Dizzy Izzy on Tour

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Als ich das Zimmer betrat, wäre ich beinahe rückwärts wieder rausgegangen. Es war so unordentlich. Überall lagen Kleidung, Schulbücher und Basteleien herum. Wer auch immer diese Izzy war, sie musste sehr unordentlich sein. Was mich aber am meisten verwirrte war, dass beide Betten und auch beide Schreibtische voll waren. Dabei sollte laut Farryn doch nur eine Person hier wohnen. Oder hatte er sich vielleicht in der Hütte geirrt? 
„Hey, bist du meine neue Zimmernachbarin? Solltest du nicht erst am Sonntag kommen?“, ertönte eine fröhliche Stimme hinter mir. 
Ich drehte mich um und lächelte das Mädchen unsicher an. 
„Heute ist Sonntag?“, antwortete ich, „Und Farryn meinte, dass ich hier mit einer Izzy zusammenwohnen werden“
„Toll, ich bin Izzy. Du kannst mich aber auch Dizzy Izzy nennen, dass tun hier fast alle. Wer ist Farryn?“
Ich starrte das Mädchen unsicher an. Kannte die etwa ihre eigenen Lehrer nicht? Dann fiel mir ein, dass ich ja den Vornamen verwendet hatte, und man Lehrer für gewöhnlich beim Nachnamen nannte. 
„Ähm… Entschuldigung. Ich meinte Mr. Gracia“, erklärte ich schnell.
„Achso“
Dizzy Izzy begann im Zimmer herumzulaufen. „Ich mach dir mal Platz“
Ich nickte und beobachtete, wie Izzy ihr Zeug vom oberen Bett und vorderen        Schreibtisch entfernte. Sie stapelte es einfach auf die anderen Sachen auf ihren Schreibtisch und ich fragte mich bereits, wie lange diese waghalsige Konstruktion halten würde. 
Izzy strahlte mich an. „Wie heißt du eigentlich?“, fragte sie und schob dabei mit einem Fuß ihre Sachen in Richtung eines Schrankes. 
„Ava“, antwortete ich knapp. „Ist das mein Schrank?“
Dizzy Izzy nickte. 
Also öffnete ich den Schrank und begann meine Sachen auszupacken, während Izzy aufräumte. Zumindest nannte sie es so. Für mich sah es eher so aus, als würde sie alle Sachen in ihren Schrank werfen. 
Als ich meine letzten Klamotten wegpackte, hielt ich plötzlich überrascht inne. In meiner Tasche lag etwas, was sicher nicht ich eingepackt hatte. Meine Ballettschuhe. Ich hatte in der Grundschule Ballett angefangen und regelmäßig trainiert, bis ich Ben kennenlernte. „Ballett ist so ´ne typische Mädchensache“, hatte Ben gelästert, bis ich aufgehört hatte hinzugehen.
 Mir traten die Tränen in die Augen. Vorsichtig strich ich mit einer Hand über die rosa Schuhe. Ob sie mir wohl noch passten? 
„Was hast du da?“, hörte ich Dizzy Izzy hinter mir fragen.
Erschrocken zuckte ich zusammen und zog den Reißverschluss meiner Tasche zu.
„Geht dich nichts an“, erklärte ich und stand auf. 
Izzy blickte mich kurz erschrocken an, dann kam das Lächeln auf ihr Gesicht zurück. „Kommst du mit zum Abendessen? Dann lernst du auch gleich die Anderen kennen!“, schlug sie vor. 
Ich nickte. Hunger hatte ich und mit Izzy hatte ich zumindest jemanden, der mir zeigen konnte, wo die Cafeteria war. 

„Und jetzt hier hoch,… glaube ich?“, rief Dizzy Izzy und verschwand um eine Ecke. 
Ich war mit den Nerven völlig am Ende. Wir liefen seit geschlagenen fünfzehn Minuten durch dieses Schulgebäude und waren schon in einem Klassenraum, einer Verwandlungsarena und unserer Hütte herausgekommen, obwohl Izzy jedesmal fest behauptete sie würde den Weg kennen. Ich begann langsam zu verstehen, woher der Spitzname Dizzy Izzy kam. Meine Zimmernachbarin war wirklich ein Wirrkopf. 
„Gefunden!“, verkündete Izzy stolz. 
Ich machte mich schon darauf gefasst, wieder einen leeren Raum zu erblicken, doch zu meiner Überraschung war es tatsächlich die Cafeteria in die wir blickte. 
Erleichtert atmete ich auf. Die Hoffnung auf ein Abendessen hatte ich tatsächlich schon fast aufgegeben.
Nun aber standen wir endlich in der Cafeteria. Ich steuerte zielsicher das Buffet an. Neugierig ließ ich den Blick über das Essen schweifen und entschied mich für Lachs. 
Dann setzte ich mich an einen leeren Tisch und steckte mir die Gabel in den Mund. Mmh, einfach lecker!

„Da die Raubtierfütterung jetzt an einem ungefährlichen Punkt angelangt ist, kann man vielleicht auch mit dir sprechen?“, erkundigte sich eine Stimme vor mir.
Ich blickte von meiner dritten äußerst leckeren Portion auf und erblickte ein Mädchen mit blauen Haaren direkt vor mir. Wie lange saß die schon da? 
„Wer bist du?“, fragte ich verwirrt.
Das Mädchen lachte. „Ich habe mich zwar während deines Fressrausches schon zweimal vorgestellt, aber nun gut: Hallo ich heiße Finny. Du bist Izzys neue Zimmernachbarin, nicht wahr?“
Ich spürte wie ich rot wurde. „ähm.. tut mir leid, manchmal vergesse ich mein Umfeld ein bisschen wenn ich…“
„Schon ok, Raubtier halt“, unterbrach mich Finny, „Wie heißt du denn nun? Izzy hatte es vergessen“
Ich verzog das Gesicht. „So vergessen, wie den Weg zur Cafeteria meinst du? Also, ich heiße Ava“
Finny lachte. „Dizzy Izzy halt, sie vergisst ständig etwas.“
Plötzlich tauchte ein Mädchen an unserem Tisch auf. „Hallo ich bin Juna, die Klassensprecherin. Wenn jemand neues kommt, backe ich immer Muffins. Also Willkommen bei uns in der Klasse.“
Juna hielt mir ein Tablet mit Muffins hin. Zögernd stand ich auf und nahm es entgegen. Dann überlegte ich kurz und drückte es Finny in die Hand. „Halt mal kurz“
„Danke, aber allein schaffe ich die sicher nicht, du kannst die ja den Anderen aus unserer Klasse geben?“, schlug ich vor. 
Juna und Finny strahlten mich an. „Super Idee, dann stellen wir dir alle vor!“
Ich unterdrückte ein Stöhnen. Eigentlich war das eine freundliche Aufforderung gewesen, mich zu Ende essen zu lassen. Zwischen den Zeilen lesen war wohl nicht so ihre Stärke. Na gut, dann musste ich da jetzt wohl durch. 
Also wurde ich für den Rest des Abends allen Leuten vorgestellt, die in meine Klassen gingen. Immerhin, da sie sich an allen möglichen Orten aufhielten, bekam ich so eine Führung durch die Schule. Ich versuche mir so viel wie möglich an Wegen zu merken, denn Izzy würde ich garantiert nicht noch einmal bitten, mich zu führen. 
Dann bekam ich von Juna noch ein paar Hinweise, wann der Unterricht anfing, wie die Lehrer hießen und das in der Cafeteria auch eine Liste mit allen Tiergestalten aushing. 
Beim letzten Punkt horchte ich auf. Eine Liste mit allen Zweitgestalten, bitte nicht! Eilig verabschiedete ich mich von Juna und Finny und lief zurück zur Cafeteria. Tatsächlich, dort am Aushang fand ich die Liste. Mit dem Finger fuhr ich die Namen herunter. Hier, Ava Silvers… Tiergestalt… Ich atmete auf. Es stand nicht da. Der Schulleiter hatte Wort gehalten. Erleichtert begann ich mich wieder zu entspannen. Nun sah ich mir die Liste noch einmal aus reinem Interesse an. Aha, Izzy war offensichtlich ein Schwalbenfisch und Juna ein Falterfisch. Interessant. Finny war wohl ein Teufelsrochen, cool! Da hatte ich wohl schon das erste andere Raubtier kennengelernt. Okay, streng genommen hatte ich heute alle kennengelernt, aber ehrlich, als ob ich mir alle Gesichter gemerkt hatte!
Ich überflog die Liste nicht weiter, sondern machte mich auf den Weg zur Hütte 10. 
Endlich in meinem Zimmer nahm ich auch die Sonnenbrille ab. Zum ersten mal heute, wie ich nebenbei registrierte. Ebenfalls zum ersten mal heute, musste ich auch an Ben denken. Was er und sein Schwarm wohl gerade machte. Mir stiegen Tränen in die Augen. Eilig wischte ich sie weg und ging ins Bad. Nachdem ich mich für die Nacht fertig gemacht hatte, ging ich zurück in mein Zimmer. Müde kletterte ich in mein Bett. Dort fand ich ein Tablet vor. Verwirrt runzelte ich die Stirn, was machte das hier?
„Ach da hab ich das gelassen!“, rief eine Stimme hinter mir aus. 
Ich drehte mich um und erblickte Dizzy Izzy, die gerade unsere Hütte betrat.
„Das sollte ich dir von Mr. Clearwater geben, es ist ein wasserdichtes Schultablet, du findest alle Schulbücher darauf.“, erklärte sie mir. 
Ich nickte und kletterte wieder nach unten, wo ich das Tablet auf meinem Schreibtisch ablegte. 
Als ich mich wieder zu Izzy umdrehte, sah sie mich mit großen Augen an.
„Coole Augen“
Ich reagierte instinktiv und griff nach meiner Sonnenbrille. Nur eine Sekunde später verdeckte sie meine Augen wieder.
„Wäre nett, wenn du das keinem erzählst“, meinte ich zu Izzy.
„Klar, auch wenn ich deine Augen echt toll finde. Vorallem…“
„Das reicht jetzt!“, unterbrach ich sie, „Meine Augen gehen niemanden etwas an, okay?“
Izzy verstummte und ich ließ mich mit Sonnenbrille in mein Bett fallen.
Stumm an die Decke starrend, schweiften meine Gedanken wie automatisch zu Ben. Ich weinte lange in dieser Nacht, bis ich endlich einschlief.

„Sei mit mir frei", sprach der Seelöwe
 
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