F O R T Y S I X

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Himmel, was habe ich nur getan? Warum musste das jetzt schon wieder so eskalieren, und was mache ich jetzt? Lewis wird es meinem Vater erzählen, da bin ich mir sicher, wenn er es nicht schon längst getan hat. Und dann bin ich komplett am Arsch. Er wird mich zuhause einsperren, bis ich diese blöde OP gemacht habe, wahrscheinlich darf ich nicht mal mehr alleine auf die Toilette gehen. Fuck, fuck, fuck. Was habe ich nur angerichtet? Und das allerschlimmste war, dass ich die Schuld nicht mal auf jemand anderen schieben konnte. Ich war nämlich selber schuld. An allem, was eben passiert ist, bin ich schuld...

Der hohle Schmerz in meiner Brust zog in jede Zelle meines Körpers und ich spürte wie der Boden unter meinen Füßen wegbrach. Ich war alleine. Ich hatte Lewis von mir weggestoßen, und mein Vater wird mir auch nicht helfen. Tränen rannten über meine Wangen, sie waren heiß und brannten, als der eiskalte Winterwind in mein Gesicht peitschte. Mein Hände zitterten, sie fühlten sich irgendwie taub an, doch schon im nächsten Moment brannten sie höllisch.

Ich wollte meine Handschuhe anziehen, dann bemerkte ich, dass ich nichts hatte. Weder meine Jacke, meine Tasche oder sonst irgendwas. Ich hatte sie im Studio liegen lassen. Egal - ich hole sie wann anders. Im Moment gab es wirklich wichtigeres, als diese blöden Sachen. Ich wollte nachhause, nein, eigentlich nicht, aber ich musste. Draußen könnte ich nicht bleiben und vielleicht kann ich ja irgendwie verhindern, dass mein Dad davon erfährt.

Gott, Liv, was denkst du eigentlich? Zischte meine innere Stimme und lachte höhnisch. Ich zuckte zusammen, sie hatte recht. Denk doch mal nach, Lewis hat es ihm eh schon erzählt... Ja, ja verdammt! Sie hatte recht. Und auch wenn ich es nicht wahrhaben wollte, es war die Wahrheit. Ich konnte nichts mehr tun, außer mich dem hingeben und irgendwie hoffen, dass ein Wunder geschieht...

Meine Lippen waren geschwollen, meine Augen tränenunterlaufen und meine Schminke wahrscheinlich verteilt in meinem ganzen Gesicht. Aber was machte das jetzt schon? Ich öffnete die Tür mithilfe des Ersatzschlüssels und ging rein. „Papa?!" Rief ich, obwohl ich eigentlich wusste, dass keine Antwort kommen würde. Sein Auto stand nicht in der Einfahrt und die Lichter im Haus waren aus.

Ich ging in die Küche, wo ich den Kühlschrank öffnete. Ich wusste nicht was ich suchte, aber ich wusste was ich brauchte. Und das war Alkohol. Am besten ganz viel. Ich nahm den Wein aus der Türe bevor ich sie wieder zuschlug. Er war bereits offen, aber mehr als ein Viertel fehlte nicht. Zumindest bevor ich sie in der Hand hatte.

„Auf dieses beschissene Leben!" Ich hob die Flasche und nahm dann einen großen Schluck. Der Geschmack erweckte vertraute Gefühle in mir, plötzlich war es nicht mehr so laut und die Stimmen in meinem Kopf wurden leiser. Mit jedem Schluck spürte ich, wie sich das Gift mehr und mehr in meinem Körper verteilte und die Einflüsse von außen erstickte.

Irgendwann war die Flasche leer, ich stellte sie auf den Tresen und machte mich auf die Suche nach noch mehr Alkohol. Im Wohnzimmer hatten wir immer dieses Regal stehen, wo mein Vater ein paar verschiedene Sorten von Wein lagerte. Keine Ahnung warum, aber er sammelte des Zeug. Ich nahm die erstbeste Flasche und ging zurück in die Küche. Ich stellte sie auf den Tresen, direkt neben die andere, und wollte dann mein Handy aus meiner Hosentasche ziehen um zu schauen ob mir mein Vater geschrieben hat. „Fuck!" Ich hatte mein Handy gar nicht dabei, es war in meiner Tasche, und die hatte ich ja nicht mitgenommen...

Ach, wie ich mein Leben liebe... Ich öffnete den Wein und nahm einen Schluck. Mein Gesicht verzog sich unwillkürlich. Rotwein, wie ich es hasste. Um den ekligen Geschmack nicht schmecken zu müssen, kippte ich einfach nur in mich rein. Aber irgendwann war es sowieso egal, ob es schmeckte oder nicht. Irgendwann war alles egal. Jeder Schluck könnte mich mein Leben kosten, und jeder Schluck machte es einfacher das zu ignorieren. Lewis war plötzlich nicht mehr, als ein einfacher Gedanke. Seine Worte waren mir egal und auch, dass er mich angeschrien hat interessierte mich nicht mehr. Die Tatsache, dass mein Vater höchstwahrscheinlich alles weiß, es war mir schlicht und ergreifend gleichgültig. Ich meine, ändern konnte ich es jetzt nicht mehr, also lohnt es sich auch nicht, sich deshalb Sorgen zu machen.

Doch irgendwie machte das alles ja nicht wirklich Sinn, wenn man genauer darüber nachdachte. Aber dazu war ich sowieso nicht mehr im Stande, ich spürte den Alkohol in meinem Körper wirken. Ich wurde müde, so wie ich es von Wein immer wurde, immer müder bis ich die Augen kaum mehr offen halten konnte.

Kraftlos schlappte ich nach oben, wo ich mich ins Bett fallen ließ. Meine Augen schlossen sich und alles wurde dunkel. Pechschwarze stille. Frieden, doch ich wusste, schon wenn ich wieder aufwache, ist dieser Frieden vorbei und die Hölle beginnt.

Ich schlief tief und fest, bis sich plötzlich ein trällerndes Klingeln in meine Ohren setzte. Ich öffnete die Augen, stöhnte weil mein Kopf so brummte und drehte mich wieder um. Aber das Klingeln war nicht in meinem Traum, es war echt. Um das zu realisieren brauchte ich einen Moment, während das Klingeln immer penetranter wurde. „Fuck, man..." Ich rieb mir die Schläfen, bevor ich versuchte aufzustehen um nach unten zu gehen.

Ich konnte nicht lange geschlafen haben, denn der Alkohol beeinträchtige mich immer noch und ich spürte wie ich leicht schwankte. Die letzte Treppenstufe hätte ich bei meinem Versuch gerade zu laufen fast übersehen und die Kante der Kommode auch. Außerdem war es draußen dunkel und mein Vater offensichtlich immer noch nicht da. Trotzdem hatte ich keine Ahnung wie viel Uhr es war, auf mein Handy schauen konnte ich schließlich auch nicht... Na super, das ist ja alles ganz toll...

Das Klingeln hörte einfach nicht auf. Wer auch immer da stand, ich hoffe, derjenige hat einen guten Grund mich zu wecken. „Ich komme ja schon!" Man hörte in meiner Stimme, dass ich betrunken war.

Die Frage wer klingelte erübrigte sich, als ich die Türe öffnete. „Bitteschön!" Lewis schmiss mir meine Sporttasche vor die Füße und blickte mich böse an. „Was willst du hier?" Ich versuchte irgendwie nüchtern zu klingen, keine Ahnung ob es funktioniert hat. „Du bist doch sicher nicht hier, um mir meine Tasche zu bringen, oder? Also...?"

„Nein, bin nicht." Er kam einen Schritt näher, sofort stieg mir der Geruch von Alkohol in die Nase. Er hat auch getrunken? „Ich bin hier um dich zu fragen, was in deinem scheiss Gehirn nicht richtig läuft und ob ich mir Sorgen machen muss." Erst dachte ich, ich hätte mich verhört. Doch dann verstand ich was er wollte, und wenn es Streit war den er suchte, konnte er ihn gerne haben. „Du willst dir Sorgen machen?" Ich lachte ungläubig. „Du solltest dir Sorgen machen, ja, aber nicht um mich, sondern um dich..." Lewis runzelte die Stirn und lachte humorlos auf. „Komm schon, süße. Wir wollen uns doch nichts vormachen, oder?" Oh Gott, er war betrunkener als erwartet. Ich hörte das in seiner Stimme, an der Art wie er redete. Das war nicht Lewis.

„Du bist wirklich geisteskrank, Lewis. Schau dich doch mal an, du bist komplett betrunken und fährst so auch noch Auto?! An deiner Stelle würde ich mir also wirklich ernsthafte Gedanken machen..." Mein Gegenüber erwiderte das mit einem abtrünnigen „pff," was mich mit den Augen rollen ließ. „Ich kann auch betrunken Autofahren, das is gar kein Problem. Aber wenn du dir deshalb Sorgen machst..." Ich unterbrach ihn. „Mach ich nicht, es is mir egal." Dieser Typ macht mich wirklich verrückt...

„Ach wirklich..." Er grinste dreckig und steckte seine Hände in die Hosentaschen. „Ja, Lewis. Es gibt ehrlich gesagt nichts was mir mehr egal ist, als die Tatsache, dass du betrunken Auto fährst... Wenn's das dann wäre, kannst du ja wieder gehen, oder?" Ich wollte die Türe schließen, doch er ließ mich nicht.

„Vergiss es. Wir reden jetzt noch miteinander!" Plötzlich klang er viel nüchterner, vielleicht lag das aber auch nur daran, weil bei mir der Alkohol zum zweiten Mal rein kickte und ich spürte wie ich wieder müder wurde. „Ach komm, fick dich, Lewis. Verpiss dich einfach und lass mich in Ruhe!" Ich gab der Tür einen Schubs und drehte mich dann um. Aber sie ging nicht zu, weshalb ich mich wieder umdrehte. „Nein, Liv. Ich lasse dich jetzt ganz sicher nicht in Ruhe!" Ich öffnete meinen Mund um etwas zu sagen, schloss ihn jedoch wieder, weil ich ich wusste, dass es eh nichts brachte. Lewis war eben doch nur Lewis, den konnte man nicht umstimmen, wenn er sich was in den Kopf gesetzt hat...

Toxic Love - the beginning of the end (Band 2) | Lewis Hamilton FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt