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Ich erwachte, weil mir furchtbar warm wurde. Nachdem ich kurz meine Augen geöffnet hatte, brauchte ich einen Moment, um mich zu orientieren, doch als ich das glimmende Lagerfeuer vor mir sah, wurde mir schnell klar, wo ich hier eigentlich war.

Ich wollte mich erheben, doch spürte einen Druck auf mir liegen, den ich nicht sofort zuordnen konnte.
Ich suchte nach der Ursache und entdeckte dann, dass Levi nicht die ganze Nacht in sitzender Position verbracht hatte. Sein Oberkörper war zur Seite gerutscht und sein Kopf lehnte an meinem Bauch. Sein Arm lag ruhig über meinen Oberschenkel und ich spürte, dass ich meine Beine über seinen liegen hatte, was ich aber nicht sehen konnte, da die Decke drüber lag.

Kurz spielte ich mit dem Gedanken seinen Kopf von mir zu stoßen, doch ich sah, dass er noch ruhig schlief, und ich brachte es nicht übers Herz.
Wieder kamen mir meine Gedanken von gestern, dass er ja auch nur ein Mensch war und dass ich vielleicht zu viel von ihm erwartet hatte.

Er war so friedlich, wenn er schlief und ich war geneigt, ihm über den Kopf zu streicheln, so wie ich es bei Enzo immer getan hatte.
Ich hob meine Hand, doch kurz vor seinem Kopf, hielt ich inne. Statt meinen Arm näher zu Levi zu bewegen, legte ich sie über meine Augen und atmete tief durch.

Was tat ich hier eigentlich?
Ich ruhte mich hier mit einem Mann aus, dem ich meinem Schützling anvertraut hatte. Er hatte es gewaltig verbockt und trotzdem war meine Wut gegen ihn so unglaublich schnell verflogen. Gestern Abend hatte ich ihn küssen wollen und nun wollte ich seinen Kopf streicheln?

Was in Gottes Namen war nur los mit mir?
Ich wusste nicht, was Enzo in diesem Augenblick durchmachen musste. Ging es ihm gut? Hatte er Angst? Litt er?
Das sind alles Dinge, die ich nicht beantworten konnte und meine Gedanken blieben immer und immer wieder an Levi hängen?

Ich war jahrelang vor Kenny geflohen, um Enzo zu schützen und nun scheißte ich auf ihn, weil Levi mir schöne Augen machte?

Mit der neu aufkommenden Wut schupste ich Levi von mir runter. Ich stöhnte kurz schmerzerfüllt auf, was ich ignorierte, und sah mich dann griesgrämig, aber noch verschlafen an.
Ich versuchte nicht beachten, dass er wirklich süß aussah, mit seinen verwuschelten Haaren und mit seinem noch nicht klaren Blick.

Ich rappelte mich hoch, was überraschend besser ging als noch gestern Abend. Die Schmerzen waren zwar noch da, doch ich hatte nicht das Gefühl, ich würde jeden Moment zusammenbrechen.

„Wir müssen in die Unterwelt.", erklärte ich Levi ohne umschwänge.
„Ich bin mir sicher, dass Kenny sich immer noch dort aufhält. Er kennt sich besser aus, als wir zwei zusammen und hat dort mehr Komplizen als Feinde. Oberirdisch sieht es anders aus. Er würde auffallen, wie ein bunter Hund."

„Und wie willst du das anstellen? Wir wären innerhalb von Sekunden tot, wenn wir ihn in unserem Zustand aufsuchen würden."

„Es ist mir egal, was du machst, aber ich werde nicht noch länger warten. Wer weiß, was er mit Enzo anstellt."

„Ich bin mir sicher, dass Enzo noch lebt."

„Ja, ich war mir auch sicher, dass du Enzo schützen kannst. Man kann sich immer irren."
Ich wusste, dass das weit unter die Gürtellinie ging, denn mir war bewusst, dass auch Levi versucht hatte Enzo zu schützen.
Doch er hatte es nicht geschafft und diese unglaubliche Wut darüber, wurde ich einfach nicht los.

Ich ging zu den Sachen, die Hanji mitgebracht hatte und durchwühlte sie nach etwas Brauchbaren.

„Ich verstehe, dass du wütend bist, aber-"

„OHJA, Levi!", unterbrach ich ihn.
„Ich bin wütend! Du hattest eine einzige Aufgabe! Enzo zu schützen. Es wäre deine Aufgabe gewesen, ihn zu nehmen und so weit, wie nur möglich von ihm weg zu bekommen! Das hättest du tun müssen!"

„Und dich sterben lassen?"

„Wenn es nötig gewesen wäre, ja! Das Prinzip solltest du ja kennen. Ich wäre nicht die erste, die für irgendeine dumme Aufgabe stirbt, oder?"
Wieder ging der Spruch unter die Gürtellinie, doch es war mir egal.

„Es wird ihm nicht schlecht gehen.", hörte ich Levi sagen und ich hörte auf Hanjis Sachen zu durchwühlen und sah zu ihm.
Er starrte in die Glut des Feuers, doch er sprach weiter:
„Kenny hatte sich auch um mich gekümmert. Er hat mich nie misshandelt, hungern lassen oder sonstiges. Ich denke nicht, dass es bei Enzo anders ist."

Ich sollte ein Gefühl der Erleichterung spüren, doch die blieb aus.
„Das kannst du nicht garantieren.", knurrte ich. Ich fand ein Seil zwischen den Sachen und holte es raus.
Ich hatte gehofft, dass Hanji 3DM mitgebracht hatte, damit wäre es einfach, mich bis zur Mauer vorzuschlagen, doch ich fand keine.
Mit dem Seil würde ich zumindest aus dieser scheiß hohen Höhle rauskommen. Ich könnte auch versuchen runter zu klettern, doch ich wusste nicht, wie stabil die Steine waren und ich würde nicht riskieren jetzt hier runter zu stürzen.

Ich ging zum Ausgang und sah hinunter. Scheiße. Es war wirklich sehr hoch. Ich bezweifelte, dass das Seil bis zum Boden reichen würde. Ich versuchte abzuschätzen, wie weit es reichen würde und wie lange ich noch klettern müsste, um zum Boden zu gelangen oder ob ich eventuell auch einen Absprung schaffen würde.

„Was tust du da?", hörte ich Levi fragen, doch ich antwortete ihm nicht. Sollte er sich doch in seiner Höhle verkriechen, bis er schwarz wurde.

Ich suchte einen kleinen Vorsprung in Wand und wickelte mein Seilende dort dran, als ich in der Bewegung gestoppt wurde. Levi hatte seine Hände auf meine gelegt. Ich hatte nicht einmal mitgekriegt, dass er aufgestanden war.

„Wenn du abschmierst, hat Enzo auch nichts davon.", versuchte er mich von meinem Fluchtversuch abzuhalten.

„Dann werde ich nicht abschmieren.", fauchte ich ihn an und schlug seine Hände weg. Ich startete einen neuen Versuch, als Levi plötzlich mit seinem Bein ausholte und gegen den kleinen Vorsprung trat.
Der Brocken löste sich aus der Wand und fiel zu Boden.

Entsetzt starrte ich erst zu dem Gesteinsbrocken, dann zu Levi.
„Du wärst nach einem Meter abgeschmiert.", kommentierte er seine Tat und ich warf verzweifelt mein Seil auf den Boden.

Ich erhob mich und stampfte auf Levi zu. Meine Wut stieg ins unermessliche und mein Herz donnerte so schnell gegen meine Brust, dass es das Einzige war, was ich hörte.
Ich drückte meinen Zeigefinger gegen Levis Brust und funkelte ihn an:
„Du versucht ja noch nicht mal-"

Ich hatte noch nicht mal ausgesprochen, was ich sagen wollte, als Levi mich an den Schultern packte und gegen die Wand schubste.
Ich konnte einen Moment keine Luft holen, doch als es wieder ging, hatte ich noch nicht einmal die Möglichkeit dazu, denn Levi stand vor mir, drückte seinen Arm gegen meinen Hals und beugte sich bedrohlich zu mir.

„Ich habe es versucht.", seine Stimme klang bedrohlich und ich merkte, wie ihm die Geduld mit ihr ausgegangen war.
„Meinst du nicht, dass ich mir schon selbst genug Vorwürfe gemacht habe, was ich alles an dem Tag falsch gemacht habe? Dass ich Enzo nicht retten konnte und Kenny übergeben habe? Ich habe mir immer und immer vor Augen geführt, was ich hätte, anders machen können.
Aber ich werde ihn von Kenny zurückholen und wenn es das letzte ist, was ich tue.
Und ich werde es so tun, dass niemand dabei stirbt..."


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