Kapitel 5

673 10 0
                                    

Er war dankbar dafür, dass das dichte Gestrüpp entlang der hohen Mauer niemanden kümmerte, denn es bot ihm ein perfektes Versteck, von dem aus er alles beobachten konnte. Der Ort war perfekt gewählt, denn bis auf eine alte Schachtel die ab und an durch die Gegend flanierte, war den ganzen Tag niemand hier gewesen. Zumindest bis zum Nachmittag. Denn da tauchte sie plötzlich auf. Wider seinen Willen verzog er seinen Mund für einen kurzen Moment zu einem kleinen Lächeln. Offenbar führte das Schicksal sie immer wieder in seine Nähe. Wenn sie wüsste...

Zuerst war sie nur ganz kurz da gewesen und war dann gleich wieder gegangen, was ihn mehr enttäuschte als er sich selbst eingestehen wollte. Doch dann war sie wieder aufgetaucht. Er sah ihr dabei zu, wie sie herumging und ein Pferd fürs Reiten bereitmachte. Bevor er etwas daran ändern konnte, machten sich seine Hände selbständig und griffen sich die Kamera, die in seiner Hosentasche verstaut war. Er machte einige Fotos von dem Mädchen, das hier so gar nicht hineinzupassen schien, und war froh darüber, dass die Kamera keine Geräusche beim Schießen der Fotos von sich gab. Dann verstaute er die Kamera wieder zurück an ihren alten Platz. Für gewöhnlich waren die Fotos, die er schoss, von anderer Natur, jedoch gewährte er sich diese kleine Ausnahme.

Die ganze Zeit, während sie in dem Viereck trainierte, beobachtete er sie, kaum fähig die Augen von ihr zu nehmen und es ärgerte ihn, dass sie ihn so faszinierte. Wieder zog er seine Kamera hervor und machte erneut einige Fotos. Er fragte sich, ob er es mit seiner Kamera überhaupt schaffte, diese Vollkommenheit, diese Anmut in ihrer ganzen Schönheit einzufangen. Für einen Moment wurde er fast traurig, denn so etwas vermochten kein Fotograf und keine Kamera auf dieser Welt. Nichts war so schön, wie all dies vor sich zu sehen und genießen zu können. Das im Wind wehende, offene, dunkelbraune Haar, die konzentriert zusammengegezogenen Augenbrauen, die leicht aufeinandergepressten Lippen und das feine Lächeln, wenn ihr etwas besonders gut gelang und welches ihr selbst vermutlich gar nicht auffiel. So sehr er es auch versuchte, er schaffte es einfach nicht den Blick abzuwenden. Nie wieder würde er dies zu sehen bekommen. Nie wieder würde er diesen Augenblick genießen können. Die Bilder würden ihn zwar daran erinnern, ihm aber nicht dieses warme Gefühl geben können, das er in diesem Moment empfand.

Schließlich jedoch zwang er sich die Augen von dem Mädchen loszueisen. Um sicherzugehen, dass sie nicht verschwommen waren, aber auch, weil er einfach nicht anders konnte, sah er sich die Fotos an. Jedes einzelne betrachtete er eingehend und länger als notwendig. Eins der Bilder, die er zuvor gemacht hatte, sah er sich besonders lange an.

Er flüsterte einen derben Fluch, als er ein wichtiges Detail, das ihm vorhin an dem Mädchen gar nicht aufgefallen war, auf dem Foto entdeckte. Nun ärgerte er sich noch mehr darüber, wie sehr ihn dieses Mädchen fesselte, und dass er dadurch nachlässig wurde. Beinahe hätte er ein sehr bedeutendes Detail übersehen. Ein beinahe unverzeihlicher Fehler. Nur gut, dass er sich die Fotos noch einmal angesehen hatte, bevor das Mädchen wieder verschwunden war, samt dem kleinen Schlüsselbund, der an ihrer engen Jeans glänzte. Bisher hatte er den Wert von Reithosen nie zu schätzen gewusst. Jetzt tat er es, denn dank der speziellen Reitmode, lagen Jeans und Schlüssel jetzt unbewacht irgendwo in den Ställen.

Alles was er nun tun musste, war sie zu finden und an sich zu nehmen, was er brauchte.

48 Stunden in ihrer GewaltWo Geschichten leben. Entdecke jetzt