ich ihm zu. Er balancierte über die schmale Mauer und zog sich auf ein Gebäude. Ich lief ihm nach.

„Ich dachte wir dürfen das nicht, wenn es hell ist?", mahnte er meine Worte nach.

„Ja. Aber jetzt ist es wichtiger, dass wir viel Abstand zwischen den Männern und uns bringen, als dass wir gesehen werden könnten."
Wir balancierten über die Ziegel, nahmen Anlauf und sprangen auf das nächste Dach. Es war etwas, was ich schon früh gelernt hatte und was ich auch Enzo schon früh beigebracht hatte.

Wir liefen eine Weile über die Dächer und es war dieses Mal tatsächlich egal, ob wir gesehen wurden oder nicht.
Hinter einem Schornstein hielten wir kurz an und machten Pause.

Die Technik über die Dächer zu laufen, hatte ich damals von den Soldaten mit den 3DM, jedoch war es viel anstrengender ohne Seile, die einen unterstützten.

„Was ist los?", fragte Enzo nach einer Weile, doch ich konnte ihm nicht antworten. Ich sah zu den Menschen runter und suchte nach jemanden, der uns eventuell beobachten könnte.

Sie waren zu dritt. Wenn der Mann, der sich abgeschottet hatte, zu ihm gehen würde, hätte ich ein riesiges Problem.
Mir war es zwar schon einmal gelungen, vor ihm zu fliehen, doch ich wusste nicht, ob es mir noch einmal gelingen würde.
Wir waren bereits so weit geflohen, wie es diese Mauern zuließen, wir konnten nirgends anders hin.

Und als ich meinen Blick über die Häuserdächer schleifen ließ, fiel mir ein Gebäude ins Auge, was mich auf eine Idee brachte.

Es gab nur noch eine Person, die uns helfen konnte, auch wenn ich mir nicht sicher war, ob er es wirklich tun würde...


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