Endlich war der Freitag da! Ich freute mich auf mein erstes Wochenende in dieser Schule. Soweit ich es herausgefunden hatte, blieben fast alle Schüler hier, kaum einer wohnte na genug, um für drei Tage heim zu fahren.
Ich bürstete mir gerade in meiner Hütte die Haare, als Finny nach drinnen platzte.
„Hey, kommt ihr… Ava? Hast du deine Brille nicht auf?!“
Ich zuckte zusammen und griff eilig nach der Sonnenbrille, die ich auf meinem Schreibtisch abgelegt hatte. Doch Finny war schneller und schon befand sich die Brille außerhalb meiner Reichweite.
Ich senkte den Kopf und ließ meine Haare mein Gesicht verdecken. Dann streckte ich die Hand aus.
„Gib mir meine Brille wieder, Finny“, bat ich so ruhig ich konnte.
„Ach komm schon, du siehst ohne bestimmt viel hübscher aus“, neckte mich Finny und trat noch zwei Schritte zurück.
Und weil es ja nicht mehr schlimmer kommen konnte, kam jetzt auch Izzy von der Toilette zurück.
„Finny was machst du denn hier?“, meinte sie überrascht, „Oh, hast du auch schon Avas Augen gesehen? Die sehen so cool aus!“
„Ach echt?“
Ich hob die Hand etwas höher. „Meine Brille“, wiederholte ich mit Nachdruck.
Sie sollten mir einfach das blöde Teil wiedergeben und aufhören sich über meine Augen zu unterhalten!
Da ich den Kopf immer noch gesenkt hielt, sah ich nicht was um mich herum passierte. Dann spürte ich plötzlich, wie jemand meine Haare zur Seite schob.
„So schlimm sehen sie bestimmt nicht aus. Du brauchst dich nicht schämen, Ava“, erklärte Finny.
Ich presste meine Lippen aufeinander, um nichts Falsches zu sagen. Dann schlug ich die Hand weg, die meine Haare hielt.
„Brille“, fauchte ich, die Wut nur mühevoll unterdrückend.
Endlich schien Finny zu kapieren, dass ich keinen Spaß verstand und drückte mir die Brille in die Hand. Ich schob sie vor meine Augen und blickte nach oben in Finnys Gesicht. Sie stand eindeutig zu nah an mir dran.
Ich versuchte mich an einem Lächeln. Es war allerdings wohl eher eine Grimasse, denn Izzy und Finny sahen aus, als würden sie zwischen Angst und Lachen schwanken.
„Vielleicht geht ihr einfach schon zum Frühstück vor?“, machte ich einen Vorschlag.
Izzy nickte und zog Finny am Handgelenk mit. Sobald die Tür ins Schloss fiel, brüllte ich vor Frustation auf. Warum konnte ich nicht einfach zu meinem Aussehen stehen?! Weil ich Angst hatte, darum.
Ich sah mich um, mein Blick blieb an meiner hölzernen Haarbürste hängen. Ich griff nach ihr und schleuderte sie mit voller Wucht auf den Boden.Ich ging an diesem Tag nicht zum Frühstück. Genauer gesagt auch nicht zum Unterricht. Nach drei Fällen aus großer Höhe mit voller Wucht hatte die Bürste nämlich aufgegeben und war zerbrochen. Ungefähr ein Dutzend Holsplitter waren in meine Hände eingedrungen und so hatte ich den Tag bei Mrs. Misaki verbracht. Immerhin, wir hatten ungefähr dieselbe Laune gehabt.
Nachdem ich verarztet worden war, war ich für den restlichen Tag krankgeschrieben. Zwar meinte Mrs. Misaki, dass bis morgen sicher alles verheilt war, aber heute sollte ich trotzdem nicht teilnehmen. Diese Logik erschloß sich mir nur teilweise, aber ich hatte auch nicht viel gegen einen Tag schulfrei. Ich saß eine Weile in der Bibliothek und holte die Lernerei nach, die ich gestern nicht geschafft hatte, dann ging ich zurück in mein Zimmer. Ich wollte heute niemanden mehr sehen. Nachdem ich die Splitter und Reste meiner Haarbürste sorgsam entsorgt hatte, setzte ich mich auf mein Bett und starrte die gegenüberliegende Wand an. Was war das heute früh bloß gewesen. Ich war einerseits erleichtert, dass niemand meine Augen gesehen hatte, andererseits hatte ich Angst, was Finny jetzt wohl von mir hielt. Hatte ich ihr Angst gemacht? Eine Weile drehten sich meine Gedanken einfach im Kreis.
Dann klingelte mein Handy.
Ich zuckte richtig zusammen, als plötzlich ein heller Ton die Stille zerriss. Eilig griff ich nach dem Gerät und nahm den Anruf an. Die helle Stimme meiner Mama meldete sich. Ich lächelte. Genau das brauchte ich jetzt. Jemanden der mir zuhörte. Erst stockend, dann immer flüssiger erzählte ich ihr und Papa davon, was bisher schon alles auf dieser Schule passiert war. Sie freuten sich mit mir, trösteten und ermutigten mich, ich selbst zu sein, dann verabschiedeten wir uns voneinander.
„Ava?“
Ich zuckte zusammen und blickte von meinem Bett herunter. Finny und Izzy standen da. Beide sahen so aus, als hätte sie ein schlechtes Gewissen. Ich kletterte zu ihnen herunter.
„Es tut mir leid, ich wollte dich nicht bedrängen“, meinte Finny.
Izzy nickte. „Mir auch“
Ich lächelte die beiden an. Durch das Gespräch mit meinen Eltern war meine Wut verflogen.
„Ist schon verziehen“, versprach ich.
„Danke“, flüsterte Finny, bevor sie mich in eine Umarmung zog.
Ich drückte sie auch an mich. Manchmal tat Nähe gut. Aber nicht zu viel. Ich drückte Finny wieder von mir weg.
„Mir tut es auch leid“, sagte ich einfach.
„Was ist mit deinen Händen passiert?“, fragte Izzy.
Ich hörte erleichtert, dass sie bereits wieder fröhlich klang. Ich blickte auf meine verbundenen Hände und musste plötzlich lachen. „Frag besser nicht“
„Ok. Wollen wir… wie sonst runter zum Strand?“, schlug Finny vor.
Ich nickte begeistert. Sie waren mir also nicht böse. Sie hatten auch keine Angst. Sie waren meine Freunde. Und ich fühlte mich seit langem mal wieder ganz normal unnormal.
„Ich muss mir übrigens morgen deine Haarbürste leihen, Izzy“
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„Sei mit mir frei", sprach der Seelöwe
FanfictionNachdem Ava von ihrem Freund betrogen wurde, will sie nur eins: von vorne anfangen. Da kommt ihr die Chance auf die Clear Water High zu gehen gerade recht. Doch wie besiegt man die Ängste eines anderen, wenn es schon fast die eigenen geworden sind...