Ich schickte meinem Vater ein Foto vom Meer, damit er wusste, dass alles in Ordnung war und ich mich noch immer hier aufhielt. Obwohl die Sonne bald unterging und Akio, Vince und ich die letzten waren, bekam ich das kleine Lächeln nicht aus meinem Gesicht gewischt. Der Tag hatte so viele Momente hervorgebracht und mich viele Tränen vergießen lassen, dennoch fühlte ich mich gut. Es war eine angenehme Überraschung.
Zum Schluss hatten wir zu fünft im Meer gestanden und uns nassgespritzt, uns in das Wasser geschubst oder unter die Oberfläche gedrückt. Selbst nach all den ernsten Themen, den Streitmomenten und den kurzen Prügeln zwischen Vince und Rafe, hatten wir am Ende miteinander lachen können. Irgendwie war es uns gelungen.
„Komisch, was?", sprach Vince aus, was wir vermutlich alle dachten.
Akio gab einen zustimmenden Laut von sich.
„Nur wir sind übrig", sagte ich. „Sie sind nicht weg, aber es gibt uns nicht mehr zusammen."
„Das wird mit uns auch passieren", prophezeite der Älteste. „Ihr werdet euer Studium bestimmt nachholen, dann bleibe ich übrig."
Über meine Zukunft machte ich mir keine Gedanken. Es stand nicht einmal fest, ob ich je arbeiten gehen würde. Ich war zu instabil, trotz der Fortschritte heute. Nach wie vor lief ich ohne meine Hose herum, hatte auf meine Tücher verzichtet, sodass man bis auf meinen Arm, beinahe alles sah.
„Wir bleiben zusammen", entschied ich.
„Ich werde das dritte Rad am Wagen sein."
„Nein."
Akio seufzte neben mir. „Denkst du wirklich, dass sich etwas ändern wird?"
„Keine Ahnung. Das zeigt sich erst, wenn du ins kalte Wasser gesprungen bist." Vince lehnte sich vor und stützte sich an seinem Bein ab. Etwas an seiner selbstbewussten Ausstrahlung veränderte sich. Etwas, das ich aus Schulzeiten kannte. Ich hatte trotz unserer Streitereien bemerkt, dass er einen sehr weichen Kern besaß. Seine Einsamkeit war immer zu erkennen gewesen. Er konnte ein Arschloch sein, aber Akio und ich kannten auch andere Gesichter.
Sie war wieder zurück. Seine Einsamkeit.
„Hast du Angst?", fragte ich.
Seine Gefühle waren berechtigt. Kai hatte sich von uns abgewendet. Das hatte er während meines Komas getan, als er Nicole kennengelernt und geheiratet hatte. Mein Bruder hatte Charlotte getroffen und sie lieben gelernt. Die beiden hatten sich eine Zukunft aufgebaut und schritten unentwegt vorwärts. Kai und ich hatten es gesagt, es war nicht mehr wie früher. Er und Rafe würden nie wieder spontan und rücksichtslos durch die Straßen ziehen, weil ihre Familien über allem standen.
„Ja. Ich halte andere immer noch auf Abstand. Mein Aussehen lässt mich wie einen Kriminellen aussehen. Also ja, ich habe Schiss. Wenn ihr beide ..." Vince geriet ins Stocken und schien nach neuen Worten zu suchen. „Wenn ihr beide einen Partner habt, was dann? Wird es wie mit Kai enden? Sieht man sich einmal im Monat und hat dann nicht mal was zu bereden? Die Vorstellung ist scheiße."
Er wurde sentimental. So, wie er nun einmal war, wenn man ihn kannte. Vince war kein knallharter Mann, der Gefühle und Emotionen aussperrte und niemanden an seinem Leben teilnehmen ließ. In der Schule hatte er lediglich gelernt, sich zu verstellen und andere nicht sein wahres Gesicht sehen zu lassen. Er war nur jemand, der sich gerne Farbe unter die Haut stechen ließ und ins Fitnessstudio ging. Das Aussehen hatte nichts mit seinem Charakter zu tun.
„Ist sie. Ich will das auf keinen Fall. Für wen ich mich auch entscheide, er muss akzeptieren, dass sich mein Leben nach euch dreht." Ein Grinsen schlich sich auf meine Lippen. „Erinnert ihr euch an unseren Plan? Wir wollten eine WG gründen."
DU LIEST GERADE
Verloren - Zurück im Leben
RomanceDu bist meine Vergangenheit, meine Gegenwart und meine Zukunft. - Bei einem schrecklichen Unfall fällt Lenya sieben Jahre in ein Koma und wacht zum Großteil ohne ihre Erinnerungen auf. Nach all den Jahren sind nur ihr Vater und ihr Bruder geblieben...