Die Scheinwerfer von Dantes Nissan durchschneiden die Dunkelheit des Winterabends. Draußen ist es bestimmt eisig, aber hier, im Wageninneren, schnurrt die Heizung leise und verbreitet wohlige Wärme, die ich gar nicht richtig wahrnehme. Eigentlich würde ich gerne das Fenster herunterkurbeln und die kalte Nacht hereinlassen und den beißenden Fahrtwind spüren.
Dante hat es endlich aufgegeben, mit mir reden zu wollen, aber immer wieder, wenn er glaubt, ich merke es nicht, wirft er mir besorgte Blicke zu und in seinen Händen liegt ein Zucken. Als wolle er mir über den Kopf streicheln und sagen, alles werde gut, wenn ich nur ein braver Junge bin. Ich bin froh, dass er es nicht tut.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendetwas wieder gut wird.
Ich lehne die Stirn an die kühle Scheibe neben mir und tue so, als wäre die monotone Finsternis draußen ungeheuer spannend, während mein Kopf ganz andere Bilder auf meine Netzhaut projiziert.
Laneys schmale, geradezu durchscheinend blasse Hand, die meine wie ein Schraubstock umklammert. Ihre trüben, algengrünen Augen, mit denen sie mich kaum noch erkannte. Ihre blutleeren Lippen, mit denen sie diese schrecklichen letzten Worte sagt.
Kleine Tropfen bahnen sich den Weg die Scheibe hinab. Ich brauche einen Moment, bis ich sie als das erkenne, was sie sind. Tränen. Salzige Tränen, von denen ich gar nicht wusste, dass ich sie noch in mir habe.
Ein Ruck geht durch den Wagen, als Dante rechts ranfährt und der Motor schließlich verstummt. Dann ein Klicken und Schnurren - das Lösen und Einfahren von Dantes Sitzgurt. Ein Rascheln, als er sich zu mir rüber beugt.
Die Innenseite seiner Hand ist rau, aber seine Berührung ist behutsam und sanft, während er mein Kinn nimmt und meinen Kopf zu sich herum dreht. Einen Moment mustert er mich prüfend, dann schüttelt er den Ärmel seines Sweatshirts über die andere Hand und wischt mir damit ebenso sanft und behutsam die Tränen aus dem Gesicht.
»Was ist los?«, fragt er leise. Er sieht so hilflos aus. In mir regt sich ein Gefühl, wie ein junger Vogel, der zum ersten Mal die Flügel ausbreitet, bereit loszufliegen. Und dann fliegt er los und dieses zarte Beben in mir wird größer, ein Grollen und Donnern, als sich der Hass aus den Tiefen meiner Seele durch die Eiswüste gräbt und immer höher in mir aufsteigt. Tiefwurzelnder Hass, auf meine Eltern, auf die Ärzte, auf die ganze Welt - und auf mich selbst. Nicht zum ersten Mal kommt mir der Gedanke, dass Laneys Entscheidung vielleicht die einzig logische Antwort war. Schließlich war es nicht der Krebs, der sie am meisten verletzt hat.
»Sag mir was ich tun kann. Bitte.«
Ich blinzle ein paar Mal, bis ich mir einigermaßen sicher bin, dass ich nicht mehr heule. Himmel, ich bin erbärmlich. Wir wussten seit Jahren, dass unsere Zeit begrenzt ist. 'Aber es geht nicht darum, dass sie gestorben ist', flüstert eine hinterlistige Stimme in meinem Kopf. 'Es geht darum, wie sie gestorben ist.'
Verdammt, ich bin zu müde dafür.
»Bitte. Wenn du nach Hause willst, ist das auch okay. Ich kann jederzeit umdrehen und dich wieder heim bringen!«
Ich bin zu müde für meinen eigenen Schmerz und ich bin erst recht zu müde für Dantes hilfloses Flehen. Und überhaupt, was soll das sein, zu Hause? Ich weiß gar nicht mehr, was das eigentlich bedeuten soll.
Dante lässt es zu, dass ich mich wieder von ihm wegdrehe, greift aber stattdessen nach meiner Hand. Soll er doch, mir egal.
Erschöpft lehne ich den Kopf schwer gegen die Nackenstütze.
»Fahr einfach weiter.«, sage ich müde. Die Worte klingen schroff und rau. Ich sage nicht, dass es okay ist, weil es das nicht ist, und Dante fragt nicht nach, weil auch er es weiß. Es gibt kein Zuhause mehr, keinen Platz für mich. Ich gehöre nirgendwo hin. Und Kinder, für die es keinen Platz gibt, schickt man zur sicheren Verwahrung nach Sandywoods Manor. Schön außer Sicht. Probleme sind am besten, wenn man sich nicht selber darum kümmern muss.

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Kollateralschaden
Novela Juvenil「Ich bin ein Kollateralschaden einer kaputten Welt. Laney war es auch. Und ich war entweder nicht mutig genug, es ihr gleichzutun, oder nicht feige genug. Das Bild tiefvioletter Augen, die mich distanziert und skeptisch mustern, schiebt sich über di...