Gemeinsames Schwimmen

47 6 1
                                    

Der nächste Vormittag rauschte einfach an mir vorbei. Die Stunde Verwandlung mit Farryn, Sei dein Tier mit Mrs. Bennett und Mathematik mit dem Schulleiter. Ich schrieb den Stoff auf meinem Schultablet mit und hoffte einfach, dass ich ihn beim Durchlesen vor dem nächsten Test verstehen würde.
Nur ein Gedanke hatte in meinem Kopf gerade Platz: Chris, ich würde heute mit Chris in Zweitgestalt schwimmen gehen!
Ich wusste noch nicht richtig, ob ich wie gestern Angst hatte, oder Vorfreude verspürte. Nur aufgeregt, dass war ich auf jeden Fall!

Nach der letzten Stunde lief ich schnell los zu meiner Hütte. Mein Handtuch lag dort noch und meinen Badeanzug musste ich auch noch unter meine Sachen ziehen. Nachdenklich strich ich über den Ärmel, welcher mein Tattoo verdeckte. Zum ersten Mal seit mehreren Jahren würde ich so mit Chris schwimmen.
Kurz vor meiner Hütte tippte mich plötzlich jemand von hinten an. Ich drehte mich um und blickte in zwei vorwurfsvolle Gesichter.
„Ähm... Hey Finny, Izzy", stotterte ich etwas unsicher.
Die sollten mich weitergehen lassen, ich wollte los!
„Wo willst du denn hin?", fragte Izzy, „Du hast gar nichts erzählt"
„Und dabei bist du richtig fröhlich drauf", fügte Finny hinzu.
Ich bekam ein schlechtes Gewissen. Stimmt, die beiden wussten noch nichts von Chris. Aber ich wusste auch nicht, ob es ihn stören würde, wenn die anderen von unserer Freundschaft wüssten.
„Kommt mit in die Hütte", meinte ich einfach.
Dort angekommen, begann ich mich umzuziehen, während ich erzählte: „Ich habe hier einen Freund aus meiner Heimat wiedergefunden..."
„Hier auf der Schule?", unterbrach mich Finny aufgeregt.
Ich konnte mir weder das Grinsen noch das Nicken verkneifen.
„Ja! Und heute wollen wir zusammen schwimmen!"
„Dann weiß er noch vor uns von deiner zweiten Gestalt?", unterbrach mich diesmal Izzy.
Ich zögerte mit meiner Antwort. „Er wusste es schon, bevor ich hier auf die Schule kam, also ja."
Ich war schon halb zur Tür raus, als ich das sagte. Dann winkte ich den Beiden zu und rief: „Bis heute Abend!"
Dann war ich weg.

Keine fünf Minuten später war ich auf meinem liebsten Umziehfelsen geklettert und wartete auf Chris. Wir hatten uns zwar seit gestern Abend nicht mehr getroffen, aber ich war sicher, dass er hierherkommen würde. Schließlich waren wir beim letzten Mal auch von hieraus losgeschwommen.
Meine Überlegungen schienen zum Glück zu stimmen, denn Chris kam tatsächlich um die Ecke gesaust, er war bereits in Seelöwengestalt.
Kommst du Ava?, fragte er gutgelaunt.
„Bin gleich soweit", meinte ich glücklich und inzwischen war ich mir sicher, dass die Vorfreude das Rennen gegen die Angst gewonnen hatte. Es würde wundervoll werden und genau wie früher!
Ich zog mich bis auf den Badeanzug aus und glitt ins Meer. Chris drehte sich von mir weg und ich begann die Verwandlung. Zum Glück schaffte ich sie trotz meiner Aufregung auf Anhieb.
Sobald ich in zweiter Gestalt war, stupste Chris mich mit der Schnauze in die Seite.
Fang mich doch!, rief er und schoss vorwärts.
Ich schwamm hinter ihm her.

Am Anfang achtete ich noch darauf, wohin ich meine Schwanzflosse schlug und versuchte mein Maul von Chris wegzudrehen, doch umso mehr Zeit verging, desto entspannter wurde ich.
Es fühlte sich einfach toll an, wie sich das Wasser um uns herum bewegte, und es tat gut bei einer Person zu sein, die keine Angst vor mir hatte.
Inzwischen waren wir weit ins Meer hinein geschwommen. Ich achtete nicht mehr auf den Weg, sondern schwamm einfach hinter diesem Seelöwen her, der anscheinend einen Geschwindigkeitsrekord aufstellen wollte, so wie er voran schoss. Dabei drehte er immer mal mit waghalsigen Wendemanövern um, tauchte unter mir durch und stupste mich an.
Hier lang Ava, meinte er gerade wieder und zwickte mich in die linke Seitenflosse, Wusstest du, dass man dein Tattoo sieht?
Nein, meinte ich sehr irritiert, Glaubst du, das ist schlimm?
Nicht, solange es kein Mensch sieht, sagte Chris und schoss wieder unter meinem Bauch hindurch.
Der Seelöwe hatte heute eine sonnige Laune. Aber er hatte rechtbehalten, es machte Spaß mit ihm zu schwimmen. Ein paar Erinnerungen an unsere gemeinsame Zeit in Kalifornien kamen auf. Ich fokussierte meine Gedanken auf Chris und schickte sie ihm rüber. Von Chris kam ein fröhliches Gefühl zurück. Kurz genoss ich es meine Barriere im Geist unten zu haben, dann zog ich sie wieder hoch. Besser sie war immer oben, als dass mich meine Gedanken auf der Schule verrieten.
Chris haute mir jetzt doch tatsächlich die Flosse auf die Nase: Hast du mir überhaupt zugehört?
Ähm...
Ich sagte, wir sollten uns was zum Essen suchen!
Ich nickte, was in Zweitgestalt bestimmt ziemlich dumm aussah, und folgte Chris. Oder besser gesagt, der Schwanzflosse dieses überdrehten Seelöwen gefühlte zehn Meter vor mir.

„Sei mit mir frei", sprach der Seelöwe
 
 Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt