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Kenny beendete seelenruhig sein Liedchen, was er vor sich pfiff, während wir näherkamen. Erst als wir vor den Stufen ankamen, war der letzte Ton zu hören und sein Blick richtete sich aus uns.
„Ich habe gehofft, dass ihr es noch rechtzeitig schafft."

„Wo ist Enzo?"
Mich interessierten seine Worte nicht. Ich wollte sicher sein, dass es ihm gut geht, dass er lebte und keinen Schaden von der Situation erlitten hat.

„Ich bin hier."
Ich hörte seine Stimme und sofort schossen mir die Tränen in die Augen. Ich sah ihn etwas verschwommen, doch ich erkannte, dass er nicht verletzt war.

Ich blinzelte ein wenig, um die Sicht klar zu kriegen und erst jetzt erkannte ich, dass er sich zu Kenny gestellt hatte. Kennys Arm lag entspannt um seine Schulter und als ich Enzo ins Gesicht sah, bemerkte ich, dass seine Augen kalt waren.
Ich hatte mir vorgestellt, wie das Wiedersehen mit Enzo verlaufen würde, es gab viele Tränen, Umarmungen und Freude.
Doch in keiner meiner Gedanken hatte er mich so kalt angesehen.

Mein Blick glitt wieder zu Kenny, den ich angewidert ansah.
„Was hast du mit ihm gemacht?"

„Überhaupt nichts, Schätzchen.", gab er unschuldig und ich musste mich zusammenreißen, dass ich mit dem Messer in meiner Hand mich nicht auf ihn stürzte.

„Enzo...", fing ich an und richtete meinen Blick wieder an ihn. Ich wusste nicht genau, was ich eigentlich sagen sollte, doch er musste verstehen, dass er wieder zurückmusste.

„Ich habe Fragen.", hörte ich Enzo sprechen und er schien gar nicht daran interessiert zu sein, was ich ihm zu sagen hatte.
„Und ich will, dass du sie mir ehrlich beantwortest."

„Natürlich.", gab ich ein wenig verdutzt von mir.

„Wusstest du, dass ich ein Ackerman bin?"

Ich spürte, wie mir das Herz in die Hose rutschte, doch ich würde ihm ehrlich antworten.
„Ich wollte es dir sagen..."

„Wusstest du es die ganze Zeit?"

„Ja."

„Wusstest du, dass Kenny mein Vater ist?"
Kurz huschte mein Blick zu Kenny, dann wieder zu Enzo.

„Ja."

„Wusstest du, dass wir vor ihm geflohen sind?"

„Ja."

„Wusstest du, dass er mich wollte?"

„Ja."

„Warum hast du nie ein Wort gesagt?"

„Um dich zu schützen."
Ich hielt meinen Blick fest auf Enzo gerichtet, damit er sah, dass ich es ernst meinte. Meine Aufgabe der letzten 9 Jahre war es, ihn zu schützen.

„Du hast mich angelogen! Die letzten Jahre, jeden Tag! Du hast gesagt, dass wir vor jemanden fliehen, der uns was Böses will!
Er ist nicht böse!
Er ist mein Vater!"

„Und du hattest eine Mutter!", sprach ich ihm dazwischen und ich sah, wie er zu weinen begann. Er versuchte es zu vertuschen, doch die Tränen liefen ihn über die Wangen.
„Kenny hat ihr grausame Dinge angetan und sie hatte solche Angst, dass sie mit anflehte, dich vor Kenny zu schützen!"

„Hat sie das gesagt?", hörte ich Kenny lachen und sofort überkam mich eine unglaubliche Wut. Ich sah, wie er sich auf die Oberschenkel klopfte und sich kaum einkriegte vor Lachen.

Ich konnte es nicht kontrollieren und ich überwand die paar Stufen, holte mit dem Messer aus und ließ sie auf seinen Kopf zu sausen.

Plötzlich erschien Enzos Gesicht vor Kennys, doch ich hatte so viel Schwung, dass ich nicht mehr abbremsen konnte.

Ich hörte ein Klirren und spürte, wie mein Angriff abgeleitet wurde. Ich sah, dass Kenny, der direkt hinter Enzo saß, ebenfalls ein Messer in der Hand hatte und meinen Angriff geblockt hatte.

Ich hätte mein Messer beinahe in Enzos Kopf gesteckt und Kenny hatte ihn gerettet.

„Das war wirklich knapp, Mädchen.", lachte Kenny und ich spürte, wie mein Handgelenk umfasst wurden und wie ich sanft von Levi von ihnen weggezogen wurde.

„Soll ich dir die Wahrheit verraten, was geschehen ist, als seine Mutter zu mir kam?"

„Sie kam nicht zu euch!", rief ich sofort dazwischen und wenn Levi meine Hände nicht immer noch umklammert hätte, wäre ich vermutlich wieder auf ihn gestürzt.
„Ihr habt sich überwältigt und zu euch geschleppt!"

„Das hat sie erzählt?"
Kenny hob überrascht eine Augenbraue und schmunzelte vor sich hin.

„Dann lass mich dir die Wahrheit sagen.
Lea hatte uns aufgesucht und uns gebeten, sie aufzunehmen."

„Das ist gelogen!", knurrte ich sofort, doch Kenny ließ sich nicht aus der Ruhe bringen und erzählte weiter:

„Sie machte uns klar, dass sie die Schnauze voll hatte, nur ein kleiner Fisch in der Unterwelt zu sein und nur vom Tag zu Tag zu leben."

Ich merkte, wie mir die Farbe aus dem Gesicht wich, denn dies hatte Lea tatsächlich auch schon bei mir geäußert. Ich hatte versucht sie aufzumuntern und zu sagen, dass wir hier eines Tages rauskommen würden und dann ein schönes Leben hätten.

„Sie wollte bei uns großen mitspielen und eine der Bedingungen war, dass sie es uns beweisen musste.
Sie zögerte nicht und tötete 4 Männer. 2 davon müsstest du sogar kennen. Michael und Dieter. Sagen sie dir was?"

Es waren tatsächlich Männer, die ich kannte. Sie waren eine der wenigen, auf die man sich verlassen konnte und ich hatte damals schwer an ihren Toden zu knabbern gehabt, als ich davon erfahren hatte.
Man hatte die Todesursache nie feststellen können. Es war klar, dass sie ermordet wurden, doch man fand nie raus, wer es gewesen war.

Kenny schien keine Antwort zu erwarten, denn er sprach weiter:

„Eine Nacht dann, hatte ich zu viel getrunken.", wieder lachte er.
„Sie hat sich an mich rangeschmissen und nach dem vierten Gläschen war ich nicht mehr abgeneigt-"

„Spar dir die Details.", mischte sich nun auch Levi ein und Kenny übersprang den Teil von Enzos Zeugung.

„Wir wollten sie testen. Wir wussten, dass es einen Menschen gab, mit der sie die letzten Jahre viel Zeit verbracht hatte. Mit dir."
Er sah mich kurz an, doch ich konnte es nicht erwidern. Ich sah zu Boden und konzentrierte mich darauf, nicht gleich loszukotzen.

„Wir sagten ihr, dass sie, um ein vollwertiges Mitglied unseres Teams zu werden, die Überbleibsel ihrer Vergangenheit beseitigen musste. Sie nahm den Auftrag, dich zu töten, ohne zu zögern an.

Wir wussten ab dem Zeitpunkt, dass sie niemandem Loyal gegenüber war. Sie würde auch uns sofort verraten, wenn sie die Chance haben würde, zu jemand anderem überzugehen. Wir wollten sie nicht mehr und es kam zu einem Kampf.

Wir dachten, sie würde in der Gosse verrecken, doch du hattest sie gefunden und sie gerettet, war es nicht so?

Ich hatte erst viel zu spät von ihrer Schwangerschaft erfahren. Eigentlich erst, nachdem wir uns das erste Mal begegnet waren. Ich dachte, du wolltest dich an mir rächen, weil ich deine kleine Freundin umgebracht hatte.

Nachdem ich mit dir fertig war, wurdest du wenige Zeit später mit einem Kleinkind zusammen gesehen. Ich musste nur eins und eins zusammenzählen, um zu wissen, dass es mein Junge war."
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Kenny hatte aufgehört zu sprechen, doch meine Gedanken waren wild und laut. Hatte ich mich tatsächlich so in Lea täuschen können...?


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