21 - Akio

70 11 0
                                    

Ihr Vater war nicht überrascht gewesen, als er das Zimmer gesehen hatte. Er war nicht einmal wütend geworden, aber er hatte jeden von uns zum Aufräumen verdonnert. Lenya schien diese Erinnerung nicht zurückzuhaben, dass sie damals in der Garage ein ähnliches Spektakel veranstaltet hatte. Wir hatten ein schreckliches Chaos angerichtet und waren von ihrem Vater an jenem Tag ebenfalls zum Aufräumen aufgefordert worden. Er hatte uns nicht eher gehen lassen, bis wir überall gewischt hatten.

Es tat gut dieses Erlebnis erneut zu haben. Dass Lenya sich gehen lassen hatte, war eine Überraschung gewesen, nachdem sie partout nicht aufgeben wollte, ihr Temperament nach außen zu lassen. Sie war eine tickende Zeitbombe, die Vince bewusst auslöste. Ihm bereitete das eine riesige Freude und Lenya war es nie anders ergangen.

Ihr Wandbild war unglaublich. Sie brachte die Gefühle rüber, die wir damals empfunden hatten. Der Schmerz und die Einsamkeit hätten nicht besser gemalt werden können. Ich hatte längst das Aufräumen aufgegeben, was Vince und Kai wortlos akzeptierten und mich malen ließen. Seit Lenya ins Koma gefallen war, hatten sie mich nicht mehr mit Papier und Stift irgendwo sitzen sehen. Erst seit der gemeinsamen Nacht mit Lenya verspürte ich den Drang dazu, den ich jetzt nach außen ließ.

Ich malte sie. Ihre lange Hose und ihren Pullover, das Halstuch und den Hut. Sie konnte mit ihrem Aussehen nicht umgehen, versteckte sich lieber, aber das war nicht, was ich sah. Ich wollte, dass sie sich durch meine Augen sah. Ihre ausdrucksstarken blauen Augen und das ansteckende Lächeln.

Mir war bewusst, dass sie neben den negativen Bildern etwas Positives malen wollte. Sie war leicht zu durchschauen, wenn man Jahre mit ihr verbracht und gemalt hatte. Irgendwann konnte man ihre Ideen erkennen und deshalb konnte ich dieses Bild malen.

Mein halbes Leben stand diese Frau im Mittelpunkt.

Ich war fast fertig, als Lenya zurück in das Zimmer kam und sich ein Telefon an ihr Ohr drückte. Sie trug noch immer überall Farbe, obwohl sie sich hatte umziehen wollen. Ihr Vater hatte sie aufgehalten und sie hatten miteinander gesprochen.

„Nein, ich ..." Lenya verzog das Gesicht und schien sich zurückzuhalten. Dabei war ihr der Ärger anzusehen. „Ich habe es vergessen", begann sie sich zu rechtfertigen. Sie nahm uns wahr und schien sich zu schämen. Das war nichts, was wir mitbekommen sollten, aber ich sah ihre Hilflosigkeit. Sie war verflucht unsicher.

„Die Stimmung ist aber schnell umgeschlagen", merkte Kai verwundert an. Er sprach leise, um Lenya nicht zu stören.

„Doch, ich werde mit Rafe reden und ihn fragen, wann wir ..." Sie brach ab und presste die Lippen zusammen. „Das ist doch gar nicht umsetzbar! Charlotte bekommt bald ihr Kind!", platzte es laut aus ihr heraus. Sie zuckte zusammen, entschuldigte sich sogar für ihren kurzen Ausbruch.

Ich legte den Pinsel auf die Leiter und ging zu ihr, hinterließ Fußspuren auf dem ohnehin bunten Teppich. Ihr Leben war durch die zurückgekommenen Erinnerungen auf den Kopf gedreht worden. Vermutlich hatte sie sich gerade erst an ihr neues Leben gewöhnt und sich selbst weitgehend akzeptiert. Vince, Kai und ich hatten alles durcheinander gebracht und ich wusste, wie aufgewühlt sie war. Dass sie bis vor einigen Minuten noch mit sich gerungen hatte, ob sie mit Vince rangeln sollte oder es besser sein ließ, bewies ihre Verwirrtheit. An ihre frühere Persönlichkeit musste sie sich erst gewöhnen.

Schweigend legte ich meine Hand um ihre freie und drückte sie sanft. Lenya sah mir in die Augen. Ihre Wut war kaum zu übersehen, die sie vehement zurückhielt.

„Ich will jetzt nicht mit dir darüber reden. Akio, Kai und Vince sind bei mir." Ihr Gesichtszüge verhärteten sich schlagartig. „Was soll das?", brachte sie zittrig über ihre Lippen. Es war die Wut, die ihren Körper beben ließ. Sie nahm das Handy vom Ohr und schaltete den Lautsprecher ein, um uns mithören zu lassen. Nichts, was sie tun sollte. Uns ging das nichts an.

Verloren - Zurück im LebenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt