❀ Kapitel 7 - Die verschlossene Tür

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„Da seid ihr ja! Bei Gott, wir hätten glatt umkommen können vor Sorgen, als wir zwei zu wenig gezählt haben!", keuchte der sportlich gebaute Typ, der auf sie zugerannt kam. Die Erschöpfung trieb ihm Schweißperlen auf die Stirn, die im Licht wie dicke Tautropfen glänzten. Bestimmt hatte auch die glutheiße Sonne, die die bernsteinfarbenen Augen des Jungen noch tiefer wirken ließ, ihren Teil zu seiner Ermüdung beigetragen.

„Mike? Ist etwas?" Evans hob leicht seine Braue an. Die völlige Gelassenheit in seiner Stimme beruhigte Anuk. Er sprach so, als ob er alles in der Hand hätte, als ob er alles wüsste und sogar die Götter sein Urteilsvermögen zu Rate ziehen müssten, bevor sie eine Entscheidung fällten.

Doch es hatte kaum mehr als einen Augenblick gedauert, bis ihre wilden Gedanken wieder aus dem Ruder gelaufen waren. Mike. Kjeld hatte ihn Mike genannt.

... Die Runde hätte mit einem Unentschieden enden können, wäre da nicht der jüngste Spieler aus der Gegenmannschaft Mike Mirror, der ...

Nein. Es war doch lächerlich. Anuks Lippen entfloh sogar ein unsicheres Schmunzeln, so bescheuert fand sie nur den Gedanken daran. Es gab genügend Mikes auf der Welt, deshalb neigte die Wahrscheinlichkeit, dass es genau der Mike war, zu null.

„Ja, ist es. Das weiße Zimmer ist wieder da! Wir dachten schon beinahe, eure Abwesenheit hätte etwas damit zu tun", erklärte Mike, während er sich, eine Hand an den Knien stützend, die Feuchtigkeit aus dem Nacken wischte.

„Es gibt jetzt schon einen Neuen? So schnell?" Der Blauäugige musste sich nicht einmal halbwegs die Mühe geben, das Desinteresse in seiner Stimme zu bergen. Es schien ihn viel mehr zu ärgern, das Gespräch mit Anuk nicht zu Ende geführt zu haben.

„Das ist es ja auch. Das Zimmer ist verschlossen. Man kommt nicht hinein", antwortete Mike besorgt. Mit Neugier beobachtete Anuk, wie sich Kjeld plötzlich spannte. Seine Stirn legte er in Falten und er taumelte etwas zurück.

„Was redest du da?" Er verschränkte die Arme auf der Brust, welche von einem hellgrauen T-Shirt überzogen war. Darunter waren deutlich die Muskeln zu erkennen, die er ebenso angespannt hielt.

„Kommt mit", bat Mike und stürmte wieder davon. Anuk warf Kjeld einen Seitenblick zu. Dieser erwiderte ihn und nickte kurz in Mikes Richtung, ehe er diesem folgte. Anuk schaute das letzte Mal zum See rüber, auf ihr glasklares Spiegelbild, das sie sofort an das vergangene Gespräch erinnerte. Wiederholt nahm sie ein komisches Gefühl in ihrer Brust wahr, welches sich nur schwer deuten ließ. Als würde da noch jemand sein. Als würde er uns beobachten.

Kopfschüttelnd brach sie den Blickkontakt mit ihrer Kopie auf der Wasseroberfläche ab. Genug überlegt. Dennoch blieb das Gefühl in ihr weiterhin bestehen, wuchs nur zusammen mit ihrer Empörung. Trotz allem zerbrach sie sich weiterhin den Kopf mit Hypothesen, vielleicht war genau das der Grund, wieso sie gar nicht merkte, wie sie das weiße Zimmer erreichten.

Es waren schon alle da. Standen wie Schafe eng beieinander, die Kleinsten schmiegten sich wie Lämmer an die Größeren, warteten geduldig auf etwas, wussten selber nicht auf was. Es war kein starkes Rudel mehr. Es war eine durcheinandergeratene Herde. Eine Herde voller verlorenen Welpen. Voller Anuks.

Die ersten Strahlen des Sonnenuntergangs tauchten die kahlen Wände des weißen Raums in einen sanften Gelbton. Der Himmel war mit Vogelgesang gefüllt, doch in ihren Ohren hörte es sich nach nichts weiter als schrille Schreie an. Die Atmosphäre unterdrückte die letzte Hoffnung auf einen guten Ausgang der Dinge.

Ohne, dass jemand protestierte oder etwas sagte, kämpfte sich Kjeld durch die Menge hindurch und zog gewaltsam an der Türklinke. Nichts. Er gab einen unklaren Brüller von sich und trat gegen die Tür. Umsonst.

„Verflucht seien die Oberen!" Seine Stimme zitterte vor Zorn. Er sah Anuk plötzlich geradewegs in die Augen und sein Blick sagte vieles, ohne etwas zu sagen.

Geh mit der Dame und sei mutig. Nutze ihre Ängste aus. Dann werden sie hinter dir stehen.

„Wir können nicht mehr zusehen, wie die Oberen mit uns ihre Spielchen spielen", sie fing ganz leise an, doch mit jedem Wort, das ihren Mund verließ, wagte sie das nächste, „Sie wollen uns den Verstand rauben. Auch können sie unsere Leben nehmen, ohne mit der Wimper zu zucken. Die Dämonen haben mir das erzählt." Kjelds Gesichtsausdruck und das Unverständnis in den Augen der anderen brachten sie zum Schweigen. Sie hatte übertrieben. Zu viel verraten. Alles zerstört.

„Dämonen?", es war Talita, die als Nächstes zu Wort kam, „Tut mir leid, Anuk, aber was du sagst, ergibt keinen Sinn. Warum sollten wir dir auch trauen? Woher sollten wir wissen, ob du nicht vielleicht eine Spionin bist?" Theatralisch seufzte sie und schüttelte ihre lockige Löwenmähne. Gepaart mit ihren grünlich leuchtenden Augen erinnerte sie Anuk an böse Hexen, die in Büchern vollkommen allein im dunklen Wald lebten und auf Besen durch die Gegend flogen.

Sie sah einen misstrauischen Glanz in den Augen mancher Kinder aufleuchten. Vor allem Vera, die kleine Russin, drückte sich fester an ihre etwas ältere brünette Freundin. Kjeld starrte Talita gereizt an. Es schien, als würde er sich jede Sekunde auf sie stürzen wollen.

„Es reicht jetzt! Ich schlage vor, wir essen nun zu Abend und vergessen das Zimmer einfach, schließlich ist nichts Schlimmes passiert. Geht das für jeden klar?", fragte Leo. Zustimmende Töne galten als positive Antwort und schon bald begaben sich alle auf den Weg zum Lager. Nur noch Kjeld blieb bei Anuk, unterstützte sie mit der Erkenntnis, dass sie nicht allein war und noch immer Verbündete hatte.

„Lasse den Kopf nicht hängen, Shaik. Noch ist nichts entschieden." Sie nickte, drehte sich weg von ihm und kämpfte gegen die Tränen an. Sie wollte nicht, dass er zum zigsten Mal sah, wie schwach sie doch war. Zu schwach, um die Kontrolle über sich selbst zu behalten.

„Kannst du mich allein lassen?" Sie sah seinen Gesichtsausdruck nicht, sie sah nicht, ob er nickte oder seine Augenbrauen zusammenkniff, wie er es immer tat. Doch als sie sich dann umsah, war er fort. Nur in der Ferne bemerkte sie eine winzige Gestalt, welche schon fast gänzlich von der Dämmerung verschluckt war.
Komplett erledigt ließ sie sich auf das saftige Gras fallen, vergrub wie üblich ihr Gesicht in den Händen und ließ das salzige Wasser darüber fließen. Diesmal erlaubte sie sich keinen Gedanken daran, dass sie stark bleiben musste, denn egal wie sie es drehte oder wendete, sie würde für immer eine Versagerin bleiben. Es war ein großer Irrtum, dass man sich verändern konnte. Kjeld Evans hatte durch und durch unrecht gehabt.

Aus einem verlorenen Welpen wird nie ein Alphahund.

Sie saß noch lange da, vollkommen trostlos und verzweifelt zwischen den herumfliegenden Schmetterlingen und den blühenden Rosenbüschen im Licht der strahlenden Abendsonne. Sie, die Emotionen und ihre weinende, von blutigen Rissen versehrte Seele waren jedoch das Einzige, was davon noch unverfälscht war.

 Sie, die Emotionen und ihre weinende, von blutigen Rissen versehrte Seele waren jedoch das Einzige, was davon noch unverfälscht war

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𝐓𝐡𝐞 𝐏𝐞𝐫𝐟𝐞𝐜𝐭 𝐖𝐨𝐫𝐥𝐝Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt