Mama stand auf meinem Display. Ich fragte mich, ob es wieder so weit war, dass sie jetzt anrief. Hatten wir überhaupt letzte Woche miteinander gesprochen?
Ich dachte einen Moment darüber nach und konnte mir die Frage verneinen. Meine Mutter wusste nicht, dass Kai zufällig meinen Bruder getroffen hatte, als dieser mit mir im Park gewesen war. Ich hatte mit ihr nicht über Vince oder Akio gesprochen. Sie wusste nichts über die letzte Zeit, die für so viel Gefühlschaos und Tränen gesorgt hatte. Nicht, dass ich den Drang verspürte, es zu ändern.
Irgendwas war kaputt gegangen, als ich letztes Jahr aufgewacht war und nur mein Vater und Rafe an meinem Bett gestanden hatten. Es fühlte sich wie eine immense Mauer an, die ich hochgezogen hatte, um meine Mutter nicht nah genug an mich ranzulassen. Ich wollte mit ihr nicht über mein Leben sprechen und mich nicht mit ihr verabreden. Warum auch? Sie war erst zwei Tage nach meinem Aufwachen gekommen. Sie hatte sich bloß alle paar Tage im Krankenhaus blicken lassen und war dann nur kurz geblieben, weil mein Vater dort gewesen war. Meine Eltern konnten sich nicht mehr in die Augen sehen. Deren Scheidung war nicht besonders gut ausgegangen.
Und ich wusste nicht warum.
Ich verstand nicht, wie nach meinem Unfall die Familie zerrütten konnte. In dieser Zeit hätten sie zusammenhalten müssen. Sie hätten gemeinsam beten und hoffen müssen, aber letztlich hatten es einzig mein Bruder und mein Vater.
Bei meiner Mutter war ich nachtragender als bei den drei Männern.
Sobald meine Mutter auf die Mailbox umgeleitet wurde, entwich mir ein erleichterter Seufzer und ich ließ die Hand sinken. Ich wollte nicht mit ihr reden und erfahren, wie großartig ihr Leben mit ihrem neuen Partner lief. Es war für mein eigenes Leben nicht wichtig genug zu wissen, dass die Tochter ihres Partners ein erfolgreiches Studium machte oder dieses Jahr abgeschlossen hatte. Mich interessierte der ganze Erfolg dieser Familie nicht.
Wichtig waren Rafe und mein Vater. Die einzigen, die mich seit meinem ersten Wimpernschlag begleiteten und unterstützten.
Ich sah mich in dem Park um, ob ich jemanden entdeckte, den ich neu kennengelernt hatte, aber es war wohl noch zu früh. Kai, Akio und Vince waren immerhin berufstätig und bezahlten von ihrem Gehalt ihr gesamtes Leben. Sie waren auf sich allein gestellt.
Jeder von ihnen hatte weitergelebt. Sie hatten sich etwas aufgebaut und standen mit beiden Füßen im Leben, was man von mir nicht einmal ansatzweise behaupten konnte. Neben ihnen fühlte ich mich als Versagerin, dabei war mir bewusst, dass ich nichts dafür konnte. Man hatte mich zwanghaft aus dem Beginn meines Erwachsenenseins gerissen.
Seit ich diese Männer getroffen hatte und mein eigenes Herz mir die Vertrautheit ihnen gegenüber und Wichtigkeit von ihnen gezeigt hatte, fragte ich mich stets, wie ich zu ihnen aufschließen konnte. Sie gingen jeden Tag einen Schritt vorwärts, während ich auf der Stelle lief. Ich wollte nicht acht Jahre zurückhängen und auf deren Rücken sehen.
Akio, Kai und Vince hatten neue Freundschaften geschlossen und Kai eine Familie gegründet. Sie gingen zu Feiern oder setzten sich in das Diamonds, das wohl ein Ort von damals war. Jeder von ihnen hatte einen festen Arbeitsplatz, verdienten Geld und konnten tun und lassen was sie wollten. Sie waren unabhängig und frei. Schon morgen konnte einer von ihnen woanders eine Arbeitsstelle angeboten bekommen und die Stadt verlassen. Keiner von ihnen war noch derart innig an mich gebunden, wie es einst gewesen war. Nichts hinderte sie, der Zukunft weiter entgegenzulaufen.
Nicht einmal meine Mutter hatte etwas daran gehindert, die mich schon wieder anrief.
Ich war versucht, sie wegzudrücken. Für den Bruchteil einer Sekunde spielte ich mit dem Gedanken, ihre Nummer zu blockieren und den Kontakt abzubrechen. Sie hatte mir seit letztem Jahr nichts gegeben.
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Verloren - Zurück im Leben
عاطفيةDu bist meine Vergangenheit, meine Gegenwart und meine Zukunft. - Bei einem schrecklichen Unfall fällt Lenya sieben Jahre in ein Koma und wacht zum Großteil ohne ihre Erinnerungen auf. Nach all den Jahren sind nur ihr Vater und ihr Bruder geblieben...