Flucht ins Ungewisse

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»Du nichtsnutziger kleiner Abschaum! Kannst du eigentlich irgendetwas?!« Alpha Derek schlägt mir mit der Faust ins Gesicht. Ich wollte gerade den Müll raus bringen als ich mit ihm zusammengestoßen bin. Natürlich falle ich, wie der kleine, schwächliche Omega, der ich bin, sofort hin und verteile den ganzen Müll über den Boden. Ich habe mich sofort wieder aufgerappelt, aber der nächste Schlag in die Magengrube lässt mich postwendend erneut zu Boden gehen.

»Du kleine scheiß Schwuchtel, pass in Zukunft gefälligst auf wo du hin gehst! Und ich schwöre dir, wenn du mich noch einmal anrempelst dann kommst du nicht so glimpflich davon!«, brüllt Derek mich an. Ich kann nur mit einem wimmern antworten und mich zusammenrollen. Ich warte auf die nächsten Schläge, doch glücklicherweise kommen sie nicht. Scheint so als hätte ich heute nochmal Glück gehabt. Normalerweise lässt er mich nämlich nicht so einfach davonkommen.

Ich höre wie Derek abfällig schnaubt, dann stampft er wütend von mir weg. Er hat mich zwar vielleicht heute verschont, aber das ist definitiv nicht immer so und ich habe es satt so zu leben. Ich diene jedem in diesem Rudel als persönlicher Sandsack und Diener, das halte ich nicht mehr aus. Ich rapple mich also auf und sammle den Müll wieder auf, da ich alles normal erscheinen lassen muss, wenn ich eine Chance dazu haben will von hier zu fliehen. Und wenn ich den Müll einfach liegen lassen würde, würde ich mich später wahrscheinlich nicht mehr bewege vor lauter schmerz.

Heute Nacht, wenn alle schlafen, werde ich das Territorium des Nightfall Rudels verlassen.

. . .

Es ist mittlerweile 23.30 Uhr. Von der kleinen Kammer aus, die ich mein Zimmer nennen 'darf', kann ich nichts mehr im Rudelhaus hören. Es scheint so als würden schon alle schlafen. Ich habe heute im Laufe des Tages schon unauffällig meinen kleinen Besitz zusammengepackt. Jetzt brauche ich nur noch etwas zu essen und zu trinken. Schnell schleiche ich mich in die Küche und packe Proviant in meine Tasche. Hoffentlich wird das reichen.

Leise, darauf achtend, dass ich kein Geräusch mache, schleiche ich mich aus dem Haus und passe auf, dass ich schnell außer Sichtweite komme, damit mich niemand durch ein Fenster hindurch sehen kann. Geschützt vor irgendwelchen Blicken lege ich im Unterholz meine Tasche ab und ziehe mich aus. Meine Kleidung packe ich noch schnell in die Tasche und dann verwandle ich mich. Schon nach ein paar Sekunden stehe ich als kleiner, brauner Wolf da. Hastig packe ich meine Tasche mit dem Maul und gehe los. Ich achte darauf immer schön versteckt zu bleiben und im Gebüsch zu laufen, damit man meine Spuren nicht so schnell findet. Auch versuche ich mich nicht zu schnell fortzubewegen, obwohl alles in mir danach schreit so schnell wie möglich von hier wegzukommen. Jedoch brauche ich meine Kraft noch falls mein Rudel mich findet und ich vor ihnen davonlaufen muss, da wäre es unpraktisch wenn ich schon völlig ausgelaugt wäre, weil ich schon davor so viel gerannt bin.

. . .

Ich weiß nicht wie lange ich schon unterwegs bin, aber die Morgendämmerung bricht an und ich werde immer angespannter, da ich Angst habe, dass jemand bemerkt, dass ich nicht mehr da bin und das fällt ihnen spätestens dann auf, wenn sie nichts zu essen bekommen. Ich stoße ein leises Winseln aus, es ist kaum zu glauben, dass ich jahrelang so gelebt habe und das nur, weil meine Eltern mich nicht haben wollten. Sie haben mich einfach ausgesetzt, zumindest glaube ich das, da ich vom Nightfall Rudel im Wald gefunden wurde. Warum sie mich damals aufgenommen haben ist mir bis heute noch schleierhaft.

Nach weiteren Minuten die ich mich durch den Wald bewege, ertönt eine Stimme in meinem Kopf. *Wo bist du verdammt nochmal?*, brüllt Derek in meinem Kopf. Ich unterbreche sofort den Link zu allen Rudelmitgliedern und beschleunige meine Schritte. Auf keinem Fall antworte ich auf seine Frage. Jedoch wissen sie jetzt, dass ich weg bin also wird es wahrscheinlich nicht allzulange dauern bis sie meine Fährte aufnehmen und mich finden werden.

Und tatsächlich, ich würde schätzen, dass es vielleicht eine Stunde gedauert hat, bis ich das Geräusch von mehreren Pfoten hinter mir höre. Unglaublich, dass sie mich so schnell eingeholt haben. Ich beschleunige nochmal meine Schritte und renne so schnell ich kann, doch ich werde mit einem kräftigen Ruck zur Seite geworfen. Derek ist in seiner Wolfsgestalt über mir und beißt mir in die Schulter. Ich jaule auf, als sich die Zähne in mein Fleisch graben und der Schmerz durch meinen Körper schießt. Nein! Nicht jetzt, wo ich es schon so weit geschafft habe! Ich kann es wirklich nicht glauben, dass sie den Weg, für den ich mehrere Stunden gebraucht habe, in ungefähr einer bewältigt haben, aber das heißt noch lange nicht, dass ich jetzt aufgebe!

Ich winde mich unter dem großen, schweren Körper des Alphas. Als mir auffällt, dass er sich nicht wirklich vor mir schützt. Er unterschätzt mich und das kann ich zu meinem Vorteil nutzen. Ich öffne mein Maul und schnappe nach seinem Bein, versänke meine scharfen Zähne in seinem Fleisch. Derek gibt einen schmerzerfüllten Laut von sich während ich sein Blut auf meiner Zunge schmecke. Widerlich! Schnell winde ich mich unter dem Alpha hervor, ich lasse meine Tasche links liegen und renne los, den Schmerz in meiner Schulter ignoriere ich derweil geflissentlich. Hinter mir ertönt ein mörderisches knurren und ich lege noch einen Zahn zu. Wann habe ich endlich die verdammte Grenze des Rudelgebietes erreicht?

Und dann kommt mir ein erschreckender Gedanke. Was ist wenn sie mich weiter verfolgen und nicht an der Grenze stoppen? Ich habe keine Ahnung in welches Revier ich überhaupt eindringen werde, wenn ich unser Territorium verlasse. Ich hoffe so inständig, dass sie mich in Ruhe lassen, dass ich nicht mal bemerke wie meine Verfolger stoppen. Erst nach ein paar weiteren Metern drehe ich meinen Kopf und sehe meine, jetzt ehemaligen, Rudelmitglieder knurrend einige Meter von mir entfernt stehen. Mich durchflutet eine Welle der Erleichterung, aber ich bleibe noch nicht stehen, laufe weiter, da ich Angst habe, dass sie es sich doch noch anders überlegen.

Nach weiteren Minuten des Laufens bleibe ich auf einer Lichtung stehen. Ich habe es wirklich geschafft!, juble ich in meinen Gedanken. Doch jetzt bin ich mir des Schmerzes in meiner Schulter wieder völlig bewusst. Als ich eine Blick auf die Wunde werfe merke ich, dass sie durch das Rennen weiter aufgerissen ist und wimmere schmerzerfüllt auf. Da ich mich zu sehr auf meine Verletzung konzentriert habe, habe ich vergessen auf meine Umgebung zu achten, denn plötzlich werde ich von mindestens acht Wölfen umzingelt und sie gehören nicht meinem ehemaligen Rudel an. *Wer bist du und was machst du in unserem Territorium?*, ertönt eine Laute Stimme in meinem Kopf.

Ich versuche zu antworten um es zu erklären, aber in meinem Kopf dreht sich alles und mein Körper fühlt sich schwach an, bestimmt wegen des Blutverlustes. Meine Sicht wird unklar und meine Umgebung sehe ich immer verschwommener, dann bekomme ich nur noch mit wie mein Körper zur Seite kippt und alles um mich herum ist schwarz.

Der Omega-WolfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt