Capter 10 - Die böse Wahrheit

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Die restliche Busfahrt schwiegen wir – wie sollte er denn auch sprechen? Gerade standen wir vor der Türe um bei der nächsten Haltestelle um steigen zu können. Ich hielt meine Umhängetasche fest umklammert und starrte aus der gläsernen Türe. Plötzlich legte der Busfahrer eine Notbremsung hin. Ruckartig riss ich meinen Kopf um und blickte durch die Windschutzscheibe auf die Straße. Bevor ich auf den Boden fiel, erkannte ich noch eine ziemlich abgemagerte Frau. Ich wusste sofort, wem dieses Gesicht gehörte. Diese smaragdgrünen Augen. Die braunen Haare, die durch die Mütze lugen. Einfach unverkennbar.

Ich landete unvorsichtigerweise auf Norb, der , wenn ich nicht auf ihn gefallen wäre, das Gleichgewicht hätte halten können. Der schwarzhaarige Junge verzog schmerzhaft das Gesicht und keuchte lautlos auf. Ich hatte ihm genau den Ellbogen in den Bauch gerammt. Abrupt sprang ich auf und streckte meine Hand nach ihm aus, um meinem neu gewonnen Freund auf zu helfen. Er nahm sie dankbar an und richtete sich auf. Während er sich Schmutz und Staub von der Kleidung klopfte, sah ich kurz aus der Glastür hinaus. Die Psychiatrie.

Nur schwer riss ich meinen Blick von draußen los und murmelte kurz und abwesend: „Sorry, Norb. Alles okay?“ Doch ich konnte meine Neugier nicht stillen und wartete keine Antwort ab.

Ich ließ meine Tasche fallen und hastete nach vorne. Der etwas dicke Busfahrer war ausgestiegen und stand vor dem Bus. Er lugte besorgt auf den Boden. Ich hoffte, ihr war nichts passiert. Mit einer Hand vor dem Mund schritt ich aus dem Bus und tapste zögernd nach vorne.

Das schmächtige Bein von Drakes Mutter lag unter dem Bus und sie schrie ziemlich laut. Zum Glück wurde sie nicht angefahren, sondern lag mehr oder weniger nur darunter.

Andere Autofahrer und Passanten waren nun auch auf den Unfall aufmerksam geworden und näherten sich.

Ärzte eilten in ihren weißen Kitteln zu Mrs Rushton, welche noch immer kreischte. Ich konnte es nicht fassen, dass gerade Drakes Mum hier vor mir lag. Alles lief in Zeitlupe vor meinen Augen ab. Niemand beachtete mich. Hektisch rannte jeder auf und ab, an mir vorbei. Bildete ich es mir nur ein oder zogen auch gerade mehr Wolken auf und es wurde düster?

Mein Herz klopfte wie wild. Ich stand wie erstarrt da und beobachtete die Frau vor mir. Sie hatte mich bis jetzt noch nicht bemerkt. Mittlerweile saß sie aufrecht und schlug wild mit den Armen um sich. Es wurde immer lauter, denn das Publikum redete nun lautstark über sie. Wie konnte man das jemandem antun?

„So ein Psycho!“ „Die ist doch behindert!“ „Ich will endlich weiter fahren.“ Und noch viel schlimmere Sachen bekam ich zu hören. Die ganzen Menschen hatten echt keinen Respekt.

Die Ärzte versuchte sie zu beruhigen, redeten auf sie ein. Doch sie verhielt sich noch immer ziemlich hysterisch und brüllte herum.

Die Ärzte beschlossen ihr eine Spritze zu geben, doch ich trat einen Schritt vor, um sie ansehen zu können. Ich wusste nicht genau, was in mir vorging, aber ich machte es einfach. Immer einen Fuß vor den anderen, Madison. Rechts, Links, Rechts, Links.

Sekundartig hörte  der Lärm auf. Sie starrte mich mit geweiteten Augen an und auch alle anderen hielten nach mir Ausschau.

„Mhm… mhm.. Madison Walker? Bist du es?“

„Ja, ich bin es. Mrs Rushton.“ Ich lächelte sie sanft an.

„Ach.. Madison. Nenne mich doch einfach Melissa“, sprach sie so freundlich mit mir, wie wenn wir uns gerade in einem Café getroffen hätten.

„Okay, Melissa. Gehen wir zusammen hinein?“, fragte ich sie ruhig. Ich machte eine Kopfbewegung Richtung Psychiatrie und hielt ihr meine Hand entgegen.

Betrayal Of TrustWo Geschichten leben. Entdecke jetzt