Kapitel 1

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„Der Urlaub mit meinen Eltern an der Côte d'Azur war einfach umwerfend. Sechs Wochen konnte ich in exklusiven Boutiquen shoppen gehen, mich am Strand von der Sonne bräunen lassen und wurde von französischen Casanovas nur so umschwärmt. Wie könnte man es ihnen übel nehmen, immerhin sehe ich mit den roten Haaren umwerfend aus."

„Oh ja, das tust du wahrhaftig. Wenigstens hattest du schöne Ferien. Leider musste ich mich von Alex trennen."

„Wieso das denn, Süße?"

„Er hat doch tatsächlich verlangt, dass wir getrennte Kasse machen. Ich dachte, ich höre nicht richtig. Natürlich habe ich ihm noch an Ort und Stelle den Laufpass gegeben."

„Du bist ohne ihn sowieso besser dran. Er war mir noch nie sympathisch. Er wollte ja nicht mal deine Einkäufe tragen, ich meine, was soll denn das für ein Gentleman sein? Kauf dir einfach Schuhe von Gucci, Prada oder Jimmy Choo, dann hat sich dein Kummer schnell erledigt, glaub mir."

„Apropos, deine neue Sonnenbrille ist wundervoll, Schätzchen."

„Sie ist dir also aufgefallen? Sie sieht wirklich fabelhaft aus und sie harmoniert einfach perfekt mit der neuen Birkin Bag nicht wahr?"

„Ja allerdings. Dolce und Gabbana passt einfach zu allem, wobei man auch sagen muss, dass eine Birkin Bag zu allem passt und zwar ohne Ausnahme. So eine hätte ich auch gern. Ich muss zugeben, dass ich neidisch bin. Ich habe nur eine von Louis Vuitton und die habe ich schon seit drei Monaten!"

„Tja, was soll ich sagen? Auf so etwas Tolles muss man einfach neidisch sein. Und sie steht mir doch auch fantastisch, nicht wahr? Aber mal ganz ehrlich, es ist wirklich Zeit für dich, dir eine neue Handtasche zu kaufen. Deine ist ja schon fast aus der Mode, nichts für ungut."

Kopf gesenkt, den Blick starr auf den Boden gerichtet und keinen Ton von sich gebend, während andere sich unterhielten: so bewegte sich Emily für gewöhnlich in den Gängen der Charles Norton Private School, einem Internat, das ausschließlich Mädchen besuchen durften, deren Eltern 50.000 $ an Gebühren für den Besuch dieser Elite Schule bezahlten. Emily würde lieber auf eine normale Highschool gehen und hatte sich immer gegen diese Schule gesträubt. Da sie jedoch praktisch dazu gezwungen wurde, diese Schule zu besuchen, und ihre Leistungen mit einem Notendurchschnitt von 1,0 alles andere als schäbig waren, hatte sie beste Chancen auf einer Elite Universität angenommen zu werden, selbst wenn ihr Ziel ein Medizinstudium war. Deshalb und weil sie ohnehin keine andere Wahl hatte, hatte sich Emily irgendwann mit diesem Schicksal abgefunden.

Wenn sie nicht gerade in der Schule, sondern außerhalb des imposanten Gebäudes war, wagte sie es sogar den Kopf zu heben und die herrliche Umgebung auf sich einwirken zu lassen. Gerade war sie durch die Tür der Schule getreten und schon nahm sie die hochnäsigen Stimmen der anderen Mädchen, die sich in ihrer Nähe unterhielten und in dieselbe Richtung bewegten wie sie, nicht mehr wahr.

Von außen sah diese Schule atemberaubend aus, wie der Traum jedes Teenagers, der Wert auf eine gute Ausbildung und ein schönes Ambiente legt. Die Schule war wie ein Universitätscampus aufgebaut und hatte Platz für fünfhundert Schülerinnen. Im Zentrum des Geländes befand sich das dreistöckige Schulgebäude. Bis auf die Pflichtkurse, die man belegen musste, konnte man sich seine Kurse selbst aussuchen, und diese reichten von Astronomie und Chemie bis Wirtschaftskunde und Rechtswissenschaften. Das Gebäude war aus roten Ziegeln erbaut worden und mit Efeu bewachsen. Die Zufahrt zum Schulgelände befand sich im Süden, sowie auch ein eigenes Shuttleservice mit acht Autos, mit denen sich die Schülerinnen, die kein Auto besaßen, wie mit Taxis durch die Gegend kutschieren lassen konnten.

Im Westen des Schulgeländes war der fünfstöckige Wohnkomplex, in dem die Schülerinnen untergebracht waren. Insgesamt war dieser in vier Bereiche aufgeteilt. Wohntrakt A, B, C und D. Pro Stockwerk jedes Wohntraktes befanden sich zehn Zimmer mit eigenem Badezimmer und ein Gemeinschaftsraum mit Küche und einem Waschraum zum Wäsche Waschen, welche je eine Wohneinheit bildeten. Bei den Zimmern von Wohntrakt A handelte es sich um Einzelzimmer, in Wohntrakt B gab es Zweibettzimmer, in Wohntrakt C Dreibettzimmer und in Wohntrakt D Vierbettzimmer. Natürlich hatte jeder Wohntrakt einen eigenen Zugang für den man einen eigenen Schlüssel benötigte, ebenso bei der Wohneinheit in jedem Stockwerk. Hinter diesem Wohnkomplex gab es Parkplätze, auf denen die Schülerinnen ihre Autos abstellen konnten, natürlich gegen ein gewisses Entgelt.

Im Osten des Campus befand sich das schuleigene Sportzentrum mit Schwimmbad, Tennisplätzen, einem Fitnessstudio und drei Turnhallen, in denen unter anderem Fecht- und Kampfsportunterricht angeboten wurden, aber auch Mannschaftssport wie Volleyball gespielt werden konnte. Dahinter befanden sich auch noch zwei Reitplätze und angrenzende Ställe, in denen zwanzig Pferde standen und auf ihren Einsatz am Spring- oder Dressurplatz warteten.

Der ganze Campus war umgeben von einer vier Meter hohen Steinmauer, welche noch aus Kriegszeiten stammte. Die Schule war etwa hundertfünfzig Jahre alt, und um vor Kriegshandlungen immerhin etwas geschützt zu sein hatte man vor Jahrzehnten veranlasst, sämtliche Gebäude vor Angriffen zu schützen und die eineinhalb Meter dicke Steinmauer errichtet. Außerdem waren auch die Außenwände sämtlicher Gebäude verstärkt worden und nun genauso dick wie die Campusmauer.

Überall am ganzen Campus wuchsen auf den Grünflächen Bäume und Sträucher, vor allem an der Mauer entlang war einige Meter breit viel Gestrüpp und Geäst. Dies war auch gut so, denn es verstellte den Blick auf die graue Steinmauer, die alles andere als ansehnlich war.

Im Südosten befand sich ein Park, in dem es sogar einen kleinen See gab. Dort war es immer wunderbar still, da außer Emily, so gut wie nie jemand dort war. Überall zwischen den Bäumen gab es hölzerne Parkbänke und im See schwammen kleine Fische und eine Entenfamilie. Im Schilf, das den See umgab, hausten auch einige Frösche, die man nachts quaken hörte.

Im Park gab es sogar noch einen Bunker. Er war unmittelbar neben der Mauer gebaut worden. Im Laufe der Jahre war er jedoch in Vergessenheit geraten. Lediglich der alte Direktor hatte noch von seiner Existenz gewusst. Seit vor zwei Jahren jedoch ein anderer Mann dieses Amt angetreten hatte, wusste niemand mehr darüber Bescheid. Emily war zufälligerweise mal im wahrsten Sinne des Wortes über die bemooste Luke gestolpert, als sie den Park erkundet hatte. Sie ließ sich sogar öffnen. Natürlich hatte Emily ihrer Neugier nicht widerstehen können und den in Vergessenheit geratenen Bunker sofort betreten. Mit einiger Kraft hatte sie es bewerkstelligt, die Luke zu öffnen. Eine Leiter führte zum Grund des Bunkers und sie war diese natürlich gleich hinabgestiegen, ohne daran zu denken dass die Sprossen vielleicht verrostet und instabil hätten sein können.

Da sie dies zum Glück nicht gewesen waren, war Emily heil am Boden angekommen und hatte sich mit einer Taschenlampe, die sie zuvor geholt hatte, umgesehen. In diesem Raum konnte man vielleicht fünfzehn Leute unterbringen. Die rechte Seite war vollgestellt mit Stockbetten, auf der linken Seite befanden sich einige Regale voller Konservendosen und eine Tür, die wohl zu einer notdürftigen sanitären Einrichtung führte. Emily war sofort fasziniert von dem Bunker gewesen. Sie wollte nicht dass dieser Ort seinen Zauber verlor, weshalb sie wieder nach oben stieg, die Luke schloss und das wuchernde Moos wieder zurechtrückte, sodass dessen Bruchstellen, die beim Öffnen der Luke entstanden waren, nicht mehr so stark auffielen. Obwohl es sie im Laufe der Zeit sehr gereizt hatte, war sie nie wieder dorthin gegangen, um niemandes Aufmerksamkeit auf dieses vergessene Stück Geschichte zu lenken.

48 Stunden in ihrer GewaltWo Geschichten leben. Entdecke jetzt