2017
„Und dann?", fragte eines der jungen Mädchen. Sie war am Arm ihrer Freundin eingehakt und schlenderte in meine Richtung. Beide würden an mir vorbei gehen.
Die Freundin kicherte.
„Sag schon! Was ist passiert?"
„Er hat mich angesehen und gelächelt."
Die Mädchen glucksten und kicherten und schwärmten von dem Jungen aus ihrer Schule. Es war ein Anblick, den ich häufig beobachtet hatte. Die angrenzende Schule lockte besonders an den heißen Tagen die Jugendlichen in den Park. Sie verbrachten ihre Pausen auf den Wiesen oder Bänken, rauchten oder alberten herum. Dann wurde es laut.
Heute war einzig die Sonne am Himmel zu erblicken, die die Oberflächen erhitzte und für unangenehme Gerüche an Menschen sorgte. An mir waren Männer und Frauen vorbeigegangen, die feuchte Spuren an ihrer Kleidung trugen. Wenige trugen Hüte, Caps oder diverse andere Mützen, um den Kopf etwas zu schützen. Die Leute dachten nicht an einen Hitzeschlag und suchten sich einen schattigen Platz, nein, sie lagen in der prallen Sonne und ließen die Strahlen über sich ergehen, um ein wenig Bräune zu gewinnen.
Zugegeben, ich war nicht besser. Allerdings war mein Körper unter der langen Kleidung verborgen. Ich trug keine kurzen Shorts, keine Tops oder bauchfreien Oberteile.
Das zog die Aufmerksamkeit auf mich. Jedes Mal.
Auch die Mädchen bemerkten mich und gerieten in ihrer Schwärmerei ins Stocken. Das Mädchen auf meiner Seite drückte sich näher an ihre Freundin, als würde ich aus der Ferne ihnen etwas antun wollen. Ihnen war das Unwohlsein anzusehen, obwohl ich lediglich auf dem Brunnenrand saß, Menschen beobachtete und unter meiner Kleidung schmolz.
Ich sah, wie sie tuschelten, über mich redeten. Für mich war das nicht neu. Im Sommer lief man nicht in langer Leinenhose und einem Pullover herum. Besonders nicht bei den dreißig Grad, die im Schatten herrschten. In der prallen Sonne war es so viel heißer.
Sobald die Mädchen mich nicht länger sahen, sprachen sie wieder lauter. Ich ignorierte, was sie über die komische Frau auf dem Brunnen sagten. Es spielte keine Rolle. Die Mädchen waren zu jung, als dass sie mich kennen konnten.
Ich seufzte und sah in den Himmel. Mein gesamtes Leben hatte sich verändert, ohne dass ich je Einfluss darauf gehabt hatte. Mir fehlten viele Erinnerungen, was ich dem Sturz auf den Kopf zu verdanken hatte. Ob sie je wiederkommen würden, wusste man nicht. Das würde die Zeit zeigen. Aber was hatte ich schon davon? Mein Bruder war nicht mehr der pubertäre Junge. Meine Freunde waren fort. Die Ausbildung hatte ich nicht beendet.
Ich wusste nicht, ob ich einen festen Partner gehabt hatte oder verliebt gewesen war. Mir fehlten einige Erinnerungen vor dem Koma. Der Verlust war gravierend, denn ich wusste dadurch nicht einmal, wer ich selbst war. Wie war mein Charakter? Wie trat ich in der Öffentlichkeit auf? War ich offen oder schüchtern? Laut oder leise? Nichts konnte ich beantworten.
Mir reichten die Erzählungen meines Vaters und Bruders nicht. Es reichte nicht, dass man mir von der Trennung meiner Eltern erzählt oder Rafe vom Kennenlernen mit seiner Freundin sprach, die ein Kind von ihm erwartete. Für mich war es nicht in Ordnung, dass deren Leben weitergegangen und sich verändert hatte, während meines seit damals stillstand. Ich wollte diese Lücke nicht haben.
„Wenn Papa sagt, du bist nicht zuhause, dann findet man dich nur hier."
Sofort drehte ich den Kopf in die Richtung meines Bruders und sah ihm zu, wie er seine Malerjacke und seinen Rucksack neben mir auf den Rand legte. Ein paar Farbkleckse hatten sich in sein braunes Haar verirrt. Er sah müde aus.
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Verloren - Zurück im Leben
Любовные романыDu bist meine Vergangenheit, meine Gegenwart und meine Zukunft. - Bei einem schrecklichen Unfall fällt Lenya sieben Jahre in ein Koma und wacht zum Großteil ohne ihre Erinnerungen auf. Nach all den Jahren sind nur ihr Vater und ihr Bruder geblieben...