Kapitel 10

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Sunny

Sunny ist komplett in seiner eigenen Welt abgetaucht, denn als er auf die Uhr guckt und erwartet, dass nur etwa zwanzig Minuten vergangen sind, ist es plötzlich schon halb 7. Er erschrickt und betrachtet den Tisch, den er gerade restaurieren soll. Ein größeres Projekt, die Besitzer haben ein Haus geerbt und wollen alle alten Möbel restaurieren und einen moderneren Touch geben. Eine Mischung aus alt und neu. Hastig packt er all seine Werkzeuge weg, die er um sich herum ausgebreitet hatte, um die Tischbeine alle fertig zu bekommen. Er ist gerade beim vorletzten angekommen, aber jetzt muss er leider los. Sunny ist heute fast allein in der Werkstadt gewesen, weil die meisten seiner Kolleg:innen bei dem Möbeltransport dabei waren. Und Mat, sein Chef, hat heute frei. Apropos: Sunny ist heute bei Mat eingeladen zum Abendessen und jetzt spät dran. Er wirft einen weiteren Blick auf sein Handy und unterdrückt die leichte Enttäuschung, die er spürt, als er keine neuen Nachrichten sieht. Aber es sind schon wieder zwei Minuten vergangen, hastig stopft er sein Hany in seine Hosentasche und räumt die restlichen Werkzeuge weg.

Sunny zieht sich die Jacke hastig über und schreibt dann Mat schnell eine Nachricht, dass er sich um zwanzig Minuten verspäten wird. Dann schließt er noch ab, und joggt zur Bushaltestelle, die zum Glück nicht weit weg ist. Es ist ein sehr angenehmer Sommerabend und Sunny atmet erleichtert die laue Luft ein. Endlich mal ein Atemzug ohne den Geruch von Abgasen, Zigaretten oder sonstigem Gestank – eine Seltenheit in Berlin. Er hat noch zwei Minuten, bis der Bus kommt, also lehnt er sich an die Bushaltestelle und holt seine Ohrstöpsel raus. Er wirft noch einen Blick auf sein Handy, außer die Chats mit seinen Freunden, seiner Band und Mat hat er keine neuen Nachrichten. Belle hat sich bei ihm nur einmal gemeldet. Sein Magen zieht sich zusammen und er fährt sich durch die Haare. Sie sind leicht verschwitzt und er kramt in seinen Taschen nach einem Haargummi. Wieder einmal fragt er sich, ob er die leichten Locken von seinem Vater oder seiner Mutter geerbt hat. Und dann kommt zum Glück der Bus und er entscheidet sich, nicht mehr daran zu denken. Es ist eine sinnlose Frage, die er sich unterbewusst täglich stellt.

Der Bus kommt, und Sunny steigt ein. Er kann sich sogar einen Platz neben einer älteren Dame ergattern, und wie fast immer ist es im Bus unerträglich heiß und voll. Schweißperlen stehen ihm auf der Stirn, während er versucht sein schlechtes Gefühl wegen Belle aus seinem Kopf zu vertreiben. Aber es funktioniert eher schlecht als recht, denn nach der zweiten Stationen hat er sein Handy wieder in der Hand und sein Daumen schwebt über dem Chat mit ihr. Es war sehr schön mit dir, hat sie als letztes geschrieben, einen Tag nach ihrem Date. Er seufzt und öffnet den Chat. Tus einfach! Ruft eine Stimme in seinem Kopf, die verdächtig nach Jen klingt. Fand ich auch, antwortet er auf ihre letzte Nachricht. Vielleicht hätte er ihr auch einfach früher antworten sollen? Wie geht's? Hab gehört, die Klausurenphase hat begonnen ... Viel Erfolg! Er starrt seine Nachrichten an. Klingen sie nicht viel zu gestellt? Hat sie überhaupt Lust, sich noch einmal mit ihm zu treffen? Sunny ist so vertieft, dass er beinah die Station verpasst hätte, also springt er in letzter Minute noch auf, und aus dem Bus heraus. Es ist doch tatsächlich etwas kühler als in dem stickigen heißen Bus. Sein Handy vibriert und Sunny reißt es sich quasi aus der Hosentasche. Aber es ist nur Mat. Alles gut, Essen dauert noch ein bisschen. Er atmet aus, und bemerkt erst jetzt, dass er den Atem angehalten hat. Er antwortet, dass er eh gleich da ist und beginnt in Richtung Mats Wohnung zu laufen. Er hat eine Wohnung mitten in Berlin, Altbau und echt richtig groß. Mat hat viele Kontakte durch seinen Job und dadurch auch die Wohnung für Sunny und auch eine für sich bekommen. Ohne Vitamin B geht gar nichts auf dem Immobilienmarkt. Er schlendert entspannt, bis er bei Hausnummer 125 angekommen ist und klingelt bei Hügner & Valentìn. Die Tür brummt einige Sekunden später und Sunny erklimmt die Treppen nach oben.

In der Wohnung riecht es herrlich nach Teig im Ofen. Sunny bemerkt erst, als er durch die Haustür in den Flur von Mats Wohnung kommt, dass er auch wirklich hungrig ist. „Bin da!" , ruft er, während er sich seiner Sneaker entledigt und seine Jeansjacke an die Garderobe hängt. Sunny ist immer entspannt in der Wohnung von Mat und Josè, seinem Partner. Die Wohnung ist lichtdurchflutet und schlicht eingerichtet, mit Mats selbstgebauten Möbeln. Allein die Garderobe ist ein Meisterwerk der Holzarbeit: Aus nachhaltig erwirtschaftetem Buchenholz ein großartiges Design. Praktisch und zeitlos. So wie Mats Stil. Als Sunny ins Wohnzimmer einbiegt, welches auch gleichzeitig als Esszimmer dient, ist das Regal, der Blickfang des Raumes. Und die deckenhohen Fenster, die den Raum größer wirkenlassen als er ist. Neben dem Bücherregal befindet sich das Wohnzimmer, mit einem hellen leinenen Sofa, einem Couchtisch und einem an der Wand angebrachten Fernseher. Die Wand hinter dem Sofa ziert eine Fotografie von Berlin, die Josè angefertigt hat. Auf der rechten Seite neben der Tür ist der Esstisch – ebenfalls von Mat – mit den hellen Stühlen. Moderner Landhausstil meets Bauhaus. Sunny lächelt Josè zu, der entspannt auf dem Sofa sitzt und sein Buch gerade zuklappt als er in den Raum tritt. „Hi, sorry. Ich hab die Zeit vergessen.", Josè, ein schlanker großer Mann mit warmen grauen Agen steht auf und schüttelt lächelnd den Kopf. „Mon dieu, hör auf dich zu entschuldigen! Du weißt doch, wie Mat in der Küche ist. Es dauert immer länger!", den dicken französischen Akzent wird Jose wohl niemals ablegen. „Komm her mein Junge, wie lange warst du denn jetzt schon nicht mehr da? Zu lange!", Jose umrundet das Sofa und drückt Sunny an sich. Und obwohl es ihm ein bisschen unangenehm ist, weil er verschwitzt und stinkig aus der Werkstatt ist, freut sich Sunny über die herzliche Begrüßung. „Ja, ich war ein bisschen im Stress in letzter Zeit. Die Band-", will Sunny sich erklären, aber Josè winkt nur ab. „Ich habe schon gehört. Ihr seid auf einem Festival aufgetreten! Ich bin so stolz!", Sunny hat sich erst aus der Umarmung gelöst, da drückt Josè ihn schonwieder an sich. „Du musst mir erzählen, wie es war! Nächstes Mal werde ich auch wieder da sein", Sunny lächelt den Franzosen an, „auf jeden Fall. Ich freue mich, wenn ihr kommt." Er will sich gerade nach José erkundigen, da kommt Mat ins Wohnzimmer. Er trägt eine schlichte graue Schürze und zwei Ofenhandschuhe, denn er bringt eine volle und sehr heiße Auflaufform mit. Es duftet herrlich und Sunnys Magen knurrt. „Essen ist fertig!", Mat lächelt und stellt die dampfende Form auf den Tisch.

Sunny ist satt und zufrieden. Es gab eine Art Blätterteig Ratatouille Mischung und dazu einen grünen Salat – sehr lecker. „Das war wirklich wahnsinnig gut.", Sunny nickt Mat zu, der gerade einen Schuck von seinem Weißwein nimmt. „Ich kann nur zustimmen. Diesmal ist es dir wirklich gut gelungen.", Jose zwinkert Sunny zu, „Er hat es schon zweimal gekocht, und es war beide Male längst nicht so gut wie heute." Mat setzt gespielt empört sein Glas ab. „Was soll das denn heißen?" Sunny lächelt in sich hinein und genießt den restlichen Abend, an dem sie noch Karten spielen und Sunny Mat und Josè seinen neuesten Song zeigt. Als er sich gegen Mitternacht auf den Weg in seine eigene Wohnung macht, hat er noch Essen für die nächsten drei Tage dabei und muss zum Glück nur drei U-Bahn-Stationen fahren. Es war ein guter Abend, aber er ertappt sich dabei, wie er wieder auf sein Handy guckt, in der Hoffnung, dass sie ihm geantwortet hat. Er unterdrückt die Enttäuschung, als er sieht, dass das nicht der Fall ist und lehnt seinen Kopf an das Fenster der U-Bahn. Er fragt sich, was sie gerade macht. Stellt sich ihr grünen Augen vor, und die lockigen braunen Haare.


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