Kapitel 1

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Verzweifeln werde ich erst dann, wenn ich nicht mehr Volleyball spielen kann. Wer hätte je gedacht, dass diese Worte ihn einmal verfolgen würden? Der junge Kageyama Tobio hatte sie seinem Gegner in der Annahme, dass er unbesiegbar sei, entgegen geschleudert. Doch er war nicht unbesiegbar, nein, ganz im Gegenteil, er war besiegt worden, er war vernichtet worden, nicht von einer anderen Mannschaft oder einem anderen Spieler, nein, vom Schicksal, vom Leben, wie auch immer man es nennen wollte. Von all dem, was er nicht haben konnte, nicht mehr haben konnte, und vielleicht auch nie wieder haben können würde.

Volleyball war Tobios ganzes Leben gewesen, schon seit frühester Kindheit an. Volleyball hatte ihn mit seiner Familie und seinen Freunden verbunden, hatte ihm letztlich seine Familie und seine Freundschaften ersetzt. Volleyball war sein Beruf und seine Berufung gewesen. Er war so stolz gewesen, als man ihn als einzigen Schüler aus Miyagi in das Ganz Japan Jugendcamp eingeladen hatte, er war so stolz gewesen, dass sein Talent früh erkannt worden war, dass er besser war als Oikawa oder Ushiwaka, sogar besser als die größten Talente des Landes.

Er hatte nach seinem Schulabschluss praktisch sofort in den Profisport über gewechselt und seit dem zarten Alter von 18 nichts anderes mehr getan als Volleyball gespielt. Sein Weg hatte ihn von Anfang an steil nach Oben geführt und niemals hatte er in Frage gestellt, dass er weiterhin aufsteigen würde. Über ein Danach hatte er sich niemals Sorgen gemacht. Für ihn hatte es kein „Danach" gegeben. Er war immer davon ausgegangen, dass Volleyball sein ganzes Leben bestimmen würde, solange er leben würde.

Auf die Warnungen von Anderen hatte er nie gehört. Auf die, die ihm gesagt hatten, dass Volleyball nicht alles war. Er hatte ihnen nicht geglaubt, hatte nicht verstanden warum das jemand denken sollte. Warum das ausgerechnet jemand wie Oikawa zu ihm sagen sollte. Für Tobio war Volleyball immer alles gewesen, so einfach war das.

Und dann, dann hatte er eines Tages viel früher als gedacht erreicht – das „Danach".

Und auf einmal wusste er nichts mehr mit sich anzufangen. Auf einmal wusste er nicht mehr wie es weitergehen sollte.

Er befand sich vollkommen alleine in Italien, starrte seine Befunde an, die alle nicht auf Japanisch verfasst worden waren und er deswegen kaum verstand, und fragte sich was genau er jetzt mit sich anfangen sollte. Nicht nur jetzt in diesem Augenblick, sondern überhaupt.

Einen Plan B hatte er niemals gehabt. Damals in der Oberschule hatte er Sensei Takeda und Coach Ukai keine Beachtung geschenkt, wenn sie ihm nahe gelegt hatten, dass es besser wäre einen Plan B in der Hinterhand zu haben, nur für den Fall. Nein, sein Leben war immer klar vorgezeichnet gewesen. Aber jetzt, jetzt wusste er auf einmal nicht mehr, wie es weitergehen sollte.

Er wusste nicht einmal wohin er jetzt gehen sollte. Er sah keinen Sinn darin weiter in Italien zu bleiben, aber zurück nach Japan ... nun dorthin wollte er auch nicht zurück. Immerhin würde das bedeuten, dass er allen offenbaren würde, dass er versagt hatte. Dass er gescheitert war, und das auf jeder Ebene. Dass alles, was er jemals hatte erreichen wollen, nur ins Verderben geführt hatte.

Doch wohin sollte er sonst gehen?

Was wurde aus Profisportlern, wenn sie ihren Sport nicht mehr ausüben konnten? Wohin verschwanden sie?

Tobio wusste es nicht. Er wusste gar nichts mehr.

Und zum ersten Mal in seinen Leben wünschte er sich, dass er sein Leben vielleicht doch einfach anders geführt hätte als er es getan hatte.

Miwa hatte vor ein paar Jahren geheiratet, Tobio hatte ihr pflichtschuldig seine Glückwünsche ausrichten lassen, doch keine Zeit dazu gehabt auf ihre Hochzeit zu kommen oder auch nur sie und ihren Mann nach der Hochzeit zu besuchen. Inzwischen waren ein paar Kinder geboren worden. Nach Tobios letzter Rechnung hatte er zwei Neffen und eine Nichte, wie alt sie inzwischen waren konnte er nicht mit Sicherheit sagen.

Lonley at the TopWo Geschichten leben. Entdecke jetzt