❀ Prolog

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2019, unbekannter Tag, unbekannter Ort

Beinahe nichts war zu hören, als er einen Schritt nach dem anderen auf den feuchten Boden setzte. Sogar das Vogelgeschrei war verstummt, sobald er den Wald betreten hatte – als würden die Tiere wissen, dass man ihn im Moment lieber fürchten sollte. Er war außer sich vor Zorn. Sogar das Unterholz, das kaum vernehmlich unter seinen Füßen knackte, ließ ihn wütender werden. Ab und an stieß er unklare Töne aus, die sich etwa wie Wutschreie oder wildes Gebrüll eines Raubtiers anhörten.

Auf einer kleinen Lichtung kam er dann endlich zum Stehen. Wie im Lager wuchsen hier alle möglichen Blumenarten, als wären die fahlen Lichtstrahlen, die auf die Wiese durch die Bäume hindurch fielen, mehr als genug für sie. Dennoch wunderte er sich nicht, ihm war bewusst, dass die Pflanzen nur billige Fälschungen waren. Genauso wie alles andere in der perfekten Welt.

Doch er war den Oberen und den Dridern dankbar, dass er der ewigen Dunkelheit auf der Erde entfliehen durfte, denn genau das hätte sein Schicksal werden müssen, wäre er nicht in dieser geschaffenen Paralleldimension gelandet.

„Ich habe mir schon gedacht, dass du mich wieder sprechen willst, Seher. "

Ruckartig drehte er sich zu der Stimme um, sein stechender Blick fokussierte sich auf das Objekt seines Interesses, das gerade seelenruhig auf dem Laub am Waldboden weilte. Seine spitze Schnauze hielt das Wesen gehoben, um besser in die Augen des Jungen hinauf sehen zu können. Das glatte Fell glänzte in den Sonnenstrahlen leuchtend rot, wie ungezähmte Flammen. Sein Blick war genauso feurig wie sein Fell; smaragdgrün und wild. Der Junge kniff seine Augen zu Schlitzen zusammen, während er das Tier misstrauisch musterte.

„Also noch ein Mal: Warum erfahre ich von den Dridern, dass es noch einen Seher geben wird?", sprach er das Thema sofort an. Er hasste lange, unnötige Begrüßungen und blieb stets sachlich.

„Ich denke, es macht keinen Unterschied, von wem du es erfährst." Der Fuchs gähnte und fuhr dann mit der Zunge sachte über seine Pfote, um diese zu putzen. „Meine Aufgabe ist es, dir die wichtigen Visionen zu zeigen, zu mehr bin ich nicht verpflichtet."

„Bist du so distanziert, weil ich auf der Seite der Drider bin?" Mit seinen zum Zerreißen gespannten Muskeln wartete er auf eine Antwort.

Das Tier schüttelte seine Schnauze. „Es gibt in diesem Spiel keine Seiten, Seher. Ich und die Drider – wir sind keine Feinde, genauso wenig wie wir Freunde sind. Wir gehen uns einfach aus dem Weg, denn wir wissen, gäbe es einen von uns nicht, würde diese Welt nicht funktionieren."

„Was ist dann der Grund? Warum hilfst du mir nicht und warum willst du dem zukünftigen Seher die Visionen nicht verheimlichen?" Seine Wut kam auf einmal wieder auf, ganz wie ein brodelnder Vulkan, der jeden Moment ausbrechen könnte. Es war nicht das erste Mal, dass sie sich darüber unterhielten und doch verlief es ständig gleich und die Antworten des Fuchses waren dieselben. Es nervte ihn gewaltig. Er ballte die Hände zu Fäusten und versuchte, seinen Atem zu beruhigen. Er wollte seinem Gesprächspartner auf keinen Fall preisgeben, dass er sich wie ein kleines Kind nicht unter Kontrolle halten konnte.

„Ich meine, Seher, das haben wir schon oft genug besprochen. Du kannst mich nicht zu irgendwas zwingen, genauso wenig wie du die Sonne am Himmel halten und den Regen stoppen kannst. Mir ist bewusst, was dir die Drider versprochen haben, aber manches kann man eben nicht in die Tat umsetzen."

„Doch, das kann man!", fiel er ihm forsch ins Wort, „Wäre da nicht dieser verdammte andere Seher, der meine ganze Mühe zunichtemachen könnte, dann ..."

„Warum tust du das alles nur? Verschweigst den anderen Kindern dein Wissen?" Man könnte meinen, der Fuchs würde sich gar nicht dafür interessieren. Er guckte nicht einmal zu ihm rüber, beobachtete nur äußerst aufmerksam einen Käfer, der ahnungslos einen Baum hoch krabbelte.

„Ich konnte deren Angebot nicht ablehnen, ich konnte einfach nicht ...", sagte der Junge. Seine Stimme klang nun plötzlich ganz leise, die Augen hob er zum Himmel und schaute verträumt einem Schmetterling zu, wie er zwischen den Ästen hin und her flog und sich im Sonnenlicht badete. Seine Augen, noch vor einer Minute mit wütenden Lavafunken gefüllt, glänzten nun verräterisch vor Tränen, die sich in ihnen sammelten.

„Ich weiß", war alles, was der Fuchs seufzend von sich gab. Er konnte den Jungen nur zu gut verstehen. Jedoch konnte er ihm nicht helfen. Und Hilfe war das Einzige, was dieser von ihm verlangte.

 Und Hilfe war das Einzige, was dieser von ihm verlangte

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𝐓𝐡𝐞 𝐏𝐞𝐫𝐟𝐞𝐜𝐭 𝐖𝐨𝐫𝐥𝐝Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt