Kapitel 5

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Am Freitag saß ich nach der Schule noch mit Michimiya in der Cafeteria. Sie sollte mir beim Lernen helfen. Sie war so viel besser als ich in Japanisch oder Englisch. Ich hatte zwar nicht direkt Schwierigkeiten, die meinen Abschluss gefährdeten, aber ich wollte wirklich gut abschneiden. Wer wusste, wofür ich ihn noch gebrauchen konnte. Schließlich wusste ich immer noch nicht so recht, was ich nach der Schule machen wollte.

Gerade als ich Michimiya meinen Text zum Lesen gab, sah ich Sugawara mit großen, schnellen Schritten auf mich zulaufen. Er sah nicht gerade erfreut aus und ich wusste auch warum.

"Hier steckst du also!", rief er aus, sodass Michimiya zusammenzuckte, bevor sie sich verwirrt nach hinten umdrehte.

"Hey Suga" Ich lächelte und tat so, als wäre nichts. "Was gibs?"

"Was es gibt? Das Training fängt gleich an und du sitzt hier? Warum bist du nicht im Clubraum, dich umziehen?"

"Das habe ich wohl vergessen.", log ich und kratzte mir verlegen am Kopf. Oh man, es fühlte sich scheiße an, Suga anzulügen, aber ich konnte ihm nicht den wahren Grund sagen, weshalb ich nicht gekommen war. "Michimiya und ich wollten noch ein paar Sachen durchsprechen, bevor die Klausuren losgehen"

Sugawara starrte unsere Mitschülerin an, als würde er sie erst jetzt sehen. Ich sah, dass es ihn verletzte. Du bist mit ihr hier?, schien im auf der Stirn geschrieben zu sein. Genauso gut hätte ich ihn fragen können, wegen jeder Schulfrage, die ich hatte. Suga war schließlich ein ausgesprochen guter Schüler, das wusste ich. Dennoch... ich hatte ihn absichtlich nicht gefragt.

Ich hatte vorgehabt, ihm erstmal aus dem Weg zu gehen. Deswegen hatte ich auch nicht zum Training kommen wollen, wenigstens dieses eine Mal. Denn mit jedem Mal, wo wir uns sahen, wurden meine Gefühle für ihn stärker.

Ich senkte den Blick, da ich Sugas Ausdruck nicht mehr sehen konnte.

"Sag mal spinnst du?", hörte ich ihn nun schimpfen. Er trat ein paar Schritte näher, bis er kurz vor mir stand. Sein Gesicht war nun ganz nah vor meinem. "Die Nationalmeisterschaften stehen an! Wir müssen jedes Training nutzen, das wir haben. Ist dir das etwa egal?"
Suga konnte zur Furie werden, wenn er wütend war und er war der einzige, von dem ich mir das gefallen ließ.

Ich schloss die Augen. "Nein. Es ist mir nicht egal.", antwortete ich leise.

"Dann solltest du besser in 5 min fertig angezogen in der Sporthalle sein", knurrte Sugawara, drehte sich um und marschierte in denselben Tempo, wie er gekommen war, wieder heraus.

Ich blieb für einen Moment stocksteif auf meinem Platz. Ich hatte Suga enttäuscht. Wie hatte ich glauben können, dass es eine gute Idee war, das Training zu schwänzen. Gefühle hin oder her. Ich musste es irgendwie anders lösen. Denn Suga hatte recht. Für das Frühlingsturnier mussten wir alles geben. Und was machte das für ein Bild, wenn gerade der Kapitän des Teams streikte.

"Daichi? Warum hast du nicht gesagt, dass du Training hast? Wir hätten es doch wann anders machen können.", fragte Michimiya leise. Sie hatte sich vollkommen aus unserem Gespräch rausgehalten. "Du darfst deinen Traum nicht aufgeben. Wir alle zählen auf euch. Wir wissen, dass ihr gewinnen werdet. Ihr seid so weit gekommen."

Fuck! Ja.

"Du brauchst mir das nicht zu sagen. Ich bin schon auf dem Weg" Hastig packte ich meine Sachen zusammen, schnappte mir meine Tasche und verschwand, ohne ein Wort des Abschieds vor Michimiya.

Auch vor ihr war es mir peinlich. Sie war doch selbst Volleyballspielerin. Jetzt wusste sie, dass etwas nicht stimmte.

***

Nach dem Training gingen wir normalerweise noch alle zusammen ein Stück in dieselbe Richtung und ich liebte das. Aber heute wollte ich nur allein sein. Das Training war miserabel für mich gelaufen. Ich hatte nichts auf die Reihe kriegen können, da meine Gedanken nur bei Suga hingen. Ich war frustriert. Ich musste das schnellstmöglich in den Griff bekommen.

Mir ging Sugas Blick nicht mehr aus dem Kopf, als er mich mit Michimiya gesehen hatte und auch nicht seine Bitte, ihn irgendwann einmal einzuladen. Konnte ich mir das alles einbilden? Was war, wenn Sugawara doch genauso empfand wie ich. Sollte ich ihn lieber von mir fernhalten, um seine und meine Gefühle nicht zu verletzen? Aber ich hatte ja gesehen, dass ihm nicht aus dem Weg gehen konnte.

Im Clubraum zog ich mich schnell um und gab vor, schnell nach Hause zu müssen, um meiner Mom mit meinen Geschwistern zu helfen.

Doch gerade als ich zur Straße einbog und somit das Schulgelände verließ, stieß Tanaka zu mir.

"Hey Daichi-san, nun warte doch!", rief er mir schon von weiten zu.
Ich wollte nicht unhöflich sein und einfach weiterlaufen, auch wenn ich grade wirklich alleine sein wollte. Also blieb ich stehen.

"Was ist denn bei dir los? Du warst so komisch heute?"

Das war typisch Tanaka. Er sprach einfach aus, was er dachte, ohne groß drum herum.

"Nichts ist los. Ich hab doch schon erklärt, dass…"

"Jaja, deine Mutter.", unterbrach er mich. "Ich glaub dir nicht. Wer denkt den die ganze Zeit an seine Mutter mit diesem Blick?" Er verzog sein Gesicht zu einer schmachtenden Fratze. "Und so einem" Nun zierte ein tieftrauriger Ausdruck auf seinem Gesicht.

Oh Gott, so hatte ich doch hoffentlich nicht ausgeschaut. Auch wenn mir klar war, dass Tanaka haushoch übertrieb, um es deutlicher zu machen.

"So hab ich unmöglich geguckt. Du musst halluzinieren.", fuhr ich ihn an, überlegte aber im selben Moment, ob man mir tatsächlich etwas anmerken konnte.

"Okay, okay. Ich bin mir zwar ganz sicher, aber ist ja auch nicht so wichtig. Sag, was ist es?"

"Nichts" Unwillkürlich beschleunigten sich meine Schritte. Ich wollte raus aus der Situation.

"Es ist Suga, oder?" Wieder einmal überraschte mich Tanakas Ehrlichkeit.

"Was?!"

"Ach, ist doch okay. Jeder sieht doch, wie ihr euch beim Training immer gegenseitig anschmachtet"

Jeder sieht… er schmachtet mich auch an? Ich hatte das noch gar nicht mitbekommen?

"Ich…"

"Du kannst ihm ruhig sagen, dass du ihn magst. Ist doch nichts dabei"
Ach, Tanaka hatte doch keine Ahnung. Er hatte sicherlich schon mehrere Versuche gestartet, um bei Kiyoko zu landen, ohne erfolgreich zu sein. Ihn machte das nichts aus. Manchmal hatte ich das Gefühl, es mache ihn geradezu Spaß einen Korb zu bekommen...

Doch wie sagte man es seinem besten Freund? Wenn man sowieso bald getrennte Wege gehen würde?

"Ha, also hab ich recht!", schloss Tanaka schließlich aus meinem Schweigen.

Mit einem Seufzen gab ich mich geschlagen. Würde ich es weiter leugnen, würde er mich noch ewig damit nerven. Vielleicht war es an der Zeit, einem guten Freund davon zu erzählen.

"Ich glaube, so einfach geht das nicht. Wir werden bald die Schule abschließen und…"

"Deswegen kneifst du?" Tanaka machte ein übertrieben verwirrtes Gesicht. Vielleicht hätte ich es doch nicht aussprechen sollen. Er verstand mich doch eh nicht.

"Komm schon, Daichi! Man lebt nur einmal. Selbst wenn ihr nicht euer Leben lang zusammen sein könnt, könntet ihr wenigstens eine gute Zeit haben. Glaub mir, du würdest dich sonst immer fragen, was passiert wäre, wenn du dich getraut hättest." Plötzlich verdüsterte sich sein Blick, so als würde er aus eigener Erfahrung sprechen. Aber das konnte doch gar nicht sein, oder? Ich hatte Tanaka immer als 'Gerade-heraus-Menschen' kennengelernt.

Tatsächlich machten mich seine Worte nachdenklich. Er könnte recht haben und ein Teil in mir wünschte sich nichts sehnlicher, während ein anderer mich immer noch davor warnte.

Ich schüttelte verzweifelt den Kopf.
"Ich muss jetzt hier lang", sagte Tanaka nun unvermittelt und verabschiedete sich. Das Thema war vom Tisch und ich hatte das Gefühl, dass er mich auch nicht nochmal darauf ansprechen würde, wenn ich es nicht selber wollte. Er hatte gesagt, was er sagen wollte.

We Will Stay Together (Daichi x Suga) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt