Kapitel 9

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Things haven't been quite the same

There's a haze on the horizon, baby

It's only been a couple of days and I miss you

Belle

„Was?", Belle sieht gedankenverloren von ihrem Essay auf. Eigentlich hat sie nicht wirklich gelesen, was auf ihrem Bildschirm ist, sondern ihre Gedanken sind abgedriftet. Zu ihm. Es ist wirklich nicht ihre Art normalerweise, sich in eine Sache so reinzusteigern. Aber mit Sunny scheint es wohl ihr erstes Mal zu sein. Ständig driften ihre Gedanken ab, zu seiner Stimme, seinem Lächeln, die Art wie er -

„Hallo?", Esme hat sich vorgebeugt und winkt vor Belles Gesicht herum. „Erde an Belle!" Belle reißt sich ein weiteres Mal aus ihren Gedanken und fokussiert ihren Blick auf Esmes Gesicht. Esme hat ihre kurzen roten Haare in zwei kleine Zöpfe gebunden und trägt Jeans-Overall mit einem Top drunter. An ihren Ohren baumeln Ohrringe mit kleinen Erdbeeranhängern. Belle reibt sich den Nacken. „Sorry. Jetzt bin ich wieder da.", sie lächelt ihre Freundin an. „Ich hab dich gefragt ob du Lust hast Mittagspause zu machen. Ich hab Hunger.", jetzt bemerkt Belle auch, dass Esme ihren Laptop bereits zugeklappt hat, und dass sie selbst auch hungrig ist. „Klar. Ich glaube ich gebe den Essay dann auch einfach ab. Es wird nicht mehr besser. Und ich verschlimmbessere es eh nur.", sagt sie, während sie das Dokument speichert und den Laptop zuklappt. Esme nickt heftig. „Endlich!" und Belle muss lachen, und hält sich hastig die hand vor den Mund, als neben ihr eine Studentin böse aufschaut. Richtig, leise sein. Sie hakt sich bei Esme unter und die beiden verlassen den Lesesaal der Humboldt Universität. Es ist wieder ein sehr warmer Tag, aber da Belle heute sowieso nur in der Uni war hat sie von der Sommersonne noch nicht so viel mitbekommen. „Worauf hast du Lust? Mensa, Pizza oder Asiatisch?", zählt Esme auf. „Hmm", Belle versucht eine Entscheidung zu treffen. Aber wie bei Allem heute, fällt es ihr schwer einen klaren Gedanken zu fassen. Es macht sie wahnsinnig und ist extrem frustrierend. „Ich weiß es nicht, Esme. Bitte entscheide einfach ich kann heute einfach nicht richtig denken.", sie merkt selbst wie jammerig sie klingt. Esme lacht. „Okay, du Arme. Dann asiatisch, ich habe Lust auf Reisnudeln." Der Asiate ist zum Glück nicht weit von der Uni, denn die Mittagssonne knallt heftig auf den Asphalt und Belle spürt die ersten Schweißtropfen auf ihrer Stirn.

Esme erzählt von ihrem mystery girl, bei dem sie sich immer noch weigert Faye und Belle ihren Namen zu verraten. Belle seufzt innerlich. Das, was Esme und dieses Mädl haben klingt wunderschön: lange Dates, Kommunikation und keine Missverständnisse. Und guten Sex. Das stimmt Belle doch ein wenig wehmütig. Und sie denkt natürlich automatisch an Sunny. Angekommen bestellt Esme Reisnudelsalate für sie beide, während Belle hinten im Restaurant am Fenster einen Tisch sichert.

„So, was ist los, Belle?", Esme setzt sich, und hat zwei Gläser Eistee dabei. Dankbar nimmt Belle eines der kalten Gläser an sich und nimmt einen Schluck. War ja klar, dass Esme nicht lange herumfackelt. „Seit dem Date mit Sunny", Belle reißt sich zusammen, bei der Erwähnung seines Namens nicht zusammenzuzucken „bist du komplett abwesend. Und besonders viel erzählt hast du bisher auch nicht!", die Empörung steht ihr förmlich ins Gesicht geschrieben und ihren braunen Augen bohren sich in Belles. Belle nimmt noch einen Schluck, um sich zu sammeln. Ja, Esme hat recht. Belle hat nicht besonders viel erzählt und das Essay als Ausrede genommen, sich in der Bib zu verkrümeln und so die neugierigen Fragen ihrer Freundinnen zu entkommen. Denn Belle ist sich nicht sicher, ob sie von Sunny und ihrem Date erzählen will. Es fühlt sich ein bisschen wie ein Geheimnis an, dass nur Belle und Sunny teilen. Und sie weiß selbst noch nicht so richtig, was sie eigentlich fühlt. Belle seufzt schließlich und blickt in Esmes erwartungsvolles Gesicht. „Also", sie umklammert das Eisteeglas. „Sunny und ich haben uns in einer Bar getroffen. Und danach sind wir noch ewig durch die Stadt gelaufen.", Belle kann nicht anders als zu lächeln. Esme nimmt zufrieden einen Schluck aus ihrem eigenen Eisteeglas. In dem Moment kommt der Kellner und bringt die Reisnudelbowls, und Belles Magen knurrt genau in diesem Moment. „Hmmmmm, lecker", Esmes Augen werden leicht glasig und sie nimmt sich Stäbchen aus dem Glas in der Mitte des kleinen Tisches. Esme beginnt zu essen und auch Belle nimmt sich Stäbchen und schiebt sich die erste Portion in den Mund. Es schmeckt wie immer erdnussig-limettig. Und einfach erfrischend und genau das, was ihr Gehirn heute gebraucht hat. „Also?", Esme nimmt einen Schluck zwischen zwei Bissen und sieht sie erwartungsvoll an. Ach ja, denkt Belle. Die Antwort auf die Frage. Belle öffnet den Mund, in dem Moment beginnt ich Handy zu vibrieren, was ein unangenehm lautes Geräusch verursacht, weil es auf dem Tisch liegt. Belle zuckt zusammen und nimmt es hastig in die Hand. Ohne nachzusehen, nimmt sie den Anruf an. „Belle!", oh nein. Belle beißt sich auf die Lippen, um einen Fluch zu unterdrücken. Sie wirft Esme einen entschuldigenden Blick zu und beeilt sich aufzustehen. „Hi Mom", sie hört selbst, dass ihre Stimme sehr nüchtern und distanziert klingt. „Belle. Seit Wochen versuche ich anzurufen, du weißt ja gar nicht was für Sorgen ich mir gemacht habe. Ich-". „Was willst du Mom?", Belle unterbricht ihre Mutter unwirsch. Sie hat heute wirklich nicht die Nerven für ihre Mutter, die Probleme, die sie mit sich bringt. Nicht heute. Am anderen Ende der Leitung ist es kurz still und Belle spürt das schlechte Gewissen in sich aufsteigen. Nein, sagt sie sich. Selbstschutz ist vollkommen okay. „Ich", ihre Mutter setzt nochmal an. „Ich wollte hören, wie es dir geht. Dein Vater hat mir nichts erzählt. Das ist alles, versprochen." Belle beißt sich schmerzhaft auf die Lippen, während sie sich in den kleinen kläglichen Schatten eines Baumes stellt, der zu einer ebenso armseligen Allee gehört. Es ist heiß, Belle schwitzt und sie hat ihre Mutter am Telefon. Heute läuft wirklich alles super. „Gut.", sagt sie kurz angebunden. „Wie bitte?", ihre Mutter klingt konsterniert. Sie hat wieder diesen ‚ich meine es ja nur gut' Tonfall drauf. Belle hasst es, dass sie damit immer wieder versucht, sie um ihren Finger zu wickeln. Diesmal nicht. „Da hast du es. Mir geht's super hier in Berlin. Danke der Nachfrage. Ich muss los, Chiao.", damit legt sie auf. Sie spürt, wie ihr alle Luft aus der Lunge entweicht. Sie weiß, als sie ihr Handy wieder einsteckt, dass sie sich etwas von ihrem Vater anhören müssen wird, aber Belle ist heute wirklich nicht in der Stimmung. Sie holt noch einmal tief Luft und geht wieder zurück in das kleine enge Restaurant. „Sorry", sie setzt sich wieder Esme gegenüber, die ihren Salat immer noch mit genauso viel Appetit isst. „Alles gut. Du siehst blass aus." Belle greift wieder nach ihren Stäbchen und nimmt ein paar Nudeln auf. „Nichts – also nichts worüber ich jetzt reden will. Meine Mom", Esmes Augen weiten sich einen kleinen Augenblick, bis sie sich beeilt ihren Gesichtsausdruck unter Kontrolle zu bringen. „Uh oh. Ja okay heute darfst du ausnahmsweise die ‚ich-will-nicht-drüber-reden-Karte' spielen, aber wir reden da nochmal drüber.", sagt sie, bevor sie einen Schluck von ihrem Eistee nimmt. „Verstanden", Belle tut es Esme gleich und trinkt den Eistee. „Also, wir waren noch nicht fertig...", Belle seufzt. Sie denkt an Sunny und das blöde Gefühl, dass von dem kurzen Gespräch mit ihrer Mutter, in ihrem Magen verblieben ist, verschwindet. Aber Esme deutet Belles Schweigen falsch. „Belle, wenn er blöd zu dir war, oder schlimmeres, ich schwöre dir, ich trete seine Tür ein und-" Belle schüttelt schnell den Kopf, um Esme zu beruhigen. „Nein, nein! Sowas ist es gar nicht. Eher das Gegenteil. Es war ein sehr schöner Abend und er hat auch Abstand gehalten...vielleicht etwas zu viel.", Belle beißt sich auf die Lippen. Esmes Augen werden wieder groß. „Ohhhh.", dann lächelt sie Belle an. „Das klingt schonmal gut. Ich höre", sagt sie lächelt und stützt sich auf ihre Ellenbogen.

Eine dreiviertel Stunde später erklimmt Belle wieder die Treppe nach oben in den Lesesaal zu ihrem Platz. Esme hat jedes Detail aus Belle herausgekitzelt und sie haben gemeinsam Sunny analysiert. Ob das Belle jetzt geholfen hat, bleibt fraglich, aber es war schön Esme alles zu erzählen. Alles in allem war es eine schöne Mittagspause, auch wenn ihre Mom ihr immer noch im Hinterkopf herumschwirrt. Leider musste Esme dann los in die Arbeit, und sie ist allein zurück geblieben in der Bib. Belle unterdrückt einen Seufzer als sie sich zu ihrem Platz bewegt. Sie arbeitet aber dann doch noch drei Stunden recht produktiv, das Reden mit Esme hat wohl geholfen Sunny kurz aus ihren Gedanken zu verbannen. Sie schickt den Essay ab und beginnt mit ihrer Hausarbeit, die thematisch zum Glück recht einfach ist. Doch als ihre Augen brennen, beschließt sie nach Hause zu gehen.

Als Belle die Treppe des U Bahnhofes erklimmt, vibriert das Handy in der Tasche ihrer Jeansjacke. Die Sonne steht zwar nicht mehr so hoch am Himmel, aber es ist immer noch angenehm warm und Belle ist extra zwei Stationen früher ausgestiegen, um noch einen kleinen Spaziergang machen zu können. Sie kramt ihr Handy heraus und die Nummer von ihrem Dad leuchtet auf dem Display. Sie reibt sich die Augen und spürt, wie sich Kopfschmerzen anbahnen. Sie starrt noch einige Sekunden nur auf das vibrierende Handy und nimmt dann hastig an. „Hi Papa", sie hört selbst, dass sie nicht besonders begeistert klingt. „Hi Belle", grüßt ihr Vater sie. Er klingt ruhig, aber Belle weiß, dass ihr Vater immer ruhig klingt. Vor allem wenn er ein ernstes Wörtchen mit Jemandem zu besprechen hat. Auf ihr Schweigen hin, fragt er: „Wie geht es dir?" „Gut, Dad. Ein bisschen erschöpft, weil die Klausuren und Abgaben alle gefühlt morgen sind – aber sonst gut. Und dir?", sie beschließt sich zu entspannen. Ihr Vater ist weit weg und wenn es ihr zu viel wird, kann sie immer noch auflegen. „Ach ja stimmt, dein Studium. Wie läufts? Machst du nicht bald deinen Bachelor?", fragt er und Belle verdreht ihre Augen. War ja klar, dass er sie wieder danach fragen wird, wann sie denn endlich mal fertig ist. Kann nicht jeder so toll sein wie ihr Bruder, der sein Studium summa cum laude in der Regenstudienzeit abgeschlossen hat. „Noch zwei Semester. Also ein Jahr", sie bleibt kurzangebunden und weicht einer Frau und ihrem Hund aus. So viel zu ihrem Plan, sich auf dem Spaziergang zu entspannen. „Ach ja. Gut, Belle. Hör mal, deine Mutter hat mich angerufen. Ihr habt heute telefoniert?", er klingt immer noch komplett entspannt, aber Belle weiß, dass er es nicht ist. Es wirkt ein bisschen gekünstelt. „Ja", antwortet sie nur. Er schweigt einen kleinen Moment. „Belle, hör mal. Ich verstehe, dass die Beziehung zwischen euch beiden schwierig ist, aber du hast deine Mutter heute sehr verletzt." Plötzlich und ohne jegliche Vorwarnung ist Belle wütend. Die Wut prickelt heiß in ihren Adern und ihr steigen Tränen in die Augen. „Sie ist verletzt, ja? Sie?!", Belle hat sie Stimme erhoben aber zum Glück ist in der kleinen Seitenstraße, die sie langläuft, nicht viel los. „Belle ...", „Ich bin nicht umsonst nach Berlin gezogen! Ich musste einfach weg von dieser Frau, und den Verletzungen, die sie mir zugefügt hat! Ich-", „Belle!", jetzt hat auch ihr Vater die Stimme erhoben. Belle verstummt und wischt sich die Wangen ab. „Es geht doch nur darum, dass sie einen Schritt auf dich zu gemacht hat. Deine Mutter ist nicht perfekt, dass weiß ich auch, aber sie gibt sich Mühe. Vielleicht-", Belle schließt die Augen und Tränen brennen unter ihren Lidern. Nein, perfekt ist sie bei weitem nicht. Plötzlich ist ihr das Gespräch mit ihrem Vater zu anstrengend. „Hey, Ich muss auflegen. Sorry", damit drückt Belle den roten Button auf ihrem Handy geht noch zwei Schritte und lässt sich dann auf eine kleine Mauer sinken, die eigentlich zu einer Abgrenzung des kleinen Parks hinter ihr gehört. Sie starrt noch eine Weile auf den schwarzen Bildschirm ihres Handys und holt dann tief Luft. Ja, sie ist definitiv noch nicht drüber hinweg. Der Knoten in ihrer Brust zieht sich zusammen und Belle spürt ihre Wut verpuffen. Jetzt hat sie auch noch deswegen ein schlechtes Gewissen. Jetzt hat sie es sich mit ihren beiden Eltern zerstritten. Sie drückt die Handballen in ihren Augenhöhlen und holt ein paarmal tief Luft. Sie hat es nicht verdient, dass sich Belle solche Gedanken um sie macht. Ihre Mutter war und ist die toxischste Person in ihrem Leben.



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