Austin war den ganzen Tag bei mir im Krankenhaus geblieben, hatte Melody gewickelt und mich unterhalten. So gut unterhalten, dass ich viel zu viel lachen musste. Auf Grund der Gehirnerschütterung wäre es besser gewesen, ich wäre ohne Bewegung im Bett gelegen, aber durch das Lachen bekam ich am späteren Nachmittag Kopfschmerzen.
„Ich glaube, es ist besser, wenn ich und Melody dich ein bisschen in Ruhe lassen, damit dein Kopf wieder weniger weh tut ...", überlegte Austin laut.
„Nein, bitte bleib da.", bettelte ich „Hast du noch nie davon gehört, dass man schneller gesund wird, wenn man viel lacht?", fragte ich und schob die Unterlippe vor.
„Was? Das hast aber gerade erfunden!", erwiderte er mit einer siegessicherer Miene.
„Nein, hab ich nicht! Ich weiß ja nicht wie das hier ist, aber bei uns zu Hause gibt es deshalb die Roten Nasen."
„Wenn du meinst ... Okay, ich bleibe. Ist ja nicht so, dass ich unbedingt weggehen wollte."
Es sah so aus, als wollte er noch etwas sagen, aber er wurde unterbrochen, als die Tür geöffnet und ein Bett ins Zimmer geschoben wurde. Als ich sah, wer es war, der von nun an mein Zimmergenosse war, musste ich schlucken. Es war der Junge, der im Flugzeug neben mir gesessen war – Flo. Er lächelte mich an, als er mich sah.
„Hanna. Das ist aber schön dich zu sehen. Dann kann ich mit jemandem Deutsch reden. Was machst du hier? Ich habe eine Gehirnerschütterung, das ist so doof. Ich wollte doch mit Papa was unternehmen.", plapperte er auf Deutsch drauf los.
„Hanna, wer ist das? Woher kennt der deinen Namen?", flüsterte mir Austin zu.
„Oh, Entschuldigung. Austin, das ist Flo. Wir sind im Flugzeug nebeneinander gesessen.", sagte ich auf Englisch. „Flo, das ist Austin.", fügte ich in meiner Muttersprache an den Kleinen gewandt noch hinzu. Ich wusste nicht, ob ich erklären sollte, wer Austin war. Ein Freund? Nein, wir kannten uns ja erst seit gestern. Der Bruder meiner Lieblingssängerin? Das wäre unfair Austin gegenüber. Ein Bekannter? Tja, wahr war es auf alle Fälle, aber sollte ich das wirklich sagen? Ich wusste es nicht und darum hielt ich besser den Mund. Ich würde es ihm später noch sagen, wenn er es wissen wollte.
„Und was machst du hier? Warum bist du auf der Kinderstation?", quetschte mich der Zehnjährige aus.
Als ich ihm von dem Unfall erzählte, wurden seine Augen immer größer. Ich verstand nicht, was ihn so faszinierte. Es war ja schließlich nur ein dummes Missgeschick. Als ich mit dem Bericht fertig war, merkte ich, wie auch Austin mich anstarrte.
„Was ist los?", fragte ich und sah den 21-Jährigen unsicher an. Er schien erst nach einigen Sekunden zu bemerken, dass ich nicht mehr redete und schüttelte fast unmerklich den Kopf. Was wohl in seinem Kopf gerade vorging? War es so komisch für ihn, jemanden Deutsch sprechen zu hören? Nein, das würde doch niemanden so aus dem Konzept bringen. Aber was konnte es dann gewesen sein? Er hatte doch sicher kein Wort von dem verstanden, was ich gesagt hatte. Leicht verwirrt wartete ich auf seine Antwort.
„Ähm ... ich ... es ... war ... ähm ... war das Deutsch?", brachte er schließlich stockend hervor. Es war doch wegen der Sprache gewesen?
„Ja, das war Deutsch. Österreichisches Deutsch, um genau zu sein.", erwiderte ich langsam. Ich wurde einfach nicht schlau aus Jungs. Sollte das nicht eigentlich besser werden mit zunehmendem Alter? Immerhin war ich schon 18 – bald 19 – Jahre alt. Mein Geburtstag war in etwa zwei Monaten, am dritten Oktober. Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen als Flo anfing schallend zu lachen, aber abrupt wieder aufhörte und sich an den Kopf griff.
„Au!", stöhnte er noch immer kichernd. „Ich glaube nicht, dass er dich so angesehen hat, weil du Deutsch geredet hast. Ich bin zwar erst zehn, aber ich bin nicht blöd. So wie er dich angeschaut hat, sieht Sophies Freund Sophie immer an.", fügte er auf Deutsch hinzu.
„Austin ist nicht mein Freund.", stellte ich klar. „Ich habe überhaupt keinen Freund."
„Wenn du meinst ..."
„Könntet ihr bitte Englisch reden? Ich fühle mich hier irgendwie ausgeschlossen.", meinte der Junge, der auf meiner Bettkante saß.
„Okay ... Flo meint, du bist mein Freund.", übersetzte ich für ihn und spürte, wie meine Wangen glühten.
„Na, dann bieten wir ihm doch was.", flüsterte Austin grinsend. Langsam kam er näher. Ich konnte seinen Atem auf meinen Lippen spüren. Oh Gott, wollte er mich jetzt etwa küssen?! Meine Atmung setzte aus, genauso wie mein Herz, das danach mit doppelter Geschwindigkeit weiterschlug.
Er lehnte sich immer weiter zu mir herüber. Seine Lippen berührten die meine. Ich reagierte instinktiv und vergrub meine Hände in seinen Haaren. Doch so plötzlich der Kuss begonnen hatte, endete er auch wieder. Austin löste sich von mir und sah mich an. Hatte vorher noch gegrinst, so war sah er mich jetzt erschrocken an. Seine Pupillen waren riesig und seine Wangen eindeutig gerötet. Etwas an seiner Mimik konnte ich nicht deuten. War es Erstaunen? Oder Entsetzen? Oder gar Abscheu? Schnell stand er auf und schnappte sich Melody, die am Fußende meines Krankenbettes zufrieden lächelnd schlummerte. Sie war ein braves Baby.
„I ... Ich sollte jetzt gehen und Melody nach Hause bringen. Alice müsste schon zurück sein und fragt sich sicher, wo ich bleibe.", leierte er herunter, als wäre dies ein Theaterstück und er ein grottenschlechter Schauspieler.
Stumm nickte ich. Ich wusste nicht, was ich hätte sagen können. Jetzt war mir klar, dass er es bereute, mich geküsst zu haben. Und ich? Nein, ganz sicher nicht. Ich hatte das Gefühl gehabt zu fliegen und meiner Meinung nach war der Kuss viel zu schnell vorbei gewesen. Aber seine Reaktion machte mich traurig.
„Hanna? Alles in Ordnung?" Ach ja, Flo war ja auch noch da. War alles in Ordnung mit mir? Ich hatte meinen ersten Kuss an jemanden vergeudet, der danach nur noch weg wollte. Konnte man da in Ordnung sein? Ich hatte keine Antwort auf die stummen Fragen, die mir mein Unterbewusstsein stellte. Und auch keine auf Flos Frage. Das einzige, was ich fühlte, war Taubheit. Was war nur mit mir geschehen?
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I'm only me when I'm with you (Taylor Swift)
FanfictionDie 18jährige Hanna kommt als Au-Pair nach Nashville. Als sie die richtige Busstation verpasst und dann auch noch ihr Handy keinen Akku mehr hat, ist sie vollkommen verzweifelt. Wie soll sie in einer fremden Großstadt zu einer Familie finden, die si...