Kapitel 28

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James sah sofort, dass niemand außer ihm im Gemeinschaftsraum war. Er war froh darüber, denn das verschaffte ihm eine Atempause und er konnte einen Moment lang nachdenken.

Seine stählerne Selbstbeherrschung war zerbröckelt wie verrottetes Holz. Emily hatte seine Mauer der Kontrolle mit einem einzigen Blick in sich einstürzen lassen. James hatte sich noch nie als jemanden gesehen, der Schwäche zuließ, doch heute war es geschehen, er war schwach geworden.

Da noch keiner der Jungs in der Nähe war, ging James schnell in eines der Zimmer, warf das verängstigte Mädchen raus, das dort am Boden hockte, und stellte sich unter die Dusche. Wie in Trance, stand er in der Wanne und ließ das siedend heiße Wasser auf sich herabprasseln. Als er irgendwann aus dem Fenster sah, dämmerte es bereits.

Immer noch unter Selbstvorwürfen, stieg James aus der Wanne, trocknete sich notdürftig ab und zog sich an. Das Wasser, das ihm von den Haaren hinabtropfte und sein Shirt an den Schultern nach und nach tränkte, registrierte er kaum. Er wusste genau, dass nun der Moment gekommen war, in dem er sich Larry und George stellen musste.

Die beiden jungen Männer saßen mit insgesamt drei Mädchen auf dem großen Sofa. Larry hatte zwei in seinen Armen, die auf seine Anweisungen hin an ihm herumgrapschten. Ihre ausdruckslosen Gesichter zeigten, dass ihr Wille längst gebrochen war. George befummelte unterdessen ein anderes Mädchen. Das Mädchen, das James aus dem Zimmer gezerrt hatte, saß zusammengekauert am Teppich vor dem Sofa und schien froh zu sein, dass es in Ruhe gelassen wurde.

Larry bemerkte James' Auftauchen als erstes und verzog sein Gesicht zu einem hämischen Grinsen. George schien sich nur widerwillig von der wasserstoffblonden Schlampe lösen zu wollen, nachdem Larry ihn mit dem Fuß angestoßen hatte.

James stellte sich breitbeinig neben die Theke, auf der sich die Handys befanden. Seine Arme hatte er vor der Brust verschränkt. Mit gleichgültiger Miene starrte er seine beiden Kumpane an. Niemand machte Anstalten als erster den Mund aufzumachen. James störte das allerdings nicht sonderlich, wenn die beiden etwas zu sagen hatte, dann sollten sie damit herausrücken und sich nicht bitten lassen.

Larry lehnte sich nach vorne und stützte das Kinn lässig auf seine Arme, die auf seinen Knien ruhten. Immer noch hatte er dieses selbstzufriedene Grinsen aufgesetzt und legte nun den Kopf schief. George schien sich mit jeder Minute, die verstrich, unwohler zu fühlen.

Schließlich schien jedoch die Ungeduld an Larry zu nagen und er sprach mit gespielt vertrauensvoller Stimme zu James.

„Nur noch wenige Stunden und dann können wir aus diesem geldverseuchten Schuppen verschwinden."

James machte keine Anstalten auf diesen sinnlosen und falschen Small-Talk einzugehen. Larrys Grinsen verschwand jedoch von Sekunde zu Sekunde mehr. Offenbar war ihm dieses liebliche Gehabe nicht mehr unterhaltsam genug.

„Apropos verschwinden – wo steckt eigentlich Robert? Ich habe ihn schon seit gestern Abend nicht mehr gesehen."

George blickte zwischen Larry und James hin und her, wie eine Katze, die einem Laserpointer folgt. Beinahe hätte James darüber lachen müssen, dass Larry sich wieder als Meister der fliegenden Themenwechsel bewies.

„Robert ist inzwischen nur noch ein behobenes Problem, nichts weiter", sagte James vollkommen gleichgültig, doch all seine Sinne waren in Alarmbereitschaft.

Die Mienen von Larry und George waren schockiert. Beide hatten sofort verstanden, was James damit meinte. Larry jedoch hatte sich schneller wieder gefangen und lief dunkelrot an.

„Wieso hast du das getan?", fragte George dessen Mund immer noch offen stand, „Ich dachte wir wären Freunde? Man bringt seine Freunde nicht um."

„Wir sind keine Freunde. Wir sind Kollegen, nichts weiter, wir arbeiten lediglich zusammen."

48 Stunden in ihrer GewaltWo Geschichten leben. Entdecke jetzt