20. Fremde

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Sichtweise: Jared

Jetzt ist meine Kleine schon 6 Tage verschwunden und ich habe sie noch nicht erschnüffeln können. Sie war schlau genug ihren Geruch zu verbergen, das muss man ihr lassen.
Ich bin stinksauer auf das kleine Biest, aber gerade ist meine Sorge einfach größer. Ich weiß nicht, ob es ihr gut geht oder ob ihr was zugestoßen ist. Und jetzt ist es besonders gefährlich für sie. Die Rouges, also rudellose Wölfe, sind wieder unterwegs und in meinem Territorium, welches mal ganz nebenbei ganz Kanada ist. Da können solche Komplikationen schon mal vorkommen, aber so nah an meinen Wohnsitz haben sie sich normalerweise nie getraut und jetzt tauchten sie genau dann auf als Neyla geflohen ist.
Gut, dass wir sie alle soweit beseitigt haben, aber es könnten noch mehr da draußen sein...

Plötzlich klopft es an meiner Bürotür. Es ist mein Beta, Taylor. "Was gibt's?", fordere ich ihn gleich zum Reden auf.
"Du wirst es nicht glauben Jared... aber ER ist zurück" Ich werde kreidebleich und der Stift, der in meiner Hand war, fällt auf den Tisch vor mir. Das kann, das darf nicht wahr sein! Jetzt ergibt das Ganze einen Sinn. Er ist dafür verantwortlich, dass meine Mate fliehen konnte, er will sie entführen! Er will mein Eigentum besitzen. Wer weiß was er mit ihr anstellen wird...

In Windeseile springe ich von meinem Stuhl auf und renne aus der Tür. Über den Mindlink fragt mich Taylor noch wo ich hin wolle. Aber die Antwort ist klar. Ich will zu meiner Mate, ich darf nicht rumsitzen und nichts tun, während irgendwelche Nichtsnutze Neyla eh nicht finden werden. Jetzt ist die ganze Situation um einiges ernster geworden. Das ist jetzt eine Alpha Angelegenheit.

Ich spüre wie meine Pfoten den feuchten Waldboden berühren, während ich in einem Mordstempo durch den Wald rase. Jedoch nichts. Ich höre nichts, ich sehe nichts, ich rieche nichts...
Wo bist du nur hin, kleine Mate...?

Sichtweise: Neyla

Schlaftrunken richte ich mich im Bett auf und reibe mir einmal quer übers Gesicht. Da kommen mir die letzten Geschehnisse in den Sinn. Hermann und Molly waren so lieb und haben mich bei sich aufgenommen. Warum sie das taten, bleibt mir jedoch ein Rätsel. Immerhin bin ich eine Fremde...

Naja, ich sollte nicht so lange darüber nachdenken. Immerhin muss ich mich mal fertig machen. Heute möchte ich den Beiden schon unter die Arme greifen und den Rest des Kollegiums kennenlernen.
Also schlendere ich ins Bad, ziehe mich an, mache mich frisch und begebe mich auf den Weg nach unten in den Eingangsbereich.

Unten angekommen, sehe ich mich genau um. Es ist niemand hier, weder Gäste noch Mitarbeiter. Wo die nur alle sind?
Kaum habe ich die Frage zu Ende gedacht, ertönen leise Stimmen aus einem Nebenzimmer. Wahrscheinlich das Büro. Ich weiß man sollte das nicht tun, aber meine Neugier ist viel zu groß.

Langsam bewege ich mich auf die Tür zu und halte mein Ohr daran.

"Molly, ich verstehe ja, dass du ihr helfen möchtest, aber sie ist trotzdem noch eine Fremde." - das sind die Worte von Hermann und wenig später hört man Molly.
"Das mag sein Hermann, aber sie ist noch ein Kind und siehst du denn nicht, wie ähnlich sie Sarah sieht?"
Warte mal, Sarah? Meine Mutter heißt Sarah! Andererseits gibt es den Namen öfters. Wahrscheinlich hieß ihre Tochter auch so oder jemand anderes den sie kennen.

Gespannt höre ich der Konversation weiter zu, welche mich nur vor weitere Fragen stellt.
"Ja da hast du Recht. Aber Sarah ist vor 17 Jahren untergetaucht und jetzt taucht ein Mädchen auf, was unseren Nachnamen trägt und unserer Tochter zum Verwechseln ähnlich sieht. Ich habe das Ganze noch nicht verarbeitet."
"Das kann ich verstehen, ich fasse es auch noch nicht. Aber so wie es aussieht haben wir eine Enkelin und sie muss einiges durchgemacht haben. Vor allem das, was sie gestern so erzählt hat, schockiert mich" Diese Worte von Molly treffen auf mich ein wie eine Bombe.

Eine Bombe aus Lügen und Geheimnissen, welche über mein ganzes Leben hinweg getickt hat und nun in die Luft gegangen ist. Die Worte knallen gegen mein Ohr wie eine Explosion. Mein Herz hämmert gegen meine Brust und ich höre meinen Herzschlag, welcher bis in meinen Kopf hoch pulsiert. Meine Ohren piepen, ich stehe hier vor dieser Tür wie in Trance... Ich verstehe das alles nicht.

Ich habe doch schon eine Oma. In dem Dorf von meinem Vater... wer lügt hier? Wem kann ich vertrauen?
Langsam bewege ich mich von der Tür weg, ich habe genug gehört. Meine Welt wird immer mehr und mehr auf den Kopf gestellt. Mir ist so viel passiert und ich lande nach all dem bei meinen Großeltern? Aus reinem Glück? Entweder das ist eine Falle oder Schicksal.
Um ehrlich zu sein, hoffe ich auf zweiteres.

Meine Mum hatte nie viel von unserer Familie geredet, aber sie meinte stets, dass sie ihre Eltern vermisst, wir sie aber nicht besuchen können.
Langsam brauche ich ein paar Verbündete, denen ich wirklich vertrauen kann und die zu mir halten, sonst drehe ich noch irgendwann durch. Vielleicht tue ich das ja schon... Eins ist aber klar, blind vertraue ich keinem mehr. Erzählen kann mir jeder was. Ich möchte ab sofort nur noch Beweise sehen bevor ich etwas glaube.

Es reicht jetzt. Die Welt hat meine Gutmütigkeit ausgenutzt und deshalb ist damit jetzt Schluss!

Plötzlich öffnet sich die Tür und Hermann und Molly kommen heraus. "Guten Morgen, hast du gut geschlafen?", fragt Molly mich gleich neugierig. "Euch auch einen guten Morgen, es war alles perfekt, danke.", antworte ich monoton, da ich immer noch meinen Gedanken nachhänge und die Folgen von der Bombe aus Lügen immer noch in meinem Kopf Schäden anrichten. Meine Gedankengänge sind wie gestört. Ich schaffe es kaum an die Situation angemessen heranzugehen.
Ich bin einfach ein viel zu ungeduldiger Mensch. Ich schaffe es nicht, hinsichtlich meiner aktuellen Lage, vorsichtig an die Situation heranzutreten. Mein Kopf und alles andere von mir wollen Antworten und das sofort!

"Hermann, Molly seid ihr meine wahren Großeltern?", platze ich direkt mit der Frage heraus, die mir so sehr auf der Seele brennt.
"Wie kommst du darauf?", versucht Molly eine Gegenfrage, diese wird aber von Hermann unterbrochen: "Sie hat uns sicherlich durch die Tür gehört" Erwartungsvoll starre ich die beiden noch an. Dieser Blick soll zeigen, dass ich noch eine Antwort verlange.

"Neyla, so wie es aussieht sind wir deine Großeltern und glaub uns, das ist auch ein riesiger Schock für uns. Damit haben wir definitv nicht gerechnet. Wir haben 17 Jahre lang nichts von Sarah gehört, geschweige denn, dass sie ein Kind bekommen hat!", erklärt mir Hermann mit einem nachdenklichen Blick.

"Wenn ihr wirklich meine Großeltern seid, dann beweist es mir. Zeigt mir etwas, dass nur Großeltern haben. Wie Bilder von früher oder sowas.", fordere ich sie streng auf. Ich konnte in letzter Zeit niemandem trauen, deshalb muss ich mich vergewissern. Bis jetzt spüre ich noch die Panik in meinen Knochen. Sie könnten mir alles vorspielen und vielleicht sind sie auch böse Wesen. Um nicht völlig der Angst zu verfallen, warte ich gespannt auf den Beweis, den mir meine Großeltern liefern wollen.

"Natürlich Neyla! Warte, ich zeige dir welche und auch die Geburtsurkunde deiner Mutter.", springt Molly gleich auf und kommt mit einem riesigen Stapel voller Papiere und Bilder wieder.
Zu aller erst zeigen mir meine Großeltern ihre Ausweise und die Geburtsurkunde meiner Mutter.

Und da war er, der Beweis. Die beiden Personen vor mir müssen meine Großeltern sein. Eine Sorge weniger. Ich habe die ersten aufrichtigen Menschen gefunden, die mich nicht anlügen...

Eine Weile sitzen wir drei an einem Tisch im Eingangsbereich und schauen uns die alten Fotos an. Es besteht kein Zweifel. Meine Mutter ist auf vielen dieser Bilder wieder zu erkennen. Woher ich das weiß? Meine Mutter liebte alte Fotos, sie meinte stets, dass sie mit Erinnerungen verbunden sind und einen Situationen wieder erleben lassen, die man sonst vergessen würde...

Es führt eins zum anderen. Nachdem wir uns viele Bilder angeschaut und in der Vergangenheit geschwelgt haben, berichte ich von den schrecklichen Geschehnissen, die in letzter Zeit passiert sind.

Ich lasse kein Detail aus und erzähle von Anfang an alles. Angefangen von dem Tod meiner Mutter bis hin zu meiner Fake- Oma und der Flucht vor den Wölfen.
Nachdem ich fertig bin mit erzählen, schauen mich die beiden perplex an.
"Jetzt verstehen wir so einiges...", sagen meine Großeltern wie aus einem Mund.

Des Alphas VertragWo Geschichten leben. Entdecke jetzt